Ratzeburg. Menschenstimmen mischen sich unter das Zwitschern der Vögel, kommen näher. Der Wechsel von der nahezu kontemplativen Stille am Ansveruskreuz in Einhaus ins Hier und Jetzt mit einer Gruppe fröhlicher Menschen ist irritierend. „Schon wieder eine Gruppe Pilgerer“, sagt Christoph Ernst. Doch er irrt: „Wir sind Historiker“, sagt ein junger Mann, „wir interessieren uns für das Ansveruskreuz.“ Die kleine Tafel neben dem Kreuz bietet jedoch wenig Information – weit mehr erfährt, wer den Krimi „Ansverus Fluch“ von Christoph Ernst liest (Verlag: Leda, 362 Seiten, 10,99 Euro).
Ein Krimi als Infoquelle für Historiker? Zu Zeiten von Chandler und Wallace hätte es das nicht gegeben. Da wurde gemordet, dann wurde aufgeklärt – fertig ist die Laube. Heute gibt es viel Drumherum, und immer beliebter sind Krimis, die fest in einer Region verwurzelt sind: so genannte Regionalkrimis. Christoph Ernst mag das aber nicht hören. Auf keinen Fall möchte er sein Buch als „Heimatroman“ vermarktet sehen. „Wenn überhaupt, dann schreiben Sie ,hartgesottener Heimatroman’“, bittet er.
Szenenwechsel – vertrieben von den pilgernden Historikern zieht es Christoph Ernst nach Ratzeburg. Auf der Caféterrasse eines Bäckers erzählt er bei einer Rhabarberschorle, warum er diesen Krimi geschrieben hat. Über einen Abt, der 1066 mit seinen Glaubensbrüdern von den Slawen gesteinigt wurde. An den noch heute so viel in Ratzeburg erinnert. Und über den, fragt man mal nach, doch kaum jemand etwas zu erzählen weiß. Bevor er sich in die Recherche stürzte, ging es dem in Klein Zecher lebenden Autor nicht anders. „Slawische Gottheiten? Ich habe es mit Ach und Krach bis Rübezahl geschafft. Und der ist noch nicht mal eine slawische Gottheit.“
Auslöser war ein Gespräch unter Freunden. „Butch Speck hat mir von verdrängter Geschichte erzählt“ – ein Thema, das den studierten Historiker Ernst aus dem Stegreif triggert. Was hat es nur mit den Slawen auf sich? „Im Kontext: Warum war der Vernichtungskrieg im Osten qualitativ so anders, als der im Westen?“, fragt Christoph Ernst. Schon war er da, der Stachel im Fleisch des Historikers: „Der Anreiz, mich mit dem Verhältnis der Deutschen zu den Slawen zu beschäftigen.“
Und so untersucht Christoph Ernst mit dem „Ansverus Fluch“ die kulturgeschichtlichen Wurzeln der Region. Die Handlung reicht von der Gegenwart bis tief in die Vergangenheit, in die Ära, als im Landkreis noch Slawen lebten, denen die nachrückenden, frisch getauften Sachsen Land und Glauben streitig machten. Wer Ratzeburg kennt, kann mit dem Buch in der Hand die Wege von Privatermittler Jacob Fabian nachvollziehen, einige Abstecher nach Hamburg inklusive. Auch wenn Christoph Ernst akribisch recherchiert hat, betont er: „Mein Buch hat nicht den Anspruch, alle Fragen zu beantworten, ich will vielmehr ermutigen, Fragen zu stellen.“ Sein Buch sei „ein Versuch, historische Verworrenheiten aufzudröseln und einer kollektiven Psychopathologie auf die Spur zu kommen.“
In Christoph Ernsts Krimi geht es um die mumifizierte Leiche einer jungen Frau. Genauer: Einer Slawin, die etwa zur gleichen Zeit ermordet wurde, zu der auch Ansverus gesteinigt wurde. Und es geht um einen Mann, der einen Pilgerweg errichten möchte, um veruntreute Fördergelder und irgendwie sogar um Hilfe für Nazi-Verbrecher nach dem Krieg. Sehr spannend geschrieben, Ernst hat keine Scheu, den Finger in noch immer nicht verheilte Wunden zu legen. Aber das sollte jeder selbst lesen.
„Ansverus Fluch – Autorenlesung“: 4. Juni, 20 Uhr, Theater im Stall, Neu Horst bei Mölln. Autor Christoph Ernst wird unterstützt von Rolf Bader an der Gitarre. Eintritt: 9, ermäßigt 7 Euro
Dorothea Baumm