Berlin. Berlin, Berlin — wir fahren nach Berlin! Beachtliche Scharen von Bürgern besuchen jedes Jahr den Deutschen Bundestag. 2014 waren es laut Bundestagsverwaltung rund 2,4 Millionen. 427462 Polit-Touristen kamen auf Einladung ihrer Bundestagsabgeordneten. Das macht 677 pro Abgeordneten, hat die SPD-Parlamentarierin Gabriele Hiller-Ohm ausgerechnet. Die beiden Lübecker Abgeordneten liegen deutlich drüber. Alexandra Dinges-Dierig (CDU) hat im vergangenen Jahr zwischen 700 und 800 Bürger empfangen, Gabriele Hiller-Ohm (SPD) sogar 1000.
„Ich vergebe meine Kontingentplätze regelmäßig komplett, der Großteil der Besucher kommt aber ohne finanziellen Zuschuss“, sagt Hiller-Ohm. 230 vom Bund bezahlte Plätze für Tagesbesuche stehen jedem/jeder Abgeordneten zur Verfügung. Der Bund zahlt einen Fahrtkostenzuschuss sowie ein Mittagessen in der Besucherkantine des Bundestages. Der Eigenanteil der Bürger beträgt zehn Euro. Auf dem Programm stehen das Gespräch mit Hiller-Ohm oder Dinges-Dierig, ein Besuch des Bundestagsplenums oder ein einstündiger Vortrag auf der Besuchertribüne sowie ein anschließender Kuppelbesuch.
Zusätzlich können die Abgeordneten drei Mal im Jahr dreitägige Berlin-Fahrten für jeweils 50 Bürger aus ihren Wahlkreisen anbieten. Diese Reisen werden vom Bundespresseamt finanziert.
Programmbestandteile sind der Besuch des Holocaust-Mahnmals oder der Mauer-Gedenkstätte in der Bernauer Straße. Die Eintrittsgelder zahlen die Besucher selbst. Ein Reiseleiter kümmert sich drei Tage lang um die Gäste. Hiller- Ohm empfiehlt den Bürgern auch einen Blick in den Bundesrat, die schleswig-holsteinische Landesvertretung, den Tränenpalast am Bahnhof Friedrichstraße oder das Forum Willy Brandt.
Die Polit-Touristen stammen aus allen Schichten, Milieus und Altersgruppen. Dinges-Dierig hatte schon Vertreter des Seniorenbeirates, des Technischen Hilfswerks und des Frauenringes zu Gast.
Hiller-Ohm empfängt sehr oft Schulklassen aus Lübeck, aber auch Flüchtlinge, Studenten, Wirtschaftsvertreter und Betriebsräte. Etliche Bürger melden sich auch außerhalb der organisierten Fahrten bei den beiden Politikerinnen. Dinges-Dierig bietet zudem Praktika in ihrem Berliner Büro an. Einmal im Jahr kommt ein Vertreter des Lübecker Handwerks für eine Sitzungswoche. Die SPD-Abgeordnete Hiller-Ohm hat in den letzten Jahren über 50 Praktikanten an ihrer Seite gehabt.
Auch Menschen mit anderen Parteibüchern sind willkommen. Einzige Voraussetzung sei das politische Interesse, erklären die beiden Abgeordneten unisono. „Der Austausch baut Politikverdrossenheit ab und stärkt so die Demokratie“, erklärt Hiller-Ohm. „In den Gesprächen erhalte ich Einblicke in die Probleme und Interessen der Menschen.“ Besonders wichtig ist ihr der Kontakt mit jungen Bürgern. Auch die CDU-Politikerin Dinges-Dierig zieht enormen Mehrwert aus den Kontakten. „Diese Besucher sind keine Bittsteller, sondern als Wähler auch meine Vorgesetzten“, sagt Dinges-Dierig.
Kai Dordowsky