Innenstadt. An den alten Deckenbalken ranken verblichene Blätter und stilisierte schwarze Blütenknospen. An der Wand prangen die verstaubten Umrisse eines gemalten Medaillons: Mauresken heißen die verschnörkelten Blumenornamente, die einst zu Hunderten das kleine Ganghaus in der Hundestraße zierten. Jahrzehntelang waren die Renaissance-Malereien hinter Tapeten und anderen Wandverkleidungen versteckt. Jetzt wurden die Dekorationen, die vor Jahrhunderten mit schwarzen, ockerfarbenen und roten Temperafarben an die Wände gepinselt wurden, im Rahmen von Restaurierungsarbeiten wieder freigelegt.
Kleinteilige Ornamente
Mauresken sind flächendeckende Muster mit teils kompliziert verschlungenen, sich überschneidenden, stark stilisierten Blattranken und Blüten.
In Europa waren die Ornamente ab Ende des 15. Jahrhunderts weit verbreitet. Sie wurden unter anderem auf Wände, Decken und Holzwerke, etwa Türen, gemalt.
„Wir hatten gehofft, dass sich hinter den Tapeten Malereien verbergen“, sagt Michael Szperalski und betrachtet dabei immer noch etwas ungläubig die farbigen Dachsparren über ihm. „Aber dass wir Verzierungen in einem solchen Umfang finden, damit hätten wir nicht gerechnet.“
Vergangenes Jahr hatten der 48-Jährige und seine Frau das 120-Quadratmeter-Haus gekauft. Die vier Zimmer des Gebäudes waren damals mit dunklen Holzwänden und alten Blumentapeten verkleidet. „Man brauchte schon etwas Fantasie, um sich das Haus nach den Umbauarbeiten vorzustellen“, sagt Szperalski. „Aber wir waren uns sicher— das ist das Haus, in dem wir zukünftig mit unseren Kindern leben wollen.“
Bei einer Begehung der Räume entdeckte er dann im Februar in einem Zimmer ein kleines Loch in der Styroporschicht einer Wand. „Ich habe geschaut, was sich dahinter verbirgt, und bin auf die ersten Ornamente gestoßen.“ Umgehend kontaktierte die Familie daraufhin das Denkmalschutzamt. Bei der anschließenden Freilegung kam es dann zu der großen Überraschung: Etwa 25 Quadratmeter der Decken- und Wandfläche des Hauses sind mit verschnörkelten Ornamenten bedeckt. Einige von ihnen sind sogar noch großflächig erhalten.
Wer die Verzierungen im 15. Jahrhundert in Auftrag gab, ist unklar.„Mauresken waren in der Renaissance in Lübecks Bürgerhäusern verbreitet“, sagt Diplom-Restauratorin Maire Müller-Andrae. „Dass sie jetzt in einem Ganghaus gefunden wurden, ist jedoch eher ungewöhnlich.“ Denn die verwinkelten Ganghäuser der Altstadt waren früher eher die Wohnsitze der ärmeren Gesellschaft. „Es ist schon etwas Besonderes, dass gerade hier noch so viele Ornamente erhalten sind“, sagt die Restauratorin. Sie hat die Malereien in den vergangenen Wochen Schicht um Schicht untersucht.
Ob die verblassten Mauresken in Zukunft wieder in voller Farbpracht die Wohnräume des Ganghauses zieren werden, entscheidet sich in den kommenden Monaten. „Wir werden die Malereien konservieren“, sagt Maire Müller-Andrae. „Ob es dann auch zu einer vollständigen Restaurierung kommt, entscheiden wir dann in Absprache mit dem Bauherrn und dem Zustand der einzelnen Abschnitte.“
Von Katrin Diederichs