Lübeck. Was genau hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig entschieden?
Der 2. Senat des OVG hat die gesamte Satzung unter die Lupe genommen. Die Richterinnen haben nicht das ganze Regelwerk in Bausch und Bogen verdammt, aber den Kern der Satzung für unwirksam erklärt – nämlich die Bemessungsgrundlagen und Höhen sowohl der Reinigungsgebühr als auch des Winterdienstes. Bei der Kalkulation haben die Entsorgungsbetriebe (EBL) nach Auffassung des OVG zwei wesentliche Fehler gemacht. Erstens: Verluste aus den Vorjahren – beispielsweise durch einen strengen Winter wie 2010 – müssen schneller in einer neuen Gebührenkalkulation ausgeglichen werden.
Zweitens: Der Anteil, den die Stadt an den Kosten für den Winterdienst aus dem Steuersäckel beiträgt, ist mit 15 Prozent zu niedrig bemessen.
Warum zahlt die Stadt nur 15 Prozent?
Das ist der Mindestsatz, den das Kommunalabgabengesetz vorschreibt. Vor Gericht kam aber heraus, dass das ein Durchschnittswert ist. Es gibt Straßen, bei denen sich die Stadt nur mit fünf Prozent beteiligt, andere, bei denen sie 40 Prozent übernimmt. Als unverständlich kritisierten die Richterinnen, dass sich die Stadt ausgerechnet in der Fußgängerzone nur mit fünf Prozent an den Kosten beteiligt, obwohl diese von Tausenden Bürgern und Touristen genutzt wird. Die Linke hat das als Abzocke der Altstadtbewohner kritisiert, die für viele Bürger die Zeche bezahlen würden.
Wie teuer ist der Reinigungsdienst und wie viel zahlt die Stadt?
Für die Reinigung der Straßen inklusive des Winterdienstes fallen Kosten von jährlich rund acht Millionen Euro an. Bei einer öffentlichen Quote von 15 Prozent war die Stadt bisher mit rund 1,2 Millionen Euro beteiligt.
Wie viel zahlt die Stadt künftig?
EBL-Direktor Jan-Dirk Verwey geht nicht davon aus, dass das OVG in der schriftlichen Urteilsbegründung einen Satz vorschreiben wird. Es wird also Aufgabe der Verwaltung und der Politiker sein, eine neue öffentliche Quote zu definieren. Klar ist aber: Wenn der Reinigungsumfang und die damit verbundenen Kosten sich nicht ändern, wird es für die Bürger insgesamt billiger. Die Auswirkungen für den einzelnen Gebührenzahler sind aber noch nicht absehbar.
Bekommen die Bürger Geld zurück?
Sowohl nach Auskunft der EBL als auch des Mietervereins gilt der Grundsatz: Nur wer gegen einen Bescheid Widerspruch einlegt, kann Erstattungsansprüche geltend machen. Nach Angaben der Entsorgungsbetriebe haben 3800 Bürger Widerspruch eingelegt. Die zahlen bisher gar keine Gebühr. Die Verfahren für alle Bürger, die Widerspruch eingelegt haben, wurden ausgesetzt, bis das Gericht entscheidet. Für alle anderen Bürger haben die bestehenden Bescheide Bestandskraft. Insgesamt werden 24000 Grundstückseigentümer zur Reinigungsgebühr herangezogen. 16000 Grundstückseigentümer zahlen überhaupt nicht, weil sie ihre Straßen selber reinigen müssen.
Was sagen die Politiker?
Die BfL hat bereits gefordert, dass alle Bürger, die zu Unrecht erhöhte Straßenreinigungsgebühren gezahlt haben, diese erstattet bekommen. BfL-Fraktionschef Marcel Niewöhner: „Die Bürger, die brav bezahlt haben, dürfen jetzt nicht die Dummen sein. Es muss gerecht zugehen.“ Auch Henri Abler (SPD), Vorsitzender des für die EBL zuständigen Werkausschusses, rechnet mit Diskussionen über Rückzahlungsansprüche.
Sind eigentlich nur Grundstückseigentümer betroffen?
Nein. Auch Mieter werden über die Betriebskostenabrechnungen zur Kasse gebeten. Thomas Klempau, Geschäftsführer des Mietervereins, berichtet von einem Mieter in der Holstenstraße, bei dem sich der Anteil an der Straßenreinigung verfünffacht hat. Klempau: „Das sind Auswüchse, die korrigiert werden müssen.“
Wie geht es jetzt weiter?
EBL, Rechtsamt, Verbände und Politiker warten auf die schriftliche Urteilsbegründung. EBL-Chef Verwey schätzt, dass diese in einigen Wochen vorliegen kann. Dann prüft Lübeck, ob Rechtsmittel eingelegt werden. Wenn nicht, starten die EBL die neue Kalkulation und legen eine geänderte Satzung vor. Verwey: „Noch in diesem Jahr.“ Kai Dordowsky
Reaktionen
Ludger Hinsen (Senator): „Das Urteil schafft hoffentlich in einer seit jeher umstrittenen Angelegenheit Klarheit.“
Dirk Freitag (CDU): „Das Urteil hat mich kalt erwischt.“
Volker Koß (GAL): „Ich habe immer gesagt, dass es durch die Satzung Unfrieden in Lübeck geben wird.“
Ragnar Lüttke (Linke): „Dass sich Menschen darüber aufregen werden, sagt einem der klare Menschenverstand.“
LN