Ein neuer Erlass von Kiels CDU-Bildungsministerin Karin Prien sorgt an den Schulen für Wirbel. Künftig müssen die Klassensprecher angehört werden, wenn eine Klassenarbeit allzu mies ausgefallen ist. Und das gilt schon ab Klasse 3. Ist das mehr Mitbestimmung? Oder überfordert es die Schüler? Erste Lehrer-Vertreter sehen es auf jeden Fall schon als Entmündigung ihres Berufsstandes an – und befürchten ein weiteres Absinken der Leistung an den Schulen.
Mehr als ein Drittel Fünfen und Sechsen, dann müssen die Klassensprecher ran
Klammheimlich habe das Prien-Ministerium den Erlass im Mai auf den Weg gebracht, ohne Anhörung im Hauptpersonalrat, sagt Grete Rhenius, Landesvorsitzende der „Interessenvertretung der Lehrkräfte“ (IVL). Im Juli, mitten in den Ferien, wurde er veröffentlicht. Seit 1. August ist er in Kraft. Wenn mehr als ein Drittel der Schüler eine Fünf oder Sechs geschrieben hat, sei die „Genehmigung der Schulleiterin beziehungsweise des Schulleiters erforderlich“, heißt es dort nun. Und: „Dazu müssen die unterrichtende Lehrkraft und ab Jahrgangsstufe 3 die Klassensprecherin oder der Klassensprecher gehört werden.“ Erst danach darf entschieden werden, ob die Arbeit gewertet oder noch einmal geschrieben wird.
Die Ministerin verteidigt ihren Erlass. „Wir müssen darauf achten, dass die Unterrichtsqualität und die Leistungen innerhalb einer Jahrgangsstufe vergleichbar sind“, sagt sie. „Und wenn in einzelnen Klassen derart schlechte Ergebnisse erzielt werden, dass mehr als Drittel der Leistungen nicht ausreichend sind, müssen wir den Ursachen auf den Grund gehen.“ Dabei könne auch die Einschätzung der Schülerinnen und Schüler hilfreich sein. „Deshalb werden sie angehört.“
Für Grete Rhenius hingegen ist das ein „absurder Erlass“. Es sei schlichtweg ausgeschlossen, dass Klassensprecher mit acht Jahren „angemessen das Zustandekommen einer schlechten Klassenleistung reflektieren können“ – zumal sie ja womöglich selber Betroffene seien. Nach Ansicht der IVL-Chefin steckt eine andere Absicht hinter alldem. Es sei viel wahrscheinlicher und vermutlich politisch gewollt, „dass Lehrkräfte in vorauseilendem Gehorsam schlechte Noten zukünftig vermeiden, um sich nicht der Gefahr einer unqualifizierten Be- und Verurteilung ihrer Person und ihres Unterrichtes auszusetzen“.
IVL: Ein „Scherbengericht“ der Schüler über ihre Lehrer
Grete Rhenius spricht von einem „Scherbengericht durch ihre Schüler“, wenn sie auch einmal in einer schwierigen, unbequemen Situation Leistung abfordern würden. Stattdessen bräuchten Lehrkräfte Rückendeckung von ihrem Dienstherren. Die aber verweigere Karin Prien den Lehrerinnen und Lehrern hier. Und das stehe in einem seltsamen Kontrast dazu, dass die CDU-Ministerin sonst gern den Eindruck erwecke, sie wolle die Leistungsorientierung der Schulen wieder stärken.
„Unsere Schulleiter sind sehr gut in der Lage, die Aussagen angemessen zu bewerten“, kontert Karin Prien. Sie bleibt dabei, dass es richtig sei, die Klassensprecher zu beteiligen. Und es sei „im Sinne des demokratischen Erziehungsauftrages und einer ernst gemeinten Feedback-Kultur in Schule“ auch richtig, damit ab der dritten Klassenstufe zu beginnen. Sei der Klassensprecher oder die Sprecherin selber betroffen, würde man eben die Stellvertreter anhören.
Die SPD lobt den Prien-Erlass, die FDP sieht ihn kritisch
Ausgerechnet von der SPD-Opposition bekommt Prien dafür Applaus. „Es ist gut, dass die Schülerinnen und Schüler durch die Klassensprecher in die Meinungsbildung eingebunden werden, warum eine Klassenarbeit schlecht ausgefallen ist“, sagt deren bildungspolitischer Sprecher Kai Vogel. Im Gespräch zwischen Schulleitung und Fachlehrer sei es bislang unbekannt geblieben, wenn das schlechte Ergebnis einer Klassenarbeit an einer unzureichenden Vorbereitung gelegen habe. Die Neufassung der Verordnung gehe daher „in die richtige Richtung“.
Innerhalb der Jamaika-Koalition hingegen ist der Erlass nicht unumstritten. „Wir muten unseren Kindern in der dritten oder vierten Klasse zu viel zu, wenn sie gegen die Benotung ihrer Lehrer aufbegehren sollen“, sagt die bildungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Anita Klahn. Kinder müssten langsam und altersgerecht an die demokratische Praxis herangeführt werden. „Ansonsten erreichen wir nicht Freude an der Teilhabe, sondern das Gegenteil“, so Klahn. Sie schlage daher vor, dass sich der Klassenelternbeirat stellvertretend zum Sachverhalt äußern könne.
Noten gibt’s ab Klasse 3
In Schleswig-Holsteins Schulen werden ab Klasse 3 regelhaft Ziffernnoten verteilt. Das hat die Jamaikakoalition aus CDU, Grünen und FDP Anfang dieses Jahres wieder eingeführt. Wenn die Schulkonferenz aus Lehrern, Eltern und Schülern es beschließt, können die Notenzeugnisse durch Berichtszeugnisse ergänzt werden. Reine Berichtszeugnisse sind nur noch in Ausnahmefällen und mit Mehrheitsbeschluss der Lehrer und der Schulkonferenz zulässig.
Grete Rhenius hält von alledem nicht viel. Für sie steht fest: Der Erlass muss wieder zurückgenommen werden.
Wolfram Hammer