Home-Schooling: Experten aus Ostholstein und Lübeck geben Tipps

Marie Kamke (10) besucht die fünfte Klasse am Gymnasium am Mühlenberg. Eigentlich. Ihr Bruder Max (7) besucht die zweite Klasse in der Grundschule Bad Schwartau. Eigentlich. Eigentlich sollte am Montag, 11. Januar, der Präsenzunterricht wieder beginnen, doch daraus wird vorerst nichts. Wer keine Abschlussklasse besucht, wird seine Klassenkameraden bis Februar vermutlich nur in Videokonferenzen sehen, wenn überhaupt. Ein Großteil der Schülerinnen und Schüler wird seine Aufgaben in den kommenden Wochen wie Marie und Max zu Hause erledigen müssen. Auch ältere Schüler brauchen Ansprechpartner: „Es ist eine Illusion, dass das Lernen zu Hause vollkommen selbstständig läuft. Gerade bei den Kleinen“, sagt Tina Kamke. Die 42-Jährige ist Grundschullehrerin und Mutter von drei Kindern, neben Marie und Max ist das der vierjährige Paul. Die Kinder bräuchten einen Ansprechpartner, sei es bei Fragen zu den Aufgaben oder wenn die Technik mal den Geist aufgibt, die Internetverbindung die Video-Konferenz vorzeitig beendet. „Ich habe es aufgegeben, während der Lernzeiten etwas anderes tun zu wollen“, sagt die Bad Schwartauerin. Im Flur zwischen den Kinderzimmern Wäsche zusammenzulegen, das ginge manchmal noch. Denn natürlich fordert auch der vierjährige Paul Aufmerksamkeit. „Allen Kindern gerecht werden, das ist die größte Herausforderung“, sagt Tina Kamke. Sie selber ist an drei Tagen in der Woche zu Hause. An den beiden Vormittagen, an denen sie für die Notbetreuung in der Lübecker Grundschule Schönböcken zuständig ist, ist ihr Mann Nils (46) bei den Kindern. Der Rechtspfleger hat die Möglichkeit, sich seine Arbeitsstunden am Lübecker Amtsgericht auch mal aufs Wochenende oder in den Abend schieben zu können. „Wir haben das Glück, uns so aufteilen zu können“, sagt das Paar. Doch auch sie als Familie hätten das Homeschooling erst lernen müssen. Was ihnen hilft: Struktur im Tagesablauf. „Gerade jetzt nach den Ferien müssen wir uns da aber wieder reinfuchsen“, sagt die 42-Jährige, die sich noch an den ersten Lockdown erinnert, „als sich die Schul-Zeit bei uns manchmal über den ganzen Tag gezogen hat“. Morgens nicht trödeln: Struktur ist auch für Torsten Hardt, Schulleiter der Elisabeth-Selbert-Gemeinschaftsschule (ESG) in Bad Schwartau, unabdingbar. „Man sollte genauso aufstehen, wie wenn man zum Unterricht in die Schule geht“, erklärt der Pädagoge. An seiner Schule orientiere sich auch die digitale Lern-Plattform, die die Fünft- bis Zehntklässler nutzen, am jeweiligen Stundenplan. „ So ist der Vormittag strukturiert, der Nachmittag sollte dann frei sein“, sagt Torsten Hardt. Eltern sollten darauf achten, dass jedes Kind einen eigenen Arbeitsplatz hat und dort die geordneten Materialien für den jeweiligen Tag bereitliegen. Und: „Häufig sind Eltern ehrgeiziger als Lehrer“, sagt Hardt. „Die Eltern sollten aber nicht mehr Aufgaben stellen als gefordert. Die Kollegen haben sich schon etwas dabei gedacht“, so sein Appell. Zudem sei es wichtig, dass aufgrund der Schulaufgaben nicht Konflikte zwischen Eltern und Kindern entstünden. „Diesbezügliche Schwierigkeiten sollten immer mit den Lehrkräften geklärt werden“, sagt der Schulleiter, der da auch die Schulen in der Pflicht sieht, klare Kommunikationsstrukturen zu schaffen. 1. Eine klare Struktur: Arbeitszeit und -ort sollten möglicht immer gleich und vorab festgelegt sein. Ablenkungen durch Handys, Radio, Fernsehen oder Spielekonsolen möglichst vermeiden. 2. Lernziele: Ein Tagesplan kann helfen, die Aufgabenmenge übersichtlicher zu gestalten, erklärt Lehrerin Tina Kamke. 3. Freiräume schaffen: Auf eine Lernphase sollte eine aktive Pause folgen, die Spaß macht und Bewegung bringt, empfiehlt Kinderarzt Dr. Thomas Parlowsky. Nur so tritt Entspannung ein. 4. Motivation: Bestätigung ist wichtig, damit die Kinder merken, dass das, was sie erarbeitet haben, auch gesehen wird. 5. Kommunikation: Schwierigkeiten sollten mit der Schule besprochen werden, damit keine Konflikte in den Familien entstehen. Auch der Kontakt zu Klassenkameraden ist wichtig. So könnten fachliche Probleme auch mal über Facetime in kleinen Lerngruppen erörtert werden, schlägt Schulleiter Torsten Hardt vor. Kontrolle dient der Motivation: Auch Tina Kamke findet die Kommunikation mit den Lehrkräften enorm wichtig. „Fehlende Kontrolle gleich fehlende Motivation“, sagt sie. Für die Motivation der Kinder sei es enorm wichtig, dass sie merken, ihre im Homeschooling erbrachten Leistungen würden auch gesehen. „Am besten ist eine zeitnahe Rückmeldung seitens der Schule, vielleicht in Form einer kleinen Videokonferenz oder eines Telefonats“, erklärt die Lehrerin. Aber auch die Eltern sollten ihre Kinder loben. Vielleicht in Form einer aktiven Pause, eines Spaziergangs, um den Bewegungsdrang auszuleben. Kurze Konzentrationsspanne berücksichtigen: Die Wichtigkeit dieser spielerischen Unterbrechung der Lernphasen betont auch der Lübecker Kinderarzt Dr. Thomas Parlowsky. „Die Konzentrationsspanne bei Grundschülern liegt bei etwa 20 Minuten“, erklärt der Mediziner. Das Alter des Kindes mal zwei laute die grobe Faustregel. „Nach einer für uns Erwachsene relativ kurzen Zeit sollte also eine aktive Pause folgen“, sagt Parlowsky. Bei der Gestaltung der Pausen sollten die Kinder einbezogen werden, je nach Neigung ein Spaziergang um den Block oder ein Spiel. „Es sollte den Kindern Freude machen, damit auch wirklich eine Entspannung eintritt“, erläutert der Experte. Lesen Sie auch Ostholsteins Schulen sind dicht: So läuft das Homeschooling bei Familie Fürst Eutin: Corona-Fälle in zwei Krankenhäusern Eutin: Im Fitnessstudio halten sich nur noch die Trainer fit Aufgaben täglich einteilen: Einige Vorschläge hat Tina Kamke, die sie von Kollegen übernommen hat: „Mein Sohn sollte beispielsweise im ersten Lockdown Stöcker sammeln und daraus ein Xylofon basteln. Oder aus Naturmaterialien eine Frühlingscollage. Das geht auch jetzt im Winter.“ Auch für die Arbeit am Schreibtisch hat sie einen Tipp: „Wer Arbeitsaufträge für eine ganze Woche bekommt, kann diese mit den Kindern in kleinere Tagespläne unterteilen.“ So wirkten die Aufgaben überschaubarer. Max jedenfalls freut sich über jedes Häkchen, das er hinter eine erledigte Aufgabe setzen kann. Und so arbeitet sich die Familie von Häkchen zu Häkchen, bis Anfang Februar dann der Präsenzunterricht wieder starten soll. Eigentlich. Von Ilka Schmidt-Martens