Ostholstein-Corona: Gehen Risikogruppen in häuslicher Pflege bei Impfung leer aus?

Peter Beeck gehört mit seinen 85 Jahren per se schon mal zur Risikogruppe. Weil der Bad Schwartauer mit einer Lungen- und einer Herzerkrankung und nach mittlerweile zwölf schweren Operationen rund um die Uhr der häuslichen Pflege bedarf, „gehört er sogar zur Hochrisikogruppe“, sagt seine Frau Helga Beeck, die ihren Mann seit drei Jahren pflegt. „Er gehört zu denen, die ganz oben stehen auf der Prioritätenliste bei der Corona-Impfung“, sagt Helga Beeck, „aber in der Realität hat er aktuell gar keine Chance, eine Impfung zu bekommen, selbst dann nicht, wenn genügend Impfstoff da wäre.“ Grund dafür ist, dass offenbar keine Pläne existieren für Impfungen von nicht mobilen Bürgern in häuslicher Pflege, die nicht in der Lage sind, Impfzentren aufzusuchen. Aktuell kein Plan für Impfung von Bürgern in häuslicher Pflege: „In der Tat erreichen uns aktuell sehr viele Anfragen von Bürgern, die genau dieses Problem beschreiben“, erklärt Nikolaus Schmidt, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung in Schleswig-Holstein (KVSH). Für die Impfung der Bewohner in Alten- und Pflegeheimen werden mobile Impf-Teams im Einsatz sein, „aber für Bürger in häuslicher Pflege gibt es aktuell keine Lösung“, erklärt Nikolaus Schmidt und betont, dass die Kassenärztliche Vereinigung nur für die Vergabe der Impftermine in den Impfzentren und für die Rekrutierung von Fachpersonal für die Impfung zuständig sei. Der administrative Teil der Impfkampagne mit der Planung und Logistik liege in der Verantwortung des Kieler Ministerium für Gesundheit und Soziales. Zwar wurde am 4. Januar mit den Corona-Impfungen in Ostholstein begonnen – allerdings nur in Eutin, in einem der drei Impfzentren im Kreis. Der Starttermin für die beiden anderen Impfzentren in Lensahn und in Bad Schwartau ist noch offen aufgrund der unzureichenden Mengen an Impfstoff. Angedacht sei der Impfstart in den beiden anderen Zentren erst Anfang Februar. „Das ist einfach unfassbar, wie viel Zeit verschwendet wird dadurch, dass die Regierung solche gravierenden Fehler macht bei der Beschaffung von Impfstoff für die Bevölkerung“, sagt Helga Beeck, „und dann noch in einem Land, in dem der Impfstoff entwickelt wurde mit Millionen von Euro an Förderung aus Steuergeldern.“ 80 Prozent der Pflegebedürftigen leben zu Hause: Den Impfstart in Deutschland bezeichnet Helga Beeck, die sich als Christdemokratin 25 Jahre in der Bad Schwartauer Kommunalpolitik engagiert hat, als „eine Katastrophe“. Ihr Mann sei ein Beispiel für „ganz viele Angehörige einer Risikogruppe, die bei der konkreten Planung der Impfung vergessen wurden“, kritisiert Helga Beeck. Nikolaus Schmidt bestätigt, dass rund 80 Prozent aller Pflegebedürftigen im häuslichen Umfeld versorgt werden. Ein mobiler Pflegedienst kommt täglich vorbei, um Helga Beeck bei der Pflege für ihren Mann zu unterstützen. Dieser Pflegedienst hat 30 Mitarbeiter, jeder davon betreut 20 pflegebedürftige Personen – „das sind schon mal 600 Personen in häuslicher Betreuung in Bad Schwartau“, rechnet Helga Beeck vor, „600 mindestens, denn es gibt ja noch mehr mobile Pflegedienste.“ Ohnehin gilt die größte Stadt des Kreises mit über 20 000 Einwohnern als Seniorenstadt, denn ein Drittel der Einwohner ist über 65 Jahre und älter. Seit einer Woche versucht Helga Beeck, über die Hotline einen Impftermin für sich im Impfzentrum zu bekommen, „aber man hat so gut wie keine Chance“, sagt sie, „und mein Mein hat erst recht keine Chance, weil er eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung braucht und gar kein Impfzentrum aufsuchen kann.“ Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) ist die ärztliche Selbstverwaltung und Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Sitz in Bad Segeberg. Sie vertritt die Interessen der rund 5800 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten, die in Schleswig-Holstein gesetzlich Versicherte behandeln. 3000 Ärzte und 2000 medizinische Fachkräfte haben sich laut KVSH-Sprecher Nikolaus Schmidt bis jetzt freiwillig bereiterklärt, die Impf-Kampagne in Schleswig-Holstein zu unterstützen. „Am Personal liegt es nicht“, sagt Schmidt, „wenn genug Impfstoff da wäre, könnten der Großteil der Bevölkerung bis zum Sommer durchgeimpft sein“. Carina Leonhardt, Sprecherin des Kreises Ostholstein: „Wir als Kreis stellen lediglich die Gebäude für die Impfzentren zur Verfügung, die Termine für die Impfungen selbst organisiert allein die Kassenärztliche Vereinigung“, erklärt Carina Leonhardt. Allerdings sei dem Kreis bekannt, dass die Freigabe der Impftermine „immer noch sehr kurzfristig“ erfolge aufgrund zu geringer Impfstoffmengen. Termine für Personen mit dem Lebensalter jenseits der 80 und sonstige Berechtigte können ab sofort unter www.impfen-sh.de oder über die Hotline 116 117 gebucht werden. Es wird darum gebeten, vorzugsweise die online-Version zur Anmeldung zu nutzen. Peter Beeck sagt, er fühle sich „abgehängt und ein bisschen wie in einem Vabanquespiel“, einem riskanten Glücksspiel. Sie selbst fühle sich auch mit 80 noch relativ fit, sagt Helga Beeck, „um mich geht es auch gar nicht, aber es geht mir um meinen Mann und all die anderen Bürger, die auch in so einer Lage sind wie er. Sie alle gehören zu einer Risikogruppe, aber fallen trotzdem durchs Raster, weil eine mobile Impfung für Personen in häuslicher Pflege einfach nicht vorgesehen ist.“ Lesen Sie auch Graffiti-Sprayer in Bad Schwartau auf frischer Tat ertappt Bismarcksäule in Groß Parin bleibt weiter gesperrt Ostholstein: Mehr Anträge auf Kurzarbeit Helga Beeck will auch weiterhin täglich die Hotline anrufen, um einen Impftermin für sich zu bekommen und immer wieder daran erinnern, dass es keinen Impf-Plan für Risikogruppen in häuslicher Pflege gibt. „Das ist einfach unbegreiflich, dass es so etwas nicht gibt in einem Land wie Deutschland“, sagt Helga Beeck, „genau genommen ist das fahrlässig, denn hier geht es für viele Menschen wirklich um Leben und Tod.“ Von Doreen Dankert