Ostholstein: Lebenshilfe warnt vor Lockdown-Schäden für Kinder

Für Kinder geht es immer um die Zukunft. Und für die von der Lebenshilfe Ostholstein betreuten Kinder ganz besonders. 140 Betreuungsmaßnahmen für Schüler zur Schulbegleitung im gesamten Kreis hat die Lebenshilfe. Dabei handelt es sich um Eins-zu-eins-Betreuungen, von denen jetzt im Lockdown etwa 25 bis 30 Prozent von den Eltern für ihre Kinder in Anspruch genommen werden. Dazu kommen noch einmal rund 70 Kita-Kinder, die im Rahmen der interdisziplinären Frühförderung betreut werden. Hier liegt die Auslastung bei der Betreuung bei 100 Prozent, sagt Lebenshilfe-Vorstand Susanne Voß. Das sind Kinder im Alter von null Jahren bis zum Schuleintrittsalter, die speziell gefördert werden, „um ihnen die bestmöglichen Chance im Leben zu eröffnen.“ Nach wie vor sei die Betreuungssituation für die Kinder schwierig, ganz besonders bei den Maßnahmen zur Schulbegleitung, sagt Susanne Voß, „und die Corona-Zeit hat bei vielen Kindern schon deutliche Spuren hinterlassen.“ Die Rede ist von mental-psychischen Spuren, die „sichtbar“ werden im Verhalten der Kinder. Zum Beispiel in Unsicherheit in der Interaktion mit anderen und im Unterdrücken von Grundbedürfnissen und Gefühlen, wenn ein Kind sich dazu zwingt – oder genauer gesagt zwingen muss – einen Freund nicht zu umarmen. Eigentlich eine ganz normale Sache, die einem tiefen menschlichen Bedürfnis entspringt, sagt Susanne Voß, „aber wenn Kinder, die noch mitten in der Entwicklung sind, lernen sollen, das genau das falsch ist, „dann hat das gravierende Folgen für die Entwicklung.“ Bei einem Kind seien diese Folgen noch größer als bei Erwachsenen, weil die größere rationale Welt der Erwachsenen mehr Erklärbarkeit erlaubt als die Welt eines Kindes. Im ersten Lockdown vor knapp einem Jahr war die Lage für die Betreuung der Kinder durch die Lebenshilfe ganz anders: „Da durften wir gar nicht in die Familien“, sagt Susanne Voß. Seitens der Kieler Landesregierung wurde eine Betreuung verboten. „Dabei geht es in diesen Fällen darum, eine Beeinträchtigung oder Behinderungen bei den Kindern für die Zukunft möglichst abzuwenden oder zumindest abzumildern“, erklärt Susanne Voß, „und dabei spielen Wochen und Monate eine riesengroße Rolle, deshalb ist es so wichtig, dass unsere Mitarbeiter zu diesen Kindern kommen können.“ Ein Drittel der Mitarbeiter sind in Kurzarbeit: Dadurch, dass ein auch nur annähernd normaler Schulbetrieb seit Monaten nicht möglich ist, haben die meisten der Schulbegleiter keine Chance, mit den Kindern zu arbeiten. Da aufgrund des Lockdowns eine Betreuung in der Schule selbst nicht möglich ist, kann die Betreuung der Schulkinder zur Zeit nur in den Familien unter strenger Einhaltung aller Corona-Regeln stattfinden. Das allerdings ist anhängig von der Erlaubnis der Eltern. „Da gibt es sehr viele Eltern, die das ablehnen, weil sie nicht wollen, dass eine andere Person zu ihnen nach Hause kommt“, erklärt Susanne Voß. „Und viele Eltern lehnen das auch ab aus Angst vor Corona“, fügt Catharina Witaszak, Sprecherin der Lebenshilfe, hinzu. Damit sind der Lebenshilfe Ostholstein die Hände gebunden. Nur maximal 30 Prozent, also rund 40 Kinder von 140 Kindern im schulpflichtigen Alter von Klasse 1 bis 6, werden aktuell gefördert auf ihrem Weg ins Leben. Diagnostik-Stau bei kleinen Kindern wegen Corona: Neben den Schulkindern gibt es noch eine andere Gruppe von Kindern, die dringend auf Hilfe angewiesen ist: die ganz Kleinen in der Frühförderung. Auch dort gibt es ganz erhebliche Defizite, sagt Susanne Voß. Durch die Beschränkungen, Verbote und die damit verbundenen Zeitverzögerungen im Corona-Jahr 2020 „ist es im Sommer zu einem richtigen Diagnostik-Stau gekommen“, erklärt Voß, „denn es wurden ja trotzdem Kinder geboren, die im Hinblick auf Frühförderung diagnostiziert werden müssen.“ „Walk & Talk“ ist ein neues Angebot der Lebenshilfe speziell für die kontaktbeschränkte Zeit des Lockdowns. Das Angebot richtet sich an Eltern mit Kindern im Alter von bis zu zwei Jahren, die Lust auf Kontakt und Austausch zu Familienthemen haben. Den bekommen sie bei einem verabredeten Spaziergang mit einem Betreuer der Lebenshilfe. Unter der Nummer 04 51/292 93 28 kann ein Termin vereinbart werden. Weiterhin beratend zur Seite stehen die Familienhelferinnen und Familienhebammen der Lebenshilfe unter Einhaltung aller Hygieneregeln. Der Kontakt erfolgt ebenfalls über die Nummer 04 51/292 93 28 montags bis freitags von 9 bis 13 Uhr und mittwochs zusätzlich von 13 bis 15 Uhr oder per Mail an familienzentrum@lebenshilfe-ostholstein.de Es gebe also laut Susanne Voß etliche Kinder, die frühestmöglich speziell gefördert werden müssen, es aber nicht werden, weil sie als Folge des Corona-Chaos immer noch in der Warteschleife der Diagnostik festhängen. Die zuständigen Gesundheitsämter sind fast ausschließlich mit dem Thema Corona beschäftigt. Lebenshilfe-Vorstand warnt vor Spätfolgen mangelnder Förderung: „Wir könnten und müssten viel mehr als 70 Kindern in der interdisziplinären Frühförderung betreuen“, sagt Susanne Voß. Doch jeder Förderung geht eine Diagnose voraus. „Und eine mangelnde Förderung zieht verspätete Lernprozesse nach sich“, sagt Voß, die aufgrund der anhaltenden Corona-Situation auch in diesem Sommer einen Diagnostik-Stau erwartet, der auf den Stau von 2020 trifft. „Da bahnt sich richtig was an“, ergänzt Susanne Voß, „denn es werden ja immer Kinder geboren.“ Der Diagnostik-Stau werde immer länger und die Zahl der abgehängten Menschen immer größer. Lesen Sie auch Curau Diebestour über Golfplätze: Teure Schläger gestohlen Warten auf Corona-Hilfen: Warum ein Restaurant durchs Raster fällt Susanne Voß warnt: „Die mangelnde Betreuungs- und Förderungssituation wird keine guten Folgen haben für die Familien und Menschen mit Beeinträchtigungen, aber so richtig merken werden wir die negativen Folgen erst später.“ Von Doreen Dankert