Ostholstein: Propst Süssenbach über Weihnachten in Corona-Zeiten

Fast täglich ändert sich die Lage, auf die der Kirchenkreis Ostholstein reagieren muss. Viele Kirchengemeinden haben ihre Gottesdienste daher bereits abgesagt und ins Internet verlegt. Die Corona-Krise verlangt Haupt- und Ehrenamtlern viel ab. Das bemerkt auch Propst Dirk Süssenbach. Er sorgt sich angesichts der Dauer der Pandemie um die Kraftreserven vieler Menschen und bemerkt eine steigende Nachfrage im Bereich der Seelsorge. Lübecker Nachrichten: Nach derzeitigem Stand dürfen an Weihnachten 50 Leute in den Kirchen zusammenkommen. Aber sind nicht 50 Gottesdienstbesucher angesichts der Pandemielage immer noch zu viele? Propst Süssenbach: Erst mal kann ich sagen, dass in ganz vielen Dorfgemeinden im Land bei Einhaltung der Abstandsgebote ohnehin keine 50 Personen in die Kirchen passen. Das ist auch der Grund, warum man sich nicht kirchenleitend entscheiden konnte, generell alle Gottesdienste abzusagen oder an ihnen ohne Ausnahme festzuhalten. Ich kann gut verstehen, dass einige Gemeinden auf andere Formate setzen. Es wird ja kein Gottesdienst ohne Ersatz abgesagt. Es geht vielmehr darum, mit anderen Möglichkeiten die weihnachtliche Geschichte des Trostes und der Hoffnung zu den Menschen zu bringen. Und da gibt es viele Ideen und Möglichkeiten. Über Ostern stand die Welt schon einmal still. Die Kirchen mussten geschlossen bleiben. Haben Sie damals für möglich gehalten, dass Weihnachten ebenso brisant wird? Nein, das hab ich nicht erwartet. Vielleicht war ich da auch etwas naiv. Als die ersten Teillockdown-Entscheidungen gefallen sind, bin ich davon ausgegangen, dass wir natürlich Weihnachten vor allem mit Präsenzgottesdiensten feiern werden. Dass sich die Situation so zuspitzt, damit habe ich nicht gerechnet. Meine Tochter ist derzeit in Schottland und wir wollten sie nach Weihnachten besuchen. Allein das zeigt, dass ich das etwas unterschätzt habe. Das kann ich ehrlich zugeben. Wir haben darüber immer mal Späße gemacht, was wohl wäre, wenn man alle Pläne kurz vor Heiligabend noch einmal umwerfen müsste. Für real hab ich das als Szenario zu dem Zeitpunkt nicht gehalten. Als 1527 die Pest in Wittenberg ausbrach, schrieb Martin Luther: „Wenn Gott tödliche Seuchen schickt, will ich Gott bitten, gnädig zu sein und der Seuche zu wehren. Dann will ich das Haus räuchern und lüften, Arznei geben und nehmen, Orte meiden, wo man mich nicht braucht, damit ich nicht andere vergifte und anstecke und ihnen durch meine Nachlässigkeit eine Ursache zum Tode werde. Wenn mein Nächster mich aber braucht, so will ich weder Ort noch Person meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen. Siehe, das ist ein gottesfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn und dumm und dreist ist und Gott nicht versucht.“ Einige Kirchengemeinden werden auf eine Übertragung via Internet ausweichen. Hat sich die Kirche in technischer Sicht durch die Pandemie ungewollt schnell entwickelt? Wir hätten uns ganz vieles im digitalen Raum vorher so nicht getraut. Das ist wie eine ganzjährige Digital-Fortbildung, die wir erleben. Gut, dass wir es gewagt haben. Aber man kommt auch hin und wieder an Grenzen. Manchmal merken wir jetzt, dass uns an der einen oder anderen Stelle eine professionelle Fortbildung guttut oder noch fehlt. Vieles wird auch nach der Pandemie bleiben, gerade im Bereich der Video-Sitzungen. Darüber bin ich sehr froh, weil wir eine Scheu vor den neuen Medien hatten. Über die Hemmschwelle sind wir nun hinüber. Lesen Sie auch Heiligabend in der Kirche: Viele Gemeinden in Ostholstein feiern Open-Air Eutin wehrt sich gegen Impfgegner-Demo Propst Süssenbach über Ostern in Corona-Zeiten: „Geschlossene Kirchen, das tut weh“ Ist es das herausforderndste Jahr ihrer Amtszeit? Ich glaube es ist ein besonders herausforderndes Jahr auf allen Ebenen in unserer Kirche. Ich nehme wahr, dass die ehrenamtlichen Helfer bei den Gottesdiensten und in den Kirchengemeinderäten an eine Belastungsgrenze kommen. Auch im Bereich der Kindergärten wurde den pädagogischen Kräften viel abverlangt. Dass wir mit Kirchensteuerausfällen durch den Einbruch der Wirtschaft von 20 bis 25 Prozent über die nächsten zwei, drei Haushaltsjahre zu tun haben, ist ebenso eine riesige Herausforderung. Ich nehme auch wahr, dass die Pastorinnen und Pastoren sich im Frühjahr schnell der veränderten Bedingungen angenommen haben. Sie haben sich sehr reingekniet und müssen diesen Kraftakt mit ständigen Umplanungen nun in dieser zweiten Welle noch mal schaffen. Dass das auch an Erschöpfungsgrenzen führt, gerade die viele Unsicherheit, nehme ich im hauptamtlichen sowie im ehrenamtlichen Bereich wahr. Und das sorgt mich. Hat die Kirche in der Corona-Krise eine wachsende Bedeutung für die Menschen bekommen? Das nimmt man nicht über Wiedereintrittszahlen wahr. Aber man nimmt wahr, dass Themen, auf die hin man angesprochen wird, sich verändert haben. Auf einmal sprechen wir über Werte, über das, was im Leben kostbar ist und Sinn gibt. Auch ethische Grundsatzfragen werden in anderer Häufigkeit und an ungewöhnlichen Orten diskutiert. Wenn ich meinen Wocheneinkauf auf dem Markt mache, komme ich häufiger mit Menschen ins Gespräch. Die Frage der Einordnung der Pandemie ist für sie von erheblicher Bedeutung. Es wird klar, mit wie vielen Dingen wir uns oft beschäftigen, die nicht diese ganz große Wichtigkeit verdienen. Da wird auch wieder was geradegerückt, was sonst in sorgenfreien Wohlstandsjahren vielleicht in seiner Bedeutsamkeit etwas überschätzt wird. Viele haben zu Hause niemanden, mit dem sie darüber sprechen können. Wie helfen Sie diesen Menschen? Wir spüren schon, dass die Nachfrage im Bereich seelsorgerlicher Gespräche und Beratung gewachsen ist. Gerade in Krisenzeiten treten in Familien, aber auch bei einzelnen Menschen, besondere und nicht immer unproblematische Eigenheiten deutlicher zutage. Die Beratungsstellen arbeiten jetzt vermehrt telefonisch und per Video-Sitzung mit den Menschen. Viele machen da auch Überstunden, weil der Unterstützungsbedarf so groß ist. Die Anfragen gehen durch alle Generationen und Themenfelder. Was raten Sie, um den Glauben an das Gute nicht zu verlieren? Ich glaube jede Krise löst Reaktionen in zwei Richtungen aus. Entweder Menschen kommen an ihre Grenzen oder sie wachsen über sich hinaus und zeigen nie gekannte Stärken und beweisen Alltagsmut. Wir erfahren, wo das Gute gewinnt und Raum hat. Und das Gute hat für mich als Theologe natürlich auch immer etwas mit dem Wirken Gottes durch seinen Heiligen Geist zu tun. Ich finde es gibt viele tolle Geschichten von Solidarität und beispielhafter Verantwortungsübernahme, die den Glauben an das Gute stärken. Leider gibt es auf der anderen Seite aber auch bedenkliche Entwicklungen. In Eutin haben sich christliche Gemeinschaften an einer Demo gegen die Corona-Politik beteiligt. Wie stehen Sie dazu? Dazu habe ich ein Zitat von Martin Luther rausgesucht (siehe Infokasten). Das finde ich nach wie vor brandaktuell. Es ist eine Empfehlung, dass man sich als Christ nicht tollkühn, dumm und dreist verhalten und andere gefährden soll – und auch Gott durch Leichtsinn nicht versuchen und herausfordern soll. Da schwingt mit, dass man die Pest, heute Corona, ernst nehmen soll. Ich glaube das beschreibt eine Haltung, die uns als Christen guttut. Die Krankheit nicht zu unterschätzen und nicht durch die Welt zu laufen, als sei da keine Bedrohung. Ich habe persönlich gar kein Verständnis für extremistisch wirkende Gruppen, die an dieser Stelle die Gefahr negieren, kleinreden und bagatellisieren. Von Olaf Bartsch und Maike Wegner