Ausgrabungen im Duvenseer Moor: Im Wohnzimmer des Steinzeit-Menschen

Zwölf junge Leute im Zelt im Duvenseer Moor – was sich nach fröhlichen Urlaubstagen anhört, ist in Wirklichkeit harte Arbeit: Die jungen Leute sind studentische Hilfskräfte des Zentrums für baltische und skandinavische Archäologie (ZBSA) in Schloss Gottorf und graben unter Leitung der wissenschaftlichen Projektleiter Dr. Harald Lübke und Dr. Daniel Groß nach Spuren aus der mittleren Steinzeit. Diese Epoche liegt zwar schon über 10 000 Jahre zurück, lässt sich aber in Duvensee so eindrucksvoll entschlüsseln, dass die Wissenschaft gar von einer „Duvensee-Kultur“ spricht. Die Grabungen erfolgen im Rahmen eines Großprojekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Sonderforschungsbereich 1266), das den Lebensbedingungen der Jäger und Sammler der Vorzeit nachspürt. Der ungefähr 4,3 Quadratkilometer große Duvensee – über die Jahrhunderte verlandet und heute ein Moor – wies damals mehrere Inseln auf, die den Nomaden im Sommer geschützte Wohnplätze boten. Weltberühmt: das Duvenseer Paddel: Schon seit fast 100 Jahren wird hier mitten im Amtsbereich Sandesneben-Nusse wissenschaftlich gegraben. Und schon 1923 gab es eine Sensation: das Duvenseer Paddel wurde freigelegt, eines von weltweit zwei Beweisstücken, dass auch die Jäger und Sammler der Vorzeit schon auf Wasser unterwegs waren. Lübke und Groß setzen heute die Arbeit fort, die vor allem mit dem Namen Dr. Klaus Bokelmann verbunden ist, der von 1966 bis zu seinem Ruhestand 2002 die Ausgrabungen in Duvensee koordiniert hat. „Wie die Menschen gelebt, sich ernährt und wie sie gearbeitet haben, diese Fragen stehen nach wie vor im Mittelpunkt unserer Forschungen“, sagt Grabungsleiter Groß. Dazu bearbeitet sein Team eine Fläche von gerade einmal 24 Quadratmeter, die aber besonders ergiebig ist. Zum einen durch einen glücklichen Zufall: Weil der Landwirt, dem der Acker gehört, in den 1970-er Jahren eine Mergelschicht aufgebracht hatte, um den weichen Moorboden zu stabilisieren. „Das hat den schönen Nebeneffekt, dass die Funde aus der Steinzeit unterhalb der Schicht nicht durch die landwirtschaftliche Bearbeitung der folgende Jahrzehnte verstreut oder zerstört wurden“, erläutert Harald Lübke. Zum anderen weist die kleine Fläche in einer Tiefe von ca. einem halben Meter zwei Feuerstellen auf, zeigt also nicht ein zufälliges Lager, sondern vermutlich eine planvoll angelegte Wohn- und Arbeitsstelle. Bereits 10 000 Funde seit 2017: Daraus erklärt sich die Fülle von rund 500 Funden auf einem Quadratmeter, zumeist Feuersteine, dazwischen eine feste, mit einer Sandschicht ausgekleidete Feuerstelle mit gerösteten Haselnuss-Resten und Holzkohle. Die zweite Feuerstelle wurde zwei Meter daneben entdeckt. Und dann zeugt noch eine Abfallstelle mit Elch- und Rothirschknochen von der Speisekarte der Bewohner. Insgesamt 10.000 Funde wurden hier gehoben, seit der Wohnplatz 2017 entdeckt wurde. „Wir schauen praktisch ins Wohnzimmer der Steinzeitmenschen“, umreißt Gr0ß seine Bedeutung. Beilköpfe, Pfeilspitzen und eine Vielzahl von Abschlägen und Absplitterungen der Feuersteine lassen nachvollziehen, wie Jagdwaffen und Arbeitsgeräte hergestellt wurden. Am Montag, 9. November, 19.30 Uhr, berichtet Projektleiter Dr. Daniel Groß im Gemeindezentrum Labenz über die aktuellen Grabungen im Duvenseer Moor. Der Eintritt ist frei. Interessenten müssen sich bei Gerd Vogler unter gerd.vogler@duvenseermoor.de oder Renate Andresen unter renate.andresen@gmx.de anmelden. Jeder Fund wird über eine Totalstation eingemessen, dann auf einer Karteikarte beschrieben, gewaschen, in eine Tüte verpackt und in eine Datenbank eingetragen. Jeder der Mitarbeiter bearbeitet eine Fläche von ca. einem Quadratmeter. Den ganzen Tag über bei feuchtkaltem Wetter auf Knien den Boden zentimeterweise vorsichtig abzutragen verlangt Kondition und Hingabe an einen besonderen Beruf. Die Ausgräber sind allesamt Studierende der Archäologie bzw. Vor- und Frühgeschichte an den Universitäten Kiel oder Hamburg. Der sechswöchige Einsatz in Duvensee zählt als Praktikum. Julia Hochholzer, zum Beispiel, Masterstudentin in Kiel, hat vorher in München studiert und schon in Bayern an Ausgrabungen zum Flintabbau teilgenommen. Im Norden kann sie nun die Verarbeitung der Flintsteine weiterverfolgen und eventuell in ihrer Masterarbeit verwerten. Lesen Sie auch Das Duvenseer Moor wird wieder nass: Neue Heimat für Vögel und Frösche Blunck-Umweltpreis für Verein „Duvenseer Moor“ Von Matthias Schütt