Bombenentschärfung in Geesthacht: Blindgänger immer gefährlicher

Wieder ein Bombenfund im Neubaugebiet in der Hafencity, wieder müssen Geesthachter aus ihrer Wohnung evakuiert. Warum der ganze Aufwand, könnte man jetzt fragen. Die Bombe ist doch 75 Jahre nicht detoniert – warum sollte sie also jetzt auf einmal gefährlich sein? Mark Wernicke vom Kampfmittelräumdienst Schleswig-Holstein kennt sich mit Entschärfungen und Sprengungen aus. Zuerst stellt er klar: Dass der Blindgänger „bei Bauarbeiten gefunden“ wurde, bedeutet in diesem Fall nicht, dass Arbeiter auf der Baustelle zufällig auf die Munition gestoßen wären. Bereits vor Beginn der eigentlichen Bauarbeiten war klar, dass sich auf dieser Fläche Sprengsätze aus dem 2. Weltkrieg befinden könnten. Zu dieser Zeit befanden sich dort die Rüstungsfabriken Düneberg und Krümmel – es war der einzige Luftangriff auf Geesthacht. Die Fläche, in der auf der Hafencity neu gebaut werden soll, wurde im Vorfeld „sondiert“, das heißt: Es wurden in dichten Abständen Löcher in den Boden gebohrt und das Erdreich so nach Anomalien und Metall im Boden abgesucht, die auf eine Bombe hindeuten könnten. Zünder mit den Jahren immer empfindlicher: Der Blindgänger, der am Freitag entschärft wird, hat zwei Aufschlagzünder, einen am Kopf und einen am Heck der Bombe. Theoretisch ist sehr viel Energie notwendig, damit die detonieren. Mark Wernicke erklärt aber, warum sie trotzdem mit den Jahren immer gefährlicher werden: Der Sprengstoff im Zünder, im sogenannten Detonator, der die Hauptlast an Sprengstoff im Körper der Bombe auslösen soll, wird mit den Jahren kristallin. Dadurch ist er noch empfindlicher für äußere Einwirkungen wie Erschütterungen – zum Beispiel durch Bauarbeiten. Besonders gefährlich seien Bomben mit einem chemisch-mechanischen Langzeitzünder. Diese Munition ist nicht direkt nach dem Abwurf detoniert, sondern erst Stunden oder sogar Tage später. Bergungsarbeiten sollten damit unmöglich gemacht werden. Aufschlagzünder wie bei dem Blindgänger, der am Freitag in Geesthacht entschärft wird, funktionieren über eine Zündkette. Durch den Aufschlag schiebt sich die Zündnadel nach vorne auf das Zündplättchen. Dadurch lodert eine kleine Flamme auf, die den hitzeempfindlichen Sprengstoff im Detonator auslöst, der wiederum mit seiner Energie die Detonation des weniger empfindlichen Sprengstoffs im Körper der Bombe auslöst. Chemisch-mechanische Langzeitzünder sind meist im Heck der Bombe eingebaut, damit sie nicht schon beim Aufschlag beschädigt werden. Der Schlagbolzen wird durch Zelluloidscheiben gehalten, über denen sich eine mit Aceton gefüllte Glasampulle befindet. Die Glasampulle wird bei oder während des Abwurfs zerstört, das austretende Aceton löst die Zelluloidplättchen auf. Je nachdem, wie dick die Zelluloidschicht ist, wird der Schlagbolzen nach einigen Stunden oder Tagen freigegeben und bringt die Bombe zur Detonation. Der Wasserschneider ist wieder dabei: Das Gefährliche an dieser Zündart: Das Material der Bombe wird mit den Jahren und Jahrzehnten immer instabiler und brüchiger. Auch wenn das Aceton, das in einer Glasampulle in den Zünder eingebaut ist und die Detonation auslösen sollte, nicht sofort seinen Zweck erfüllt hat, verdampft es langsam. Das bedeutet, dass diese Bomben früher oder später auf jeden Fall explodieren, wenn der Kampfmittelräumdienst sie nicht vorher unschädlich macht, denn auch die Dämpfe können den Zünder am Ende auslösen. Weil diese Sprengsätze besonders gefährlich sind, werden sie meistens nicht entschärft, sondern kontrolliert gesprengt, erklärt Experte Mark Wernicke. Bei der Bombe in Geesthacht, die am Freitag entschärft wird, handelt es sich glücklicherweise nicht um eine mit chemisch-mechanischem Langzeitzünder, sie hat einen Aufschlagzünder. Da der Blindgänger nur etwa zweieinhalb Meter unter der Erdoberfläche liegt, ist er wie schon das Exemplar bei der Entschärfung vor zehn Tagen in schlechtem Zustand und in weiten Teilen stark verrostet. Allerdings ist der Kopfzünder diesmal nicht so verbogen. Außerdem ist er noch von ausreichend Material umhüllt, sodass es wahrscheinlicher ist, dass er mit normalem Gerät entschärft werden kann, so die Einschätzung von Mark Wernicke. Der Wasserschneider ist aber auch diesmal wieder im Gepäck der Kampfmittelexperten. Lesen Sie auch Geesthacht: Am Freitag wird der zweite Blindgänger entschärft – das müssen Anwohner jetzt wissen Geesthacht: Erneut ein Bombenblindgänger entdeckt Nur 20 Meter von der letzten Fundstelle: Dass die Bombe, die heute entschärft wird, nur etwa 20 Meter entfernt von der Fundstelle des letzten Blindgängers liegt, war für den Kampfmittelräumdienst trotz der vorherigen Sondierung der Fläche nicht abzusehen. Die einzelnen Abschnitte werden ja Schritt für Schritt überprüft. Auf den Luftbildern waren keine Anomalien zu sehen, die auf eine Einschlagstelle hingedeutet hätten. Theoretisch hätten die beiden Blindgänger also auch zusammen entschärft werden können – und es sei nicht auszuschließen, dass noch weitere Blindgänger gefunden werden, sagt Mark Wernicke. Von Sophie Schade