Im autonomen Bus durch die Altstadt von Lauenburg

Lauenburg auf der Bundesstraße 209. Die Straße ist voller Autos. Von der Gegenfahrbahn nähert sich ein Lastwagen, der im Ausweichen schon fast auf unserer Fahrbahn fährt. Spätestens jetzt weiß ich, warum Alparslan Barcin (42), der Fahrbegleiter des TaBuLa Shuttles, vor der Fahrt so erpicht darauf war, dass ich sicher angeschnallt bin und mich im Vorfeld auf das teilweise abrupte Bremsen vorbereite. Seit Oktober 2019 wird in Lauenburg an der Elbe ein Testzentrum für automatisiert verkehrende Busse im Kreis Herzogtum Lauenburg (TaBuLa) aufgebaut. Das Projekt soll den Einsatz automatisierter Fahrzeuge im öffentlichen Personennahverkehr untersuchen. Die kleinen, rundlichen Shuttles fahren ohne Fahrer, dafür aber mit einer Fahrbegleitung, durch die Straßen, die im Vorwege digital kartiert wurden. Mittlerweile fährt das Shuttle des französischen Herstellers Navaya auf seiner dritten und finalen Teststrecke durch die Altstadt und befördert kostenfrei Passanten. Um die Straßen genau zu kartieren wurden jahrelange Messarbeiten durchgeführt. Nun fährt das Shuttle auf einer vorgegebenen Strecke, von der es sich nur bei Eingreifen des Fahrbegleiters entfernt. Die Umgebung erfasst es mit mehreren Sensoren und Kameras. Das Shuttle fährt autonom auf einer digital angelegten Strecke, die im Fahrzeugrechner einprogrammiert ist. Sie kann, wenn es nötig ist, durch den Fahrbegleiter verlassen werden kann. An Ampeln erhält es ein Funksignal, das es verarbeitet und dann an einer einprogrammierten Linie hält oder losfährt. Auf dem Dach des TaBuLa Shuttles befinden sich die Klimaanlage und Ortungstechnik. Es verfügt außerdem über Kameras und „Light detection and ranging“-Sensoren (Lidar-Sensoren), durch die es seine Umgebung scannen und Hindernisse in einem vorgegebenen Gefahrenbereich erkennen kann. Weitere Informationen zum Projekt sowie das Folgeprojekt TaBuLa-Log stehen auf www2.tuhh.de/tabula/. Auf www.tabulashuttle.de sind die Abfahrtszeiten zu finden, die aktuell allerdings außerhalb der Betriebszeiten des Shuttles liegen. Wegen Corona ist nur Platz für drei Personen: Es ist vormittags, nicht viel los und so habe ich das Glück, zunächst mit Barcin alleine zu sein und alles entspannt auf mich wirken zu lassen. Die Route dieser Fahrt führt uns vom Zob aus ein kurzes Stück über die B 209, dann den großen Sandberg hinunter, die Elbstraße entlang durch die engen Gassen der lauenburgischen Altstadt und den Hohlen Weg wieder zurück. Von diversen Engpässen und Steigungen bis Gefälle ist alles mit dabei, was Lauenburgs Altstadt perfekt für die Teststrecke macht. Durch den barrierefreien Einstieg ist es, als ginge man einfach in eine andere Welt. Also Maske auf, hinsetzen, anschnallen und dann geht es nach dem Reset des Systems durch den Fahrbegleiter schon los. Trotz der lediglich elf Sitzplätze, ist das Shuttle recht geräumig, da es eine große Innenfläche für Kinderwagen oder Rollstuhlfahrer aufweist. Aufgrund der aktuellen Situation sind momentan allerdings maximal drei Personen erlaubt. Lenkung wie bei einer Spielekonsole: Bereits zu Anfang beweist das Shuttle seine Fähigkeiten und hält ganz ohne Zutun des Fahrbegleiters an einer roten Ampel. Das Shuttle gibt permanent Signale ab und kann so seine Umgebung genauestens wahrnehmen. Alles, was seinen Sensoren zu nah kommt, seien es Menschen, Tiere oder Äste, führt zum automatischen Bremsen. Da ist es gut, dass der Fahrbegleiter die Fahrt über stehen bleibt und alles genau beobachtet. Und das tut er wirklich mit großer Sorgfalt und Argusaugen. Runter in die Altstadt, 20-er Zone. Der Minibus ruckelt den Abhang über das Kopfsteinpflaster runter. Viel schneller als ein gemütlicher Fahrradfahrer bewegen wir uns nicht. Und schon wieder bremsen wir. Barcin erklärt: „Hier hängen ein paar Äste, die das Shuttle als Hindernis sieht.“ Schon 100 Meter weiter bleiben wir vor einem parkenden Auto stehen. „Das Shuttle würde bis morgen stehen bleiben“, wird mir erklärt und daraufhin greift der Controller ein. Das sieht aus wie der Beginn des nächsten Abends an der Spielekonsole. Genauso sieht der Controller von Barcin aus. Damit kann der Fahrbegleiter die Kontrolle über das Fahrzeug übernehmen. Sobald sich das Shuttle wieder auf seiner virtuellen Schiene befindet, die im Vorfeld kartiert wurde, übernimmt es wieder die Führung. „Man muss das Fahrzeug-Ausweichen noch weiter voranbringen“, erläutert Matthias Grote (37) von der TUHH, „In den nächsten Jahren muss ich leider sagen.“ Viele Erkenntnisse sind aber bereits gezogen worden. Das Shuttle kann mittlerweile sicher erkennen, in welche Richtung eine Person geht. Es berechnet die Geschwindigkeit voraus und weiß so, wann die betreffende Person den Risikobereich verlässt. Zudem hat sich die Standortlokalisierung extrem verbessert. Das Projekt TaBuLa startete am 1. Januar 2018 in Lauenburg/Elbe und hat seitdem drei Testphasen durchlaufen. Zurzeit fährt es auf der dritten und finalen Teststrecke von Lauenburgs Altstadt. Die Projektpartner sind das Institut für Verkehrsplanung und Logistik der Technischen Universität Hamburg (TUHH), der Kreis Herzogtum Lauenburg, die Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein (VHH) und natürlich die Stadt Lauenburg/Elbe selbst. Initiator ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Bei Fragestellungen mit technischem, betrieblichem und organisatorischem Schwerpunkt wird auf die Erfahrungen des Büro autoBus zurückgegriffen. Den Unterstand und die Energieversorgung für das elektrobetriebene Fahrzeug liefern die Versorgungsbetriebe Elbe GmbH. Die Siemens Mobility GmbH unterstützt das Projekt unter anderem durch die Aufrüstung der beiden Ampelanlagen. TaBuLa bei Passanten beliebt – bei Autofahrern weniger: Das nächste Hindernis ist bereits in Sicht: eine Baustelle. Mittlerweile greife ich automatisch zu meinen Sachen und bereite mich auf ein unerwartetes Bremsen vor. Man gewöhnt sich aber an das Gefühl. Eine weitere Besonderheit als wir vor ein paar Pollern stehen. Anwohner haben einen Chip, den sie an einen Sensor halten. Uns lässt man Dank eines Anrufes durch: vollkommen autonom. In der Altstadt geraten immer wieder unabsichtlich Fußgänger in das Radar des Shuttles und zwingen uns so zum Stehenbleiben. Mit einem Hupen, das ein wenig quengelig klingt, gibt das Shuttle umstehenden Fußgängern ein Zeichen, den Weg für ihn freizumachen. Je weiter wir vorankommen, desto schmaler werden die Straßen. Rechts und links parken Autos. Wir befinden uns in keiner Einbahnstraße und auch Lkw und Busse verkehren hier. Es braucht also viel Kommunikation. Ein Autofahrer vor uns ist genervt, aber größtenteils ist das Shuttle sehr beliebt. Passanten winken und machen Fotos. Der Postwagen vor uns nimmt Rücksicht und bleibt geduldig stehen bis wir ihn passiert haben. Überall verständnisvolle Blicke. An der nächsten Bushaltestelle steigt ein Paar dazu. Wie schon mir, erklärt Fahrbegleiter Barcin Frauke (62) und Matthias (63) Wrissermann aus Wuppertal das Display, das sowohl das Shuttle auf der virtuellen, blauen Linie als auch das Sensorfeld um es herum anzeigt. Die beiden finden die Situation genauso bewundernswert wie ich. Es fühlt sich eher wie eine Sehenswürdigkeit an und nicht wie eine Busfahrt. Schon seit Herbst letzten Jahres befördert das Shuttle auch Fahrgäste. TaBuLa künftig mit Robotern: Kurz vor dem Ende der Runde gibt der Fahrbegleiter dann noch unseren Startpunkt am Zob als neues Ziel in die Navigation ein. Verständlich, denn sonst würde das Shuttle bereits an seinem Startpunkt am Ziel sein. Und das war es auch schon. Nach ungefähr 45 Minuten befinden wir uns wieder am Zob. Der nächste Schritt erweitert die Idee des autonomen Busbetriebes um die Integration eines Warentransportes. Roboterplattformen an Bord sollen dann die Waren übergeben. TaBuLa-Log heißt das Projekt, das in drei Testphasen noch bis Ende nächsten Jahres laufen soll. „Das Shuttle selbst kann gerade nicht weiterlernen“, meint Grote. Ziel sei es, mehrere Shuttles und mehrere Roboter auch woanders fahren zu lassen, da das Erkenntnispotenzial in Lauenburg ausgeschöpft sei. Hier lesen Sie mehr: Roboter fährt im TaBuLa Shuttle Vorbereitungen für das TaBuLa Projekt TaBuLa fährt durch die Altstadt Von Nadine Klemm