Karneval: Der Tag an dem Corona nach Nusse und Schleswig-Holstein kam

Ein wenig Regen, Temperaturen um den Gefrierpunkt: Es ist eine ungemütliche Nacht, diese Faschingsnacht vom 25. auf den 26. Februar, in der die junge Frau von einer Karnevalsfeier im Rheinland zurück in ihren Wohnort Nusse kommt. Doch es ist nicht das Wetter, was die Frau beunruhigt. Es ist mindestens einer ihrer Kontakte während der Karnevalsfeiern in den Tagen zuvor im Kreis Heinsberg. Ein Kreis, der aufgrund immer mehr Corona-Infektionen zunehmend in den Schlagzeilen ist. Und noch auf der Heimfahrt erfährt die Frau – so die damalige Rekonstruktion des Gesundheitsamtes –, dass ihre Kontaktperson infiziert ist. Die Frau begibt sich umgehend in Quarantäne, informiert am Morgen nach der Ankunft das Gesundheitsamt in Ratzeburg und wird so zum ersten Corona-Verdachtsfall in Schleswig-Holstein. Als sie wenige Tage später auch noch Symptome zeigt, werden Abstriche genommen, die belegen: Sie ist „positiv“. Und mit einem Mal steht Nusse im medialen Fokus Schleswig-Holsteins. Privatsphäre erfolgreich geschützt: „Da waren hier auf einmal überall Fernsehteams unterwegs“, erinnert sich Nusses Bürgermeister Lars Wunsch. Und auch er sei immer wieder gefragt worden, wer denn die Betroffene sei oder ob er nicht zumindest die Straße nennen könne, in der die Frau wohne. „Ich konnte immer guten Gewissens sagen, dass ich es einfach nicht weiß“, sagt Wunsch ein Jahr später. Und auch heute wisse er immer noch nicht, wer es damals gewesen sei. „Und darüber bin ich, ehrlich gesagt, auch froh, dass es gelungen ist, die Privatsphäre dieser Person so zu schützen.“ „Wussten alle, dass es irgendwann losgeht“: Natürlich sei er damals frühzeitig vom Landrat angerufen und darüber informiert worden, dass es in seinem Ort einen Verdachtsfall gebe. „Mehr ist mir damals aber auch nicht gesagt worden. Der Landrat hat mit ganz klar gesagt, dass er mir nicht sagen werde, um wen es sich handele, damit ich immer guten Gewissens sagen könne, dass ich es nicht wisse“, erinnert sich Wunsch. Auch Landrat Dr. Christoph Mager erinnert sich an die damalige Zeit. „Wir wussten alle, dass es auch hier irgendwann losgehen wird“, sagt Mager heute. Und bei den ersten Verdachts- und Positivfällen habe man als Kreis eine Fürsorge an den Tag gelegt, „die wir uns heute gar nicht mehr leisten können“, so Mager. Polizeidienststelle desinfiziert: So wurde, wenn auch nicht auf Veranlassung des Kreisgesundheitsamtes, damals eine komplette Polizeistation in Lauenburg samt Einsatzfahrzeug von einem Tatortreiniger desinfiziert, nachdem die beiden Beamten die Frau eines Ägypten-Urlaubers über den Tod ihres corona-infizierten Mannes informiert hatten, ohne dabei Mundschutz und entsprechende Infektionsschutzkleidung zu tragen. „Damals konnte keiner wissen, wie groß die Welle hier werden würde“, sagt Mager rückblickend. In der Folge habe man mit jedem neuen Fall gelernt, die Untersuchung der Infektionswege war gut und letztlich seien auch die Handlungsempfehlungen genauer geworden. Corona im Pflegeheim: „Wilde Zeit“: Wirklich „wild“ sei die Zeit gewesen, als der Kreis Ende März/Anfang April 2020 die Leitung des Pflegeheimes in Wentorf habe übernehmen müssen. „Wir standen plötzlich vor der Frage, wie leite ich ein Pflegeheim, wenn plötzlich keiner mehr da ist?“, erinnert sich Mager. Viele Mitarbeitende des Heimes waren damals infiziert oder in Quarantäne, Bewohner teilweise im Krankenhaus. Drei Bewohner starben. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Betreiber. „Irgendwie hatten wir zwar nicht das Gefühl, aber zumindest die Hoffnung, dass sich die Sache ausläuft“, gesteht Mager. Und nicht zuletzt habe sich das Infektionsgeschehen im Sommer lange Zeit auf niedrigem Niveau bewegt. Und auch die Statistik, mit der der Kreis die einzelnen Infektionen und Quarantänefälle zusätzlich erfasst habe, sei zunächst nur bis Juni angelegt gewesen, erinnert sich Kreissprecher Tobias Frohnert. Lesen Sie auch Corona-Infektion: Frau aus Nusse begab sich selbst in Quarantäne Herzogtum Lauenburg: Mitarbeiter der Kreisverwaltung gegen Corona geimpft Mager: „Wir reagieren immer nur“: Eine Tabelle, wie sie landesweit von Beginn der Pandemie an kaum ein anderer Kreis führt, die aber helfe. Neben der täglichen Situation könne auch abgeschätzt werden, wie hoch die Belastung der Mitarbeitenden sei und wo möglicherweise nachgesteuert werden müsse. Sie ermögliche auch zu schauen, woran eine Entwicklung liegen könne, und man bekomme als Kreis sehr schnell mit, welche Einrichtungen betroffen seien. „Wir haben so auch feststellen können, dass sich die Schulen schnell auf die Infektionen bei den Kindern ausgewirkt hat“, sagt Mager. Eine etwas größere Wirkung habe man sich hingegen als Kreis von den im November verhängten Beschränkungen erhofft, gesteht Mager. „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich im Teillockdown so viele Menschen neu anstecken“, sagt Mager. Rückblickend gesteht der Landrat aber auch, dass man wohl wenig hätte anders machen können. „Ich kann bis heute nicht detailliert sagen, ob jede einzelne Maßnahme erfolgreich ist“, sagt Mager. „Letztlich reagieren wir immer nur.“ Von Holger Marohn