Keine Planungs-Kapazitäten: Ortsumgehung Ratzeburg in Gefahr?

Im Mai 2018 hatte der Kieler Wirtschaftsminister Bernd Buchholz der Stadt Ratzeburg zugesichert, dass 2020 die Planung für die Ortsumgehung B 208 Ratzeburg – von Osten bei Ziethen beginnend über Schmilau bis zur Anschlussstelle Mölln-Nord zur Bundesstraße 207 – begonnen werden sollte. Nicht nur die Corona-Pandemie kam dazwischen. Auf Nachfrage nahm der zuständige Landesbetrieb für Straßenbau und Verkehr, LBV, zur aktuellen Situation Stellung. In dem Schreiben an die Stadt Ratzeburg heißt es unter anderem: „Die für die Wiederaufnahme der Planung der Ortsumgehung Ratzeburg erforderlichen Ressourcen sind derzeit nicht frei.“ Gründe gegen die Ortsumgehung: Ohnehin stehe die Ortsumgehung (OU) in der Prioriätenliste weit hinten. Zunächst würden die ähnlichen Projekte in Geesthacht, Schwarzenbek und Lauenburg behandelt. Muss man nun damit rechnen, dass das Land beziehungsweise der Bund auf die Maßnahme letztlich ganz verzichten? Denn in dem Schreiben, das von der Geschäftsbereichsleiterin des LBV in Lübeck, Britta Lüth, unterzeichnet ist, werden schon mal die wichtigsten Gründe genannt, die gegen die OU sprechen: „die geringere prognostizierte Verkehrsbelastung und die im Vergleich geringere innerstädtische Verkehrsentlastung“. Das Projekt der Ortsumfahrung Ratzeburgs aus östlicher Richtung ist fast so alt wie die deutsch-deutsche Wiedervereinigung. Denn insbesondere die B 208 wurde zu einer der meistbefahrenen Strecken im Kreis, wenn nicht im ganzen Land. Verband sie doch - als es die A 20 noch nicht gab - die größeren Städte Gadebusch, Grevesmühlen und natürlich auch Wismar und Schwerin mit dem Westen. Gern genutzt von jenen gefühlten Millionen Trabbis und Wartburgs aus der ehemaligen DDR. Nicht nur die Bewohner Ratzeburgs, speziell die Anwohner der Straßen Königsdamm, Langenbrücker Straße oder Herrenstraße beschwerten sich massiv ab Mitte der 1990er Jahre, selbst Urlauber kritisierten, man „ersticke an Autoabgasen. Da wir auch ein für die Qualität zu teures Hotel und zu viele ungepflegte Ecken in der Stadt zu bemängeln hatten, ist Ratzeburg für uns als Ausflugsziel vorerst gestrichen“, ließ ein Ehepaar aus Celle per Leserbrief wissen. Schon 1991 hatte sich in Ratzeburg eine Bürgerinitiative (BI) Umgehungsstraße gegründet, die sich sechs Jahre später einer noch umfassenderen Initiative, der Aktionsgemeinschaft (AG) Umgehungsstraße, anschloss, die aus 18 Vereinen, Verbänden und Initiativen bestand. Doch selbst der massive Einsatz führte zu keinem nennenswerten Erfolg auf politischer Ebene - weder in Kiel noch in Bonn oder später in Berlin. Im Jahr 1994 rutschte das Projekt zwar in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans. Doch an einer weiteren Dynamik fehlte es, im Gegenteil: Lange Zeit hörte man nichts mehr aus den Hauptstädten. Mit einer Liste von mehr als 400 Unterschriften wandte sich die AG 1998 an Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU): „Hunderttausende von Mark“ seien bisher in die Planungsarbeiten geflossen - „ohne erkennbares Ergebnis“. Ein Jahr später - 1998 - erfuhr die AG aus Kiel die ernüchternde Aussage, mit der Ortsumfahrung werde es wohl „frühestens in 20 Jahren“ etwas. 1999 endlich erzielte die AG einen Teilerfolg mit einer positiven Antwort aus dem Bonner Petitionsausschuss: Dieser „unterstützt die Argumentation der Inselstädter und erteilte den zuständigen Behörden auf Bundes- und Landesebene einen dezenten Rüffel“, hieß es in einem LN-Bericht vom August. Zehn Jahre später schöpfte man neue Hoffnung durch das Konjunkturprogramm des Bundes. „Das Projekt wird greifbarer. 2015 soll die Straße fertig sein“, lautete die LN-Meldung vom 23.1.2009. Für Uwe Martens, Fraktionschef der SPD im Ratzeburger Rathaus, ist das nachvollziehbar. „Unsere Position dazu ist bekannt. Wir lehnen die Ortsumgehung ab.“ Den gesammelten Daten der vergangenen Jahre zufolge gebe es tatsächlich weniger Verkehr, „der Druck ist nicht mehr so groß“. Es sei „typisch deutsch-konservativ“, wenn trotz dieser Erkenntnisse einfach an den alten Planungen festgehalten werde. Eine weiträumige Umfahrung sei sowohl ökonomisch hinsichtlich der Steuergelder als auch ökologisch widersinnig. Durch den festgestellten Minderverkehr gebe es keinen praktischen Nutzen. „Ein Nachtfahrverbot für Lkw wäre sinnvoller. Dafür hatten wir uns schon beim vorherigen Bürgermeister Voß eingesetzt. Leider bislang vergeblich.“ Grüne: Zeit ist reif für Verkehrswende: Unterstützung findet die SPD bei Bündnis 90/Die Grünen. Ihr Sprecher Torsten Walther erklärt: „Vor 30 Jahren, als sich nach der Grenzöffnung die Automassen durch Ratzeburg quälten, waren solche Überlegungen vielleicht noch nachvollziehbar. Allein – mit der Politik von vor 30 Jahren lässt sich die Zukunft nicht gestalten. So nachvollziehbar der Wunsch ist, ,Herr im eigenen Haus’ zu sein, so sehr hat sich das Wissen um Klimakrise und Schwund der Artenvielfalt in der Bevölkerung verankert. Fast elf Kilometer zusätzliche Landschaftsversiegelung und Durchschneidung von Biotopachsen rechtfertigen diesen Eingriff schon lange nicht mehr.“ Nun sei „die Zeit reif für eine Verkehrswende, die mehr ist als das Aufstellen einzelner Elektroladesäulen für Autos“. Schlie für zügigen Planungsbeginn: Ganz anders sieht es dagegen die CDU. Der Möllner Landtagsabgeordnete und Landtagspräsident Klaus Schlie erwartet einen zügigen Beginn der Planung der Ortsumgehung Ratzeburg der B 208. Die Grundlage dafür sei durch die Einstufung in der höchsten Priorität wegen vorrangigen Bedarfs im Bundesverkehrswegeplan geschaffen. Lesen Sie auch So will die SPD den Verkehr auf der Ratzeburger Insel neu sortieren BUND droht mit Klage bei Ortsumgehung Geesthacht Ratzeburg - FRW steht klar für die Ortsumgehung – LN - Lübecker Nachrichten Ratzeburg - Kiel: Ortsumgehung kommt „so schnell wie möglich“ – LN - Lübecker Nachrichten Ratzeburg - Bund gibt grünes Licht für Planung der Ratzeburger Ortsumgehung – LN - Lübecker Nachrichten Sicherlich seien die Planungskapazitäten im LBV bislang zu gering gewesen und die anderen Ortsumgehungen im Kreis hätten aufgrund der Fachkriterien Vorrang gehabt. Doch nachdem „nunmehr die Planung der Bundesautobahnen im Land nicht mehr Aufgabe des Landes ist und andere Ortsumgehungen planerisch auf den Weg gebracht wurden, muss nun zügig mit der Planung für Ratzeburg begonnen werden“, sagt Schlie. Klare Mehrheiten in Ratzeburg für OU? Darüber wolle er gemeinsam mit dem CDU-Kreisvorsitzenden Rasmus Vöge und dem Nusser FDP-Abgeordneten Christopher Vogt möglichst zeitnah mit dem Minister sprechen. „Mein politischer Wille, die Planung zügig zu beginnen, ist ungebrochen. Ich gehe davon aus, dass dieser Wille auch in der Stadt Ratzeburg und in der Region insgesamt noch genauso intensiv vorhanden ist wie bisher,“ sagt Schlie abschließend. Das bestätigt Dr. Ralf Röger, Fraktionschef der Ratzeburger CDU: „Das größte Risiko für die Ortsumgehung stellt nicht die planerische Ressourcenknappheit beim LBV dar“, sondern „das politische Vorgehen von SPD und Grünen, die öffentlich den Eindruck zu erwecken versuchen, dass es in Ratzeburg keine klaren Mehrheiten mehr für diese Umgehung gäbe“. Sie übersähen, dass eine Entlastung der Ratzeburger Innenstadt vom Lkw-Verkehr nur realisierbar sei, „wenn die B 208 eben nicht mehr als Bundesstraße durch die Stadt führt, sondern auf die neue Ortsumgehung verlagert wird“. Lebens- und Aufenthaltsqualität verbessern: Darüber hinaus stellen für Röger und seine städtische CDU „Überlegungen zu einer innerörtlichen Optimierung der Verkehrsflüsse im Rahmen eines Verkehrskonzepts und die Planung einer überörtlichen Ortsumgehung keine Gegensätze dar“. Die CDU werde sich weiterhin dafür einsetzen, „dass die Lebens- und Aufenthaltsqualität in Ratzeburg sowohl durch die Schaffung einer Ortsumgehung für den Durchgangsverkehr als auch durch eine aktualisierte Betrachtung der Ziel-, Quell- und Binnenverkehre verbessert wird“. Und wie sehen die anderen, von einer OU „berührten“ Kommunen das? Karl-Horst Salzsäuler, Bürgermeister von Ziethen, sagt: „Wir haben 2010 bei der Einrichtung unseres Gewerbegebietes extra eine Trasse für die OU freigelassen. Wir halten daran fest. Alles andere wäre herausgeworfenes Geld. Weniger Verkehr haben wir nicht festgestellt. Außerdem hat man am Harmstorfer Kreuz gesehen, wie lange es von der Planung bis zur Realisierung dauern kann.“ Nachbarorte plädieren für Umgehung: Schmilaus Bürgermeister Volker Greve fügt hinzu: „Tatsache ist, dass Ratzeburg in den vergangenen Jahren erheblich städtebaulich gewachsen ist. Das hat eine starke Zunahme innerstädtischen Verkehrs zur Folge. Eine OU wird immer über Flächen der Nachbargemeinden verlaufen müssen mit den damit verbundenen Folgen für Landschaft, Natur, Erholung und Landwirtschaft bei geringem Einfluss auf den Zielverkehr in RZ.“ Außerdem bleibe der Siedlungsdruck in den nächsten Jahren gerade im Dreieck Hamburg, Lübeck, Schwerin bestehen. Homeoffice, ÖPNV, Elektromobilität und Tourismus seien ebenfalls wichtige Aspekte, die bei der Planung einer OU berücksichtigt werden müssten. Jan Wiegels, Bürgermeister von Mölln, erklärt: „Die Stadt Mölln hat die Planungen für die Ortsumgehung Ratzeburg bislang immer unterstützt, da diese letztlich auch eine Ortsumgehung für die Stadt Mölln im Bereich Schmilauer Straße/Ratzeburger Straße darstellt. ( . . . ) Eine politische Diskussion über die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit dieses Projektes, wie es sich jetzt offenbar in Ratzeburg abzeichnet, hat es innerhalb der politischen Gremien der Stadt Mölln bislang nicht gegeben.“ Von Joachim Strunk