Labor im Fredeburger Wald: Forscher aus Göttingen wollen Bäume verstehen

Mitten im Wald sind mehrere Plastikrohre eingebuddelt, wenige Meter entfernt stehen Maurerkübel und sammeln Laub, kleine Glasröhrchen sammeln Proben im Boden und um die Stämme gewickelte Maßbänder messen das Wachstum der Bäume – gleich mehrere Flächen in den Kreisforsten sind ein riesiges Freiluft-Versuchslabor für insgesamt fünf Forschungsprojekte der Uni Göttingen in Zusammenarbeit mit den Hochschulen in Freiburg und Konstanz. Drei Jahre lang wollen die Wissenschaftler in Wäldern bundesweit Daten sammeln. Ziel dabei ist es, zu erforschen, wie sich die unterschiedliche Bewirtschaftungsintensität auf die älteren Buchenbestände auswirkt. Dazu wird nicht nur eine kreiseigene bewirtschaftete Fläche nahe des Wisentgeheges bei Farchau, sondern auch ein unbewirtschafteter oder kaum bewirtschafteter Buchenbestand im Naturschutzgebiet Salemer Moor in der Nähe des Plötscher Sees untersucht. Ziel des Projektes ist die Erforschung der Mechanismen von Anpassungsstrategien älterer Buchenbestände unterschiedlicher Bewirtschaftungsintensität an Klimaveränderungen. Entlang eines Gradienten der Nutzungsintensität und der Standortsgüte werden die Waldstrukturen, die Stoffflüsse und wichtige baumphysiologische Kenngrößen analysiert, umweltökonomisch bewertet und räumlich explizite Modelle und Szenarien der Waldbewirtschaftung und ihrer Auswirkungen erstellt. Die Zusammenhängevon waldbaulicher Bewirtschaftungsintensität und Stressresistenz werden auf unterschiedlichen Standorten kombiniert und hinsichtlich bodenchemischer und pflanzenphysiologischer Parameter analysiert. Zudem wird die Kohlenstoffsenkenfunktion der verschiedenen Wald-nutzungsformen quantifiziert, modelliert und bewertet. Die Leitung des Projektes hat die Georg-August-Universität Göttingen. Beteiligt sind außerdem die Universität Konstanz und die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Projektpartner sind das Stadtforstamt Göttingen, das Forstamt Reinhausen, Hessen Forst, der Nationalpark Kellerwald, die Nordwestdeutsche forstliche Versuchsanstalt, der Landesforstbetrieb Sachsen-Anhalt, der Stadtwald Lübeck, die Kreisforsten Herzogtum Lauenburg und Climate Concept Foundation (CCF) Auf Lachgas und Methan kommt es an: Auf jeder Fläche werden die Wetter- und Klimadaten erfasst. „Das ist insofern wichtig, als dass Wälder mit guten Standortfaktoren anders auf Trockenstress reagieren als Wälder z. B. in Sachsen-Anhalt.“, erklärt Anne Arnold von der Universität Göttingen, die das Projekt leitet. Hauptziel ist die Anpassungsfähigkeit von Buchenwäldern unterschiedlichen Nutzungsgrades an den Klimawandel zu erfassen. „Wir messen hier Methan und Lachgas, das der Boden abgibt“, sagt Projekttechniker Johannes Hertzler. Aus einem über das eingebuddelte Plastikrohr gestülpten Eimer zieht er mit einer Spritze eine Probe und füllt sie in ein Vakuum-Glasröhrchen ab. „Das sieht hier vielleicht alles etwas einfach aus, aber es funktioniert“, sagt Hertzler während er 20 Minuten auf die nächste Probenentnahme wartet. Analysiert werde später alles im Labor. Forscherbesteck kommt aus der Großküche: Einige Buchenstämme weiter gräbt Dr. Christin Rachow mit einem gebogenen Metalllöffel ein kleines Glasgefäß zehn Zentimeter tief im Boden ein – einmal direkt am Stamm und einmal in zwei Metern Entfernung. 24 Stunden bleiben die Gefäße im Boden und sollen in dieser Zeit Helferpilze und Bakterien sammeln. Damit sie die Gläschen später auch wiederfindet, sind diese an ein Band mit einem Stück rot-weißem Absperrband festgebunden. „Dieser Löffel ist ein gewöhnlicher Metallöffel, den ich zur Tiefenbestimmung bei zehn Zentimetern am Stil geboben habe“, sagt Rachow. Da gebe es bestimmt auch eine Variante aus dem Laborbedarfs-Handel, nur die wäre dann wohl zehnmal so teuer, sagt Rachow. Insgesamt fünf Einzelprojekte laufen zeitgleich in den Kreisforsten sowie in Wäldern von sieben weiteren Projektpartnern, darunter auch dem Lübecker Stadtwald. Zunächst sind die Forscher für eine Woche im Lauenburgischen und werden dann in regelmäßigen Abständen wiederkommen. Das gesamte Forschungsprojekt ist auf drei Jahre angelegt. Unter den Bäumen gibt es Freunde und Feinde: In dieser Zeit untersuchen die Forscher wie das Stress-Kompensationssystem der Bäume mit Hilfe von chemischen Anti-Oxidationen sowie anti-oxidativen Enzymen funktioniert. Eine Differenzierung der Stress-Agenten erfolge sehr gut über das Auswerten der Jahresringe bei Baumstämmen. Dazu werden aus den zu untersuchenden Bäumen Bohrkerne entnommen. Zuvor werden diese Bäume noch von einem weiteren Forscherteam mit chemischen Analysen der natürlichen Ausdünstungen, sozusagen „Geruchsproben“, auf die Stressmarker der Bäume untersucht. Außerdem lassen die Maßbänder das Wachstum der Stammumfänge erkennen. „Nach ein paar Wochen kann man da durchaus etwas ablesen“, sagt Hertzler über die Arbeit seines Kollegen Maximilian Kreft. Statistische Auswertungen in drei Jahren: „So gibt es also nicht nur unter Waldbäumen Freundschaften, sondern selbstverständlich auch Feindschaften, da es immer um Konkurrenz und Überleben der eigenen Art geht. Das Stresssignal ist umso deutlicher, je höher der Stresspegel ist“, sagt Arnold. Alle diese Untersuchungen würden in einen Zusammenhang mit der Bestandsstruktur gebracht, also dem Mikroklima, der Konkurrenzsituation, dem Wasserhaushalt, um entsprechende Aussagen treffen zu können. Mit statistisch abgesicherten Ergebnissen rechnen die Forscher nach zwei bis drei Jahren. „Waldökosysteme sind so heterogen, dass wir Augenblicke erfassen können. Wiederholen sich die Augenblicksmomente, dann haben wir langfristige Trends“, sagt Projektleiterin Arnold. Lesen Sie auch Schwere Dürre bedroht Wald im Herzogtum Lauenburg Dürre Borkenkäfer Sturm bedrohen den Wald im Herzogtum Lauenburg Auch die Wälder verdursten – hoher Forstschaden erwartet Von Holger Marohn