Messerstiche auf Ehefrau in Ratzeburg: BGH lässt neu verhandeln

Das Landgericht Lübeck muss seit Montagmorgen den Prozess wegen versuchten Totschlags gegen einen 34-Jährigen neu aufrollen. Im Oktober 2019 war der Mann vom selben Gericht zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte das Urteil am 15. April 2020 teilweise aufgehoben. Der aus dem Irak stammende Angeklagte hatte vor einem Discounter am Ratzeburger Bahnhof etwa sieben Mal mit einem Messer auf den Kopf seiner getrennt lebenden Ehefrau eingestochen. Es geht vor allem um die Frage, ob der Angeklagte von dem Versuch, seine damalige Ehefrau umzubringen, freiwillig abließ. Durch objektive Umstände und seine Verfassung sei ihm das nicht unmöglich gewesen, argumentierte der BGH. Es war auch die Rede von einem „Rechtsfehler“ in der Entscheidung des Landgerichtes Lübeck. Was passierte nach den Messerstichen? „Es geht uns im Wesentlichen darum, was nach den Stichen passiert ist“, erklärte die Vorsitzende Richterin Gesine Brunkow gleich zu Beginn des Prozesses. Deshalb ließ der Angeklagte die Vorgeschichte in seiner Befragung weitgehend aus. „Ich bin schuldig. Ich habe das wegen meiner Kinder gemacht. Nach den ersten Angriffen war ich bestürzt über mich selbst“, erklärte der 34-Jährige, der seit der Attacke in der Justizvollzugsanstalt in Lübeck einsitzt und in Handfesseln in den Gerichtssaal geführt wurde. Bereits nach dem Angriff auf seine Frau habe er über seine Kindheit nachdenken müssen. „Auch ich bin ohne Eltern aufgewachsen. Ich konnte auf einmal nicht mehr weitermachen“, erklärte der Mann auf der Anklagebank. Seine Aussagen mussten von einem Dolmetscher übersetzt werden. Laut Dr. Stephan Bahlmann, Sprecher des Landgerichtes Lübeck, sei bereits im ersten Prozess vor einem Jahr die Möglichkeit eines Rücktritts vom versuchten Totschlag diskutiert worden. Der BGH fand die Begründung des Landgerichtes dazu allerdings nicht „überzeugend und zweifelsfrei“. „Wenn das Revisionsverfahren am Bundesgerichtshof erfolgreich war, dann entscheidet der BGH in der Regel nicht selbst abschließend, sondern lässt das in der ersten Instanz erneut prüfen“, erklärte Bahlmann den zweiten Prozess am Landgericht. Üblicherweise wird dann auch eine andere Kammer tätig als im ersten Prozess. Im ersten Prozess war die I. Große Strafkammer unter Christian Singelmann federführend gewesen. Jetzt verhandelt die III. Große Strafkammer unter Richterin Gesine Brunkow. Sieben Stiche ins Gesicht des Opfers: Er sei sehr froh, dass er es nicht zu Ende gebracht habe, weil seine Kinder dadurch noch eine Mutter hätten. Er habe seiner Frau Angst machen wollen, dann sei alles ausgeartet. Er könne gar nicht oft genug sagen, wie er seine Tat bedauere. Die sieben Stichverletzungen, vor allem im Gesicht des Opfers, waren lebensgefährlich, urteilte das Schwurgericht am Landgericht Lübeck im Januar 2019. Nach den Stichen sei noch ein wuchtiger Tritt mit dem Fuß im schweren Winterstiefel gegen den Kopf des Opfers erfolgt. Die Ehefrau erlitt dabei einen Bruch der Augenhöhle. Den Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sah das Gericht seinerzeit im ersten Urteil als erwiesen an. Ein dicker Schal schützte vor Stichen in den Hals: Die Ehefrau zeigte sich im Zeugenstand verwundert darüber, dass sie noch einmal befragt werde. Die 31-Jährige lebt bis heute in einem kleinen Ort im Amt Sandesneben-Nusse. „Ich habe bis heute Angst um mich und meine Kinder.“ Sie habe auch Angst vor der Familie des Angeklagten. Denn er könne im Gefängnis telefonieren. Er habe Druck auf ihre Familie ausgeübt. Das habe dazu geführt, dass ihr eigener Vater nicht mehr mit ihr spreche. Sie schilderte den gesamten Angriff am 18. Januar 2019 noch einmal im Detail. Die 31-Jährige sprach mit fester und lauter Stimme. Weil sie immer freitags zum Einkaufen in Ratzeburg sei, habe ihr Mann ihr aufgelauert. Er sei gekommen, um sie umzubringen, vorher wolle er ihr allerdings die Augen ausstechen, habe der Angeklagte vor dem Discounter in Ratzeburg gesagt. Er habe versucht, ihr in den Hals zu stechen, doch zum Glück habe sie einen dicken Schal getragen. Am Kopf und am Nacken gab es Einstichwunden. Ihre gesamte Jacke sei nach dem Angriff mit Einstichlöchern übersät gewesen. Am Ende habe er ihr heftig mit dem Fuß gegen das Auge getreten. In der linken Gesichtshälfte habe sie bis heute Lähmungserscheinungen. Die Verletzung am Hinterkopf schmerze immer noch. „Er dachte, er hätte es geschafft, mich umzubringen“, erklärte die Frau. Denn sie habe stark geblutet und sich nicht mehr bewegt. Nach ihrem Empfinden habe er nur deshalb von ihr abgelassen und sei fortgegangen. Flucht aus dem Irak und Gewalt bin der Ehe: Die Eheleute waren aus dem Irak geflüchtet und lebten seit 2016 vor der Trennung in einem kleinen Ort im Amt Sandesneben-Nusse. Nach der Heirat im Jahr 2009 sei der Mann immer wieder gewalttätig geworden, zitierte das Gericht aus den alten Urteilen. Er habe sie schon damals geschlagen, getreten und an den Haaren gezogen. Schließlich trennte sie sich und verließ den Angeklagten. Am 14. Januar 2019 erwirkten die Behörden über eine einstweilige Verfügung ein Kontaktverbot. In einer Textnachricht habe er ihr gedroht, zu ihr nach Hause zu kommen und alle zu töten. Das Gericht hat bislang sechs Verhandlungstage anberaumt und 13 Zeugen sowie zwei Sachverständige geladen. Der Prozess wird am 7. September fortgesetzt. Lesen Sie auch: Lange Haft wegen lebensgefährlichem Angriff auf Ehefrau Von Florian Grombein