Möllner Biologe schreibt Buch über Raubbau an den Ressourcen

„Fridays for Future“ - der Klimaprotest der Jungen hat die Politik nachhaltig aufgeschreckt und auf das Kernthema unserer Zeit gelenkt: Der Mensch ruiniert die Erde und seine eigenen Existenzgrundlagen. Der Möllner Biologe und Verhaltensforscher Prof. Dr. Carsten Niemitz (75) unterlegt diese Befürchtungen mit einer umfassenden wissenschaftlichen Analyse. Sein jüngstes Buch „Die Menschheit retten? – Packen wir’s an!“ (oekom verlag, München 2019, 242 Seiten, 22 Euro) zeigt mit drastischen Zahlen, wie stark die Erde bereits „übernutzt“ wird. In der Freien Lauenburgischen Akademie in Wentorf hat er jetzt darüber berichtet. Prof. Carsten Niemitz, 1945 in Dessau geboren, studierte Biologie, Medizin, Mathematik und Kunstgeschichte und ging für seine Doktorarbeit 1971 für drei Jahre in den Urwald von Borneo, um die Lebensbedingungen der kleinen Primatenart Koboldmakis zu erforschen. Nach mehreren Jahren als Dozent für Anatomie war er von 1978 bis zu seiner Emeritierung 2010 Professor und Institutsdirektor für Humanbiologie an der Freien Universität Berlin. Neben Gastprofessuren und Beratertätigkeit u. a. für die IUCN (Weltnaturschutzunion) war Niemitz als Experte für Gestik und Mimik auch als forensischer Gutachter bei der biometrischen Identifizierung von Personen tätig. Seit sechs Jahren wohnt er in Mölln, ist weiterhin als Buchautor sowie für Funk und Fernsehen tätig und engagiert sich im Naturschutzbund NABU. Das Problemfeld „Klima“ steht in seiner Berechnung der „planetarischen Belastungsgrenzen“ allerdings erst an fünfter Stelle. Weitaus gravierender seien die Verluste in der Biodiversität (Artensterben) sowie der Anstieg von Feinstaubemissionen. Beide Parameter liegen bereits um 300 Prozent über den Grenzwerten. Dabei zeige gerade der Umgang mit dem Artensterben, dass eine falsche Umweltpolitik auch ökonomisch widersinnig ist: „Wir holzen den Regenwald ab und nehmen das Aussterben wertvoller Tierarten in Kauf. Dabei liegt der Verlust durch ausfallende Bestäubung von Nutzpflanzen bei jährlich 150 Milliarden US-Dollar. Mit einer ressourcenschonenden Planung könnte ein Vielfaches dieser Kosten als Gewinne erzielt werden.“ Der Ökologische Fußabdruck ist zu groß: Die großen Risiken sieht Niemitz im ungehemmten Flächen-, Energie- und Wasserverbrauch, dem ungelösten Abfallproblem sowie der Überproduktion von Nahrungsmitteln bei gleichzeitigem weiteren Wachstum der Weltbevölkerung. Das alles summiert sich zu einem globalen ökologischen Fußabdruck von derzeit 1,7 – wenn der Wert 1 den Idealfall bezeichnet, in dem der Mensch im Einklang mit der Biokapazität lebt. Wenn die Weltbevölkerung nach deutschen Muster lebte, läge der Index bei 3,2, nach US-amerikanischer Lebensweise bei 9. Als Wissenschaftler, der sich sein Berufsleben lang mit dem Spannungsverhältnis von Mensch und Umwelt befasst hat, erkennt Niemitz zwei genetische Defizite, die das Umlenken verhindern: „Der Mensch hat kein Gespür für ein nachhaltiges umweltgerechtes Verhalten und er kann absehbare, wenn auch erst langfristig akute Gefahren mühelos verdrängen.“ Als plastisches Beispiel nennt er die Besiedlung des Vesuvs in Italien. Entgegen allen Erfahrungen mit Vulkanausbrüchen werde die Risikozone immer wieder neu bebaut. Verschwendung von Nahrungsmitteln: Trotz dieser Schwächen könne nur die Einsicht jedes Einzelnen verhindern, dass der Kipppunkt erreicht werde, an dem die Erde buchstäblich nicht mehr zu retten ist. Niemitz ist überzeugt, dass ein Umsteuern gelingt, wenn wir als Verbraucher zum Verzicht bereit sind. Indem wir weniger Fleisch essen, weniger Kleidung länger tragen und möglichst oft das Auto stehen lassen. „Schon wenn es gelänge, die 25 Prozent des Nahrungsmittelangebots einzusparen, die gar nicht konsumiert, sondern weggeworfen werden, würde das die Umweltbilanz spürbar verbessern“, rechnet er vor. Deswegen hat er dem wissenschaftlichen Teil des Buches einen Anhang mit über hundert konkreten Tipps für umweltgerechtes Verhalten beigefügt. Die Stichworte reichen von A wie Abfall bis W wie Wohnen. „Jeder kann mit vielen alltäglichen, mit der Zeit selbstverständlichen Schritten und Entscheidungen zum Erhalt der Menschheit beitragen“, ist Niemitz überzeugt. „Wichtig wäre jedoch, nicht nur eine Maßnahme auszuwählen, sondern möglichst viele Sparpotenziale auszuschöpfen.“ Vorbildlich in diesem Sinne seien Entscheidungen wie die der Stadtväter von Mölln, die seit 2019 alle politischen Maßnahmen auf ihre Umweltauswirkungen abklopfen. Von Matthias Schütt