Ratzeburg diskutiert: Was tun gegen leere Geschäfte im Zentrum?

Am Marktplatz sieht das Zentrum der Inselstadt aktiv und belebt aus. In den Seitenstraßen zeigen sich leere oder blickdichte Schaufenster. 14 Ladenlokale gelten nach Statistik der Stadt aktuell als „leerstehend“. Darüber, ob ein gemeinsamer, kreativer Dialog erforderlich ist – und was die Ziele sein sollten – , haben wir mit der Stadt und der Politik gesprochen. „Hier war mal eine Apotheke und dort auch“, erinnern sich einige, die Ratzeburgs Zentrum länger kennen. Jetzt sind hier Boutiquen, Blumengeschäfte und Pizza-Lieferdienste eingezogen. Einige weitere ehemalige Geschäftshäuser standen jahrelang leer, andere warten heute noch auf eine neue Nutzung. Das ist kein Phänomen, das sich auf Ratzeburg beschränkt, sondern an vielen Orten Schleswig-Holsteins Initiativen hervorbringt. Auf Landesebene hat die SPD vor wenigen Wochen (LN berichteten) ein neues Konzept „zur Rettung der Innenstädte“ gefordert. Özlem Ünsal, SPD-Landtagsabgeordnete und Mitunterzeichnerin des Antrages, postete auf Facebook die Akzente ihrer Fraktion im Zusammenhang mit dem Nachtragshaushalt des Landes. Demnach sollten von der Gesamtneuverschuldung unter anderem „15 Millionen Euro für attraktive und barrierefreie Innenstädte und Ortszentren“ verwendet werden. Das Thema „Parkplätze“ bleibt aktuell: In der Ratzeburger Stadtvertretung stellt die CDU die größte Fraktion. „Jedes leer stehende Ladenlokal ist eines zu viel und darf uns nicht unberührt lassen“, erklärt Fraktionsvorsitzender Dr. Ralf Röger. Nach seiner Ansicht müsse darauf geachtet werden, dass „die Fluktuation (…) aus dem Stadtzentrum an die Stadtränder nicht überhand nimmt“. In schwierigen Zeiten solle auf die Tourismusabgabe verzichtet werden und eine Stundung der Gewerbesteuer möglich sein. In diesem Zusammenhang erinnert die CDU-Fraktion erneut an die Parkraum-Situation um den Marktplatz: „Was nützt uns ein autofreier Markt, der dann verödet und ,gewerbefrei’ wird?“, so Dr. Röger. Bei der FRW (Freie Ratzeburger Wählergemeinschaft) sieht Fraktionsvorsitzender Jürgen Hentschel „einen spürbaren Leerstand nur in den B-Lagen“, also den „hinteren Seitenstraßen“. Nach Ansicht des Immobilienexperten seien für Menschen, die sich mit ihren Ideen selbstständig machen möchten, „die Grundmieten häufig zu hoch“. Eine Mietstaffelung könne „eine gute Alternative“ sein. Auch „flankierende Maßnahmen der Verwaltung“ könne sich die FRW vorstellen. Hentschel regt das Aussetzen der Tourismusabgabe für die jeweils ersten zwei Jahre an. Auch städtische „Lotsen“ seien denkbar, die bei Anmeldeformalitäten helfen. Ein Hindernis in der Stadt sei nach Hentschels Worten „die restriktive Anwendung der Ortsgestaltungssatzung“. Moderate oder fatale Situation? Nach Ansicht der SPD-Fraktion ist die Leerstandssituation im Vergleich zu anderen Städten in Ratzeburg „moderat“, so Fraktionschef Uwe Martens. Er würde es begrüßen, wenn die Vermieter „zu Leerstandszeiten die entsprechende Immobilie freundlich gestalten würden oder auch vorübergehende kulturelle Angebote schaffen könnten, zum Beispiel Bilderausstellungen“. Martens ist es „unverständlich, dass nicht mehr unternehmerischer Mut vorhanden ist, um in Ratzeburg Geschäfte zu betreiben“. Besonders im Segment Einzelhandelsangebote für Touristen gebe es Potenziale. Einen Mietspiegel hält er im Hinblick auf die Größe der Stadt nicht für sinnvoll, aber „Mietpartnerschaften“ und würde es begrüßen, wenn Vermieter es Neueinsteigern „mit niedrigen Anfangsmieten leicht machen“ würden. Dr. Torsten Walther antwortet für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen: „Wir betrachten die derzeitigen Leerstände als nicht problematisch für den Gesamteindruck der Stadt“. Nach seiner Meinung sind längere Leerstände eher selten und zum Beispiel durch Inhaberwechsel bedingt. Seine Fraktion hält ein „Umfeld für erforderlich, dass zum Bummeln und Flanieren einlädt“. Dieses sei aber nicht gegeben, wenn „das Augenmerk auf eine maximale Parkplatzzahl gelegt wird“. Er bedauere dieses auch bei dem Beschluss zur Sanierung der Domstraße. Dr. Walthers Fazit: „Mehr Platz für Fußgänger, eine einladende Außengastronomie und ein ansprechendes Umfeld machen die Stadt interessant für Gewerbetreibende“. Drastischer dagegen sieht Sami El Basiouni von der BfR (Bürger für Ratzeburg) die aktuelle Situation. „Der heutige Leerstand ist fatal für die Ratzeburger Bürger und die bestehenden Gewerbetreibenden, Freiberufler und Selbstständigen. Ohne die aktive Unterstützung sowohl von Politik als auch Verwaltung werden wir diese Entwicklung nicht aufhalten können!“ Die Ortsgestaltungssatzung müsse geändert und die „Parkplatzsituation gelockert“ werden. Als Ideen schlägt El Basiouni zusätzlich vor, Steueranreize bei der Gewerbesteuer für Kleinunternehmen zu schaffen und verwaltungsseitig ein Online-Leerstandsmanagement zu führen. Tatsächlicher und scheinbarer Leerstand: Um zu erfragen, wie sich der Leerstand im Bereich der Insel tatsächlich entwickelt hat, kann Katrin Jester für die Stadt Auskunft geben. Sie ist hier „Koordinatorin Tourismus und Stadtmarketing“. Als sie 2010 ihre Arbeit aufgenommen hat, lagen lediglich Gewerbeanfragen vor, eine Übersicht über die Ladenlokale gab es damals nicht. Gemeinsam mit dem W.I.R. (Wirtschaftsförderungsverein Inselstadt Ratzeburg) hatte sie eine Übersichtsliste angelegt, die sie fortwährend pflegt. „Es gibt Objekte, die nicht direkt als Leerstand erkennbar sind“, berichtet Katrin Jester. So sind im Bereich der Insel einige Schaufenster beklebt, und es ist nicht bekannt, ob dort ein Lagerraum entstanden ist oder der ehemalige Geschäftsraum heute zu Wohnzwecken genutzt wird. Es gibt auch positive Beispiele: „Wir beobachten die Entwicklung seit 2011 eher positiv“, sagt Jester. Sieben eng bedruckte Seiten umfasst ihre Übersicht. „Offiziell stehen aktuell 14 Ladenlokale beziehungsweise Schaufenster leer“, sagt Katrin Jester, die durchaus positive Beispiele für die Entwicklung aufzeigen kann. So sei nach jahrelangem Leerstand das ehemalige Einrichtungshaus an der Kreuzung Schrangenstraße - Kleine Wallstraße heute umgebaut. Hier sind neue Wohnungen entstanden und ein Sanitätshaus eingezogen. Auch eine kleinere Gewerbeeinheit sei hier noch vermietbar. Ein anderes positives Beispiel sei das Ladenlokal der früheren „Bastelei“, das von der benachbarten Massagepraxis in der Töpferstraße mit übernommen wurde. Für ein aktives Leerstandsmanagement kann sich Katrin Jester Modelle eines Miteinanders vorstellen, die Gewerbetreibende, Vermieter, Politik und Verwaltung in einen Dialog bringen. Aber: „Ein City- oder Leerstandsmanagement kann man von hier aus nicht nebenbei machen, auch wenn wir es gern unterstützen würden. Dafür wäre eine Stelle ,Citymanagement’, wie es sie in Mölln gibt, hilfreich“. Lesen Sie auch Im Überblick: Das passiert mit den Karstadt-Häusern in Deutschland Von Thomas Biller