Schwerer Raub und Körperverletzung: Wie ein Breitenfelder für ein Missverständnis fast mit dem Leben bezahlt hätte

Wenn ein großes Missverständnis, Sprachbarrieren und grenzenloses Vertrauen in den Mitbewohner fast tödlich enden: Große Gedächtnislücken und viele offene Fragen bestimmten den ersten Verhandlungstag gegen Boris J. vor dem Lübecker Landgericht. Er soll am 5. August 2020 mit einem Komplizen über ein angekipptes Fenster in das Erdgeschoss eines Wohnhauses in Breitenfelde eingestiegen sein. Das Fenster gehörte zum Schlafzimmer von Fiete B., den sie daraufhin mit einem Baseballschläger zusammenschlugen und mit Kabelbindern fesselten. Mitbewohner Niklas T. rief die Polizei, während die Einbrecher das Haus durchsuchten und eine Geldkassette mit 30 bis 40 Euro einsteckten. Als die Beamten eintrafen, ließen sie die Beute stehen und flüchteten über ein Feld. Die Polizei suchte mit Hubschrauber und Wärmebildkameras nach den beiden – stellen konnten sie am Ende nur Boris J.. Mit einer Erklärung, vorgetragen von seiner Anwältin, versucht Boris J. das erste Missverständnis auszuräumen: Sein Komplize, den er nur beim Vornamen nennt, sei an diesem Abend wütend auf Niklas T., den Mitbewohner des Opfers, gewesen. Dieser habe eine Frau unter Drogen gesetzt und missbraucht. Deshalb seien sie nach Breitenfelde gefahren. Der Angriff galt aber nie Fiete B, sondern seinem Mitbewohner Niklas T.. Zu dem sei sein Bekannter derjenige gewesen, der zuerst durch das Fenster in das Schlafzimmer gestiegen sei und die Räume durchsucht habe. „Ich habe das so nicht gewollt“, beteuerte der Angeklagte. Sprachbarriere wird zum Verhängnis: Zudem muss sein Komplize eine wirklich flüchtige Bekanntschaft gewesen sein. Boris J. konnte den Ermittlern weder den Nachnamen noch den genauen Wohnort noch eine Telefonnummer verraten, sodass er am Donnerstag allein angeklagt war – und das nicht zum ersten Mal: Bereits in seiner Heimat Lettland war er wegen verschiedener Vergehen verurteilt worden. Derzeit ist er staatenlos. Opfer kämpft mit physischen und psychischen Folgen: Fiete B. hat den größten Schaden durch eine Reihe unglücklicher Zufälle und Missverständnisse. Der 49-Jährige habe den beiden Männern die ganze Zeit über erklären wollen, dass er nicht der ist, den sie suchen – dass er lediglich der Vermieter ist, der eben im selben Haus wohnt. Sein Pech: Die Einbrecher sprachen kein Deutsch. Warum sie aber hinter seinem Mitbewohner her waren, kann er sich nicht erklären. Er habe Niklas T. die Wohnung gegeben, nachdem dieser aus der Haft entlassen wurde: „Ich neige dazu, Menschen zu helfen, die Probleme haben“, sagt Fiete B. über seine Gründe dafür. T. habe ihm aber auch nach der Tat noch einmal versichert, dass er nichts von ungeklärten Konflikten wisse, die zu einem Raub motivieren könnten. Mit den Folgen des Überfalls hat Fiete B. bis heute zu kämpfen. Nach eigener Aussage leidet er unter Angstzuständen und Schlafstörungen. Sein Kurzzeitgedächtnis, Hörvermögen sowie Geschmacks- und Geruchssinn seien massiv beeinträchtigt. Ein Taubheitsgefühl an Kopf und Rücken und Kieferschmerzen beeinträchtigen seinen Alltag. An den Handgelenken sind immer noch die Narben der Kabelbinder zu sehen, mit denen er gefesselt wurde. Er sei seit der Tat so sehr mit diversen Arztterminen beschäftigt, dass er noch keine Zeit gehabt hätte, sich mit den psychischen Folgen in Therapie zu begeben. Abgeklärte Aussage trotz Traumata: Die Bilder, die dem Gericht anschließend Fiete B. kurz nach der Tat mit seinen Verletzungen zeigen, räumen auch die letzten Zweifel daran aus, welche Schmerzen er durchlitten hat. Die große Frage, die es im Prozess jetzt zu klären gilt: Welchen Anteil hatte Boris J. daran? Bemerkenswert: Allen Verletzungen und Traumata zum Trotz machte Fiete B. während seiner Aussage einen geradezu entspannten, abgeklärten Eindruck. Laut und deutlich, mit sicherer Stimme schilderte er, was passiert war. Deutlich nervöser wirkte Niklas T. – der Mann, auf den die beiden Einbrecher eigentlich aus waren. Seine Füße wippten die ganze Zeit unruhig auf und ab, während er die Ereignisse aus seiner Sicht schilderte. Als er mitbekam, dass fremde Menschen in das Haus eingestiegen sind, habe Niklas T. sich im Obergeschoss verschanzt und von dort aus die Polizei alarmiert. Aus seinem Notruf, der für die Beweisaufnahme noch einmal verlesen wurde, lässt sich erahnen, dass er tatsächlich große Angst hatte, dass sein Vermieter und Mitbewohner den Angriff nicht überlebt. 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