Verursacht EU-Naturschutz den Tod tausender Fische in Mölln?

Es ist ein Phänomen, das Anwohner und Touristen in Mölln stets im Dezember beobachten können. Frisch geborene Barsche und Rotfedern sowie andere Fischarten ziehen vom Schulsee und anderen Gewässern rund um Mölln in den geschützten Bereich des Mühlengrabens rund um die historische Wassermühle der Stadt. Die Vermutung einiger Anwohner: Dort sind die Tiere sicher vor Reihern oder Kormoranen, die es in der seenreichen Eulenspiegelstadt auf Nahrung abgesehen haben. Das Kuriose: Unzählige Fische sind im Dezember in der Möllner Altstadt vor den Augen der Anwohner im Mühlengraben verendet – und eine Teilschuld daran tragen ausgerechnet Naturschützer in den Reihen der Europäischen Union (EU). Anwohner sahen grausames Schauspiel: Die EU hat zum Naturschutz die Renaturierung der Möllner Gewässer mit dem Bau einer Fischtreppe angeordnet. Grundlage ist die EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). Fische sollen wie in einer Zeit vor dem Bau der denkmalgeschützten Möllner Wassermühle, dem damals Korn malendem Wahrzeichen der Stadt, ungestört wandern können. Das Umlenken einiger Seen und Bäche rund um die historische Wassermühle führte jedoch zum niedrigen Pegel des Mühlenbachs. Im Flachwasser sind deshalb am 5. und 6. Dezember tausende Fische im Mühlenbach verendet. Dieses grausame Schauspiel haben Anwohner beobachtet, die zwischen Kurpark und Mühlenplatz in der Straße „Auf den Dämmen“ spazieren gingen. Viele von ihnen machten Fotos. Einige davon erreichten auch die LN-Lokalredaktion Mölln, die bis vor Kurzem noch im Dachgeschoss der alten Wassermühle residierte. Darauf ist das traurige Spektakel genau zu erkennen: Im flachen Wasser stapeln und türmen sich die Fische. Viele von ihnen sind reglos. Wegen des flachen Pegels war auch mit Sauerstoffmangel zu rechnen. Wie viele am Ende überlebten, kann wohl niemand einschätzen. Lesen Sie auch Corona in Pflegeheim bei Schwarzenbek: Mitarbeiterin infiziert Bewohner Neue Leitung im Künstlerhaus Durch EU-Förderung besseres kostenfreies WLan in Ratzeburg Verwaltung: „Ursache für Fischsterben ungeklärt“: Sicher ist nur, dass Mitarbeiter des städtischen Baubetriebshofes am 6. Dezember umgehend anrückten, um der Lage Herr zu werden. Das haben Anwohner berichtet. Auf die Frage, wie es zu diesem schrecklichen Vorfall kam, äußerte sich Bürgermeister Jan Wiegels: „Die Ursache für das Fischsterben ist ungeklärt“, sagte er auf Anfrage. Da in der Weihnachtszeit der städtische Gewässer-Experte im Urlaub ist, konnte Wiegels keine fachlich versierten Angaben dazu machen. Wahrscheinlich sei der Durchlass unter der Mühle verstopft und dadurch zu wenig Sauerstoff für die vielen Jungfische vorhanden gewesen, erklärt er. In Abstimmung mit der unteren Wasserbehörde sei der Durchlass sofort gereinigt worden. „Dies wird jetzt regelmäßig erfolgen. Weitere Fischsterben wurden seitdem nicht beobachtet“, sagt Wiegels. Der Gewässerunterhaltungsverband (GUV) Hellbach-Boize im Kreis Herzogtum Lauenburg hat den Auftrag der angrenzenden Kommunen übernommen, die ökologische Durchgängigkeit des Gewässersystems „Hellbach“ wieder herzustellen – so der Fachjargon. Dafür wurde eine sogenannte Fischaufstiegsanlage (FAA) am Mühlengraben gebaut, wobei der Bach in bestimmten Bereichen verengt wurde. Das hat Pegel und Fließgeschwindigkeit des Mühlenbachs verändert, der jahrhundertelang das Stadtbild prägte und für Anwohner und Touristen ein sehenswerter Teil der Möllner Altstadt ist. Das Geld zur Realisierung des Projektes wurde zu 100 Prozent durch das Land Schleswig-Holstein bereitgestellt. Davon wurden 53 Prozent durch die Europäische Union, die restlichen 47 Prozent durch Bund und Land finanziert. Mit der Umsetzung soll die „ökologische Durchwanderbarkeit für Fische und wirbellose Fauna“ vom Elbe-Lübeck-Kanal über die Seen in Mölln, die Pinnau, den Hellbach bis hin zur Gudower Mühle hinauf erreicht werden. Aus dem Jahresband des „ Archivs des Vereins für die Geschichte des Herzogthums Lauenburg “ (1893) geht hervor, dass es bereits im Mittelalter eine Mühle am Mühlenbach an der Schaafbrücke in Mölln gab, die 1322 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Auch der Name Alt-Mölln (laut Forschern für „alte Mühle“) verdeutlicht die Bedeutung der Mühlen für die Stadt, deren Wappen ein Mühlrad ist. Bewohner der Stadtmühle leidet unter Niedrigwasser: Jemand, der das Phänomen der Fischbewegung an der Mühle im Dezember besser als kaum ein anderer kennt, ist der Eigentümer des denkmalgeschützten Gebäudes (gebaut 1864), Dr. Matthias Esche. Der ehemalige Geschäftsführer der Bavaria Film GmbH und der Bavaria Fernsehproduktion GmbH ist Naturfreund und erschüttert über den Vorfall. „Tausende tote Fische trieben im Mühlengraben“, sagt er. Er hat den Wasserstand der Mühle seit Jahrzehnten beobachtet und festgestellt, dass seit dem Umbau der Möllner Gewässer mit Einrichtung der Fischtreppe bei den ehemaligen Fischteichen „Auf den Dämmen“ Fließgeschwindigkeit und Wasserstand noch nie dauerhaft so gering waren. Außerdem habe sich die Fließgeschwindigkeit verändert. „Wir wünschen uns, dass der Status quo ante wieder hergestellt wird.“ Vor dem Umbau der Möllner Gewässer sei der Wasserstand des Mühlengrabens rund um die Stadtmühle im Schnitt zehn bis 20 Zentimeter höher gewesen. Das kann er bei der Betrachtung der kleinen Treppe zum Bach unterhalb seines Gebäudes sehr gut erkennen. Die unterste Treppenstufe sei stets bedeckt mit Wasser gewesen. „Ich vermute, dass sich die jungen Fische im Dezember zum Schutz vor Reihern und anderen Vögeln immer vom Schulsee zurück in den Schutz des Mühlengrabens zurückziehen“, erklärt Esche. Genaueres müsste ein Naturexperte berichten. 70 Jahre lang sei der Wasserstand unverändert gewesen. Der Gewässerunterhaltungsverband (GUV) Hellbach-Boize hat einen Zusammenhang zwischen Umbau der Möllner Gewässer und Niedrigwasser bislang dementiert. EU-Richtlinie Schuld am Badeverbot im Luisenbad? Möllner Verwaltung und Politik kämpfen neuerdings de facto aber mit vielen Problemen: Badeverbot im Luisenbad, touristische Vermieter, die ihren Gästen erklären müssen, warum der Pegel nicht mehr zum Kanufahren ausreicht. Ständig müssen an verschiedenen Stellen die Pegelstände von der Stadt angepasst werden. GUV jedenfalls hat bis jetzt nicht dafür gesorgt, dass das austariert wird. Außerdem müssen Vorrichtungen für die Wasserstands-Regulierung saniert oder neu gebaut werden. Die stark von der Pandemie gebeutelte Stadt könnte auf einigen Kosten dafür allein sitzen bleiben. Für die Lösung dieser Probleme haben weder die EU, noch das Land Schleswig-Holstein, noch die übrigen Wasserbehörden im Kreis bislang eine Lösung gefunden. Von Florian Grombein