„bulli_talk“: Ratzeburger Feuerwehrmänner bringen Tabuthemen nach Instagram

„Zeigst du etwa Schwäche nach einem Einsatz?“ steht unter dem Bild, das Feuerwehrmann Hannes Weber auf Instagram gepostet hat. Er sitzt auf den Stufen eines Löschfahrzeuges. Sein Blick ist abwesend, offenbar ist er mit den Gedanken noch am letzten Einsatzort. Unter dem Foto die Hashtags: #schwachistdasneuestark und #blaulichtfamilie. Die Botschaft scheint anzukommen: Über 1300 Nutzer haben das Bild geliket. Seit etwas mehr als einem Jahr geben Hannes Weber und Ingo Paul auf ihrem Instagram-Kanal „bulli_talk“ Einblicke in ihre Arbeit bei der Freiwilligen Feuerwehr Ratzeburg. Über 5700 Abonnenten verfolgen inzwischen, was die beiden von ihrem Alltag und ihren Einsätzen berichten – darunter viele Mitglieder der #Blaulichtfamilie, also Instagram-Nutzer, die selbst Mitglied bei einer Feuerwehr sind oder beim Rettungsdienst arbeiten. Viele Follower hätten mit dieser Gruppe bislang überhaupt nichts zu tun gehabt, sagt Hannes Weber. Aufklären über erste Hilfe: Der Austausch mit anderen Feuerwehrleuten sei immer wieder bereichernd. Noch wichtiger ist es für Hannes Weber, diejenigen für die Herausforderungen der ehrenamtlichen Brandschützer zu sensibilisieren, die mit dem Thema bisher noch keine Berührungspunkte hatten. Zum einen möchte er auf diesem Weg neue Mitglieder für die Freiwillige Feuerwehr gewinnen. Zum anderen möchte er über das richtige Verhalten in einem Notfall aufklären. Das beginnt mit einfachen Maßnahmen, mit denen auch Laien Leben retten können. Konkret sind das zum Beispiel die Anzeichen für einen Schlaganfall, die viele nicht kennen und richtig deuten würden und deshalb zu spät den Rettungsdienst alarmieren. Es geht auf „Bulli Talk“ aber auch um Themen, die unter Feuerwehrleuten zu oft tabu sind. Dass viele Einsätze körperlich anstrengend sind, sei die eine Seite. Dass hinter einigen Bränden und Unfällen tragische Schicksale stecken und sich den Ersthelfern teils schreckliche Bilder bieten ist die andere. Aber: Der Großteil der ehrenamtlichen Feuerwehrleute sind Männer, und die müssen so etwas doch verkraften können. Oder? „In jeder Uniform steckt ein Mensch“: Falsch: „In jeder Uniform steckt ein Mensch“ – Unter dieser Überschrift ist an Silvester 2019 auf „Bulli Talk“ ein Video gegen Gewalt an Einsatzkräften online gegangen. Und diese Überschrift lässt sich über jeden Post setzen, der den Umgang mit psychisch belastenden Einsätzen thematisiert. Hannes Weber sagt, er habe ein starkes privates Umfeld und tolle Kollegen, die ihn in solchen Momenten auffangen und wieder aufbauen. Das hätten längst nicht alle ehrenamtlichen Feuerwehrleute. Die Therapie- und Seelsorge-Angebote innerhalb der Feuerwehr in Ratzeburg seien gut ausgebaut. Und doch kann es eine Hürde sein, professionelle in Anspruch zu nehmen. Was sagen die Kollegen? Ist es nicht unprofessionell, einen Einsatz so nah an sich heranzulassen? Für Hannes Weber sind das alles keine guten Argumente, professionelle Therapieangebote nicht in Anspruch zu nehmen. „Es ist kein Zeichen von Schwäche, sich Hilfe zu holen“, sagt er. Zeit nehmen, um das Erlebte zu verarbeiten: Als Feuerwehrmann lerne man natürlich über die Jahre, mit dem Stress umzugehen, wenn es zum Einsatzort geht. Ein Beispiel: „Wenn bei einem Verkehrsunfall der Fahrer im Auto eingeklemmt ist und um sein Leben schreit, hat man nur wenige Sekunden, um vernünftige Entscheidungen zu treffen.“ Zeit, um die Eindrücke zu verarbeiten, bleibt erst hinterher. Sich diese Zeit zu nehmen, die Gefühle nicht in sich hineinzufressen, sei absolut notwendig, denn: „Sonst kommt irgendwann alles wieder hoch“, da ist sich Hannes Weber sicher. Der 33-Jährige ist selbst Vater einer siebenjährigen Tochter. Einsätze, bei denen Kinder im selben Alter involviert sind, beschäftigen ihn auch dann noch, wenn der Dienst vorbei ist. „In jeder Uniform steckt ein Mensch: Das wird auf „Bulli Talk“ anschaulich und greifbar. Lesen Sie auch 30 Feuerwehrleute retten hilfloses Pferd aus der Linau bei Kollow Mehrzweckhalle: So geht es nach dem Großfeuer in Büchen weiter Corona: So ist das Gesundheitsamt Ratzeburg Weihnachten erreichbar Der nächste logische Schritt? TikTok: Seit Ende September sind Hannes Weber und Ingo Paul auch auf dieser Plattform unterwegs. Dort haben sie zwar erst zwölf Videos gepostet, trotzdem folgen ihnen jetzt schon knapp 10 000 Nutzer. Der erfolgreichste Clip hat rund 250 000 Aufrufe. Auch bei den jüngsten Nutzern der sozialen Medien kommen die Botschaften der Feuerwehrmänner an, und diese Reichweite wollen sie auch weiterhin sinnvoll nutzen. Von Sophie Schade