Babyklappe Lübeck: Wie Friederike Garbe Baby Jakob entdeckte

Am Mittwoch ist in der Lübecker Babyklappe ein kleiner Junge abgelegt worden. Eine Stunde nur hat Friederike Garbe (75) vom Agape Haus den kleinen Jakob erlebt, bevor er auf die Neugeborenen-Station der Uniklinik kam. Doch in ihrem Herzen hat sie ihn präsent, so wie die 21 weiteren Findelkinder aus der Lübecker Babyklappe. Von jedem kann sie bewegende Geschichten erzählen und hat zu vielen sogar persönlichen Kontakt. Sie hat ein volles Programm: Auch der Morgen, als Jakob im Wärmebett in der Mengstraße lag, war ein ganz besonderer. „Ich stehe immer um 5.30 Uhr auf“, erzählt Friederike Garbe und lacht, „im Sommer wie im Winter.“ Denn die 75-Jährige hat nicht nur als Vorsitzende des Vereins „Leben bewahren Lübeck“ ein volles Programm. Sie hat zwei Kinder, sieben Enkelkinder und arbeitet nach wie vor als Fotomodell. Und sie kümmert sich um ihren Mann Günter. Der Ehemann sitzt mit Decke über den Beinen neben ihr im Innenhof, die beiden verständigen sich still mit Blicken. 2013 hatte er eine Hirnblutung und ist seitdem Pflegefall. „Pflegestufe fünf“, sagt sie, lächelt sanft und fügt hinzu: „Ich kümmere mich gerne und mit großer Hingabe.“ Da lächelt er auch. Am Morgen des Findelkind-Tages hatte sie ihre Morgengymnastik hinter sich und ihrem Mann die ersten Medikamente gereicht. Da ging um 6.20 Uhr der Alarm los. „Wahnsinnig laut ist das“, sagt Garbe. Als sie zur Babyklappe kommt, liegt „ein Berg Goldfolie“ im Wärmebett. Erst dachte sie, es wäre ein Präsent zum 25-jährigen Jubiläum des Agape Hauses. „Wie schön“, dachte sie und war zugleich „ein bisschen ängstlich und hatte Herzklopfen.“ Sie wusste ja nicht, was da drunterliegt. Alles, was Lübeck voranbringt: Jeden Montag gegen 18 Uhr in Ihrem E-Mail-Postfach. Hier kostenlos den Newsletter „Lübeck next“ bestellen! Die Nabelschnur war notdürftig abgebunden: Also zog sie vorsichtig an der einen Ecke der Goldfolie, dann an der anderen. „Und dann sah ich diesen kleinen Fuß, diesen kleinen Jungen“ , erzählt Garbe. Die Nabelschnur war notdürftig mit einem Band abgebunden. Der Kleine war ganz still, er schlief. Sie nahm „das winzige Kindchen“ auf den Arm, erinnert sie sich an diesen sehr besonderen Moment: „Es war wie ein Geschenk, ein Geschenk an das Leben.“ Wie es mit Kindern aus der Babyklappe weitergeht, das kann Thomas Krohn (66) aus Travemünde beantworten. Er war jahrelang Amtsvormund im Jugendamt des Kreises Pinneberg und auch Vormund von drei Babyklappen-Kindern, die er über eine lange Zeit begleitet hat. Das sei für ihn stets eine Herzensangelegenheit gewesen: „Bei Findelkindern, dazu zählen auch Kinder aus der Babyklappe, wird das Jugendamt kraft Gesetzes (§ 1773 Bürgerliches Gesetzbuch) Vormund. Das Jugendamt führt in der Regel eine Liste von adoptionswilligen und vorher ausführlich geprüften Eltern, nach der dann die passende Familie für das Kind mit Zustimmung des Vormunds ausgesucht wird. Wenn das Kind dann in der Familie lebt, werden die Eltern regelmäßig besucht und überprüft, vom Sozialen Dienst des Jugendamts und vom Vormund. Nach etwa einem Jahr können die Eltern die Adoption beantragen.“ Wann eine Adoption abgeschlossen ist: „Um die Adoption abzuschließen, bedarf es einer langen Prozedur: einer ausführlichen Stellungnahme des Jugendamts, einer Zustimmung des Vormunds sowie eines notariell beurkundeten Adoptionsantrags, der dem zuständigen Familiengericht vorgelegt und von diesem nach Anhörung der Eltern, des Vormunds und des Jugendamts genehmigt werden muss. Falls die Eltern des Kindes bekannt sind oder im Laufe des Adoptionsverfahrens bekannt werden, müssen auch diese der Adoption zustimmen.“ Dann rief sie die Feuerwehr und wartete auf den Notarztwagen. Der musste an der Untertrave parken, weil die Mengstraße derzeit eine Baustelle ist. Friederike Garbe, noch immer im Nachthemd – inzwischen voller Blutflecken – und mit Hausschuhen an den Füßen, ging zur Straße runter und übergab den beiden Feuerwehrleuten das Neugeborene. „Die waren ganz aufgeregt, vielleicht das erste Findelkind“, vermutet sie. Der Abschied von Jakob: Friederike Garbe wartete die erste Untersuchung des Arztes im Rettungswagen ab. Alles ist gut. „Dann sagte ich Jakob adieu.“ Das Gefühl dabei? „Ein gutes“, sagt sie, „ich weiß, er kommt in eine Familie, die sich schon sehr lange ein Baby wünscht.“ Die 75-Jährige hat zu einigen Adoptiveltern „ihrer“ Findelkinder inzwischen Kontakt. Auch zu fünf Kindern selber. Sie haben sie besucht oder haben sie zu Festen eingeladen. Zuletzt war das erste Lübecker Findelkind bei ihr zu Gast. Das Mädchen Sarah (17) hat inzwischen einen anderen Namen, den ihr die Adoptiveltern gegeben haben. Garbe freut sich über die Besuche. Auch weil es für die Kinder „zu einer Suche nach den eigenen Wurzeln“ dazugehört, erklärt sie. Die Briefe von den Müttern bewahrt sie auf: Vielleicht sieht sie auch Jakob eines Tages wieder. Sie hätte ihm gerne einen Brief von seiner Mutter oder den Eltern mitgegeben. Aber es lag nichts dabei. Garbe hat einige dieser sehr traurigen und berührenden Abschiedsbriefe der Mütter und auch von Eltern als Kopie aufbewahrt. Falls Jakobs Mutter doch noch ein paar Zeilen für ihren Jungen schreiben möchte, könnte sie den Brief – natürlich anonym – beim Agape Haus in den Briefkasten werfen, erklärt die 75-Jährige und bittet: „Sie sollte dazu schreiben, was sie ihrem Baby angezogen hat, damit ich weiß, dass es auch tatsächlich die Mutter ist.“ Für viele Findelkinder ist so ein Brief später sehr wichtig, betont Friederike Garbe. Lesen Sie auch Lübecks Babyklappe: Junge zum Jubiläum 20 Jahre Babyklappen: 34 Kinder in Schleswig-Holstein gerettet Von Cosima Künzel