CDU-Bundestagsabgeordnete kritisiert die Lübecker Corona-Politik

Hohe Corona-Inzidenzwerte, Ausbreitung der britischen Corona-Mutation: Die CDU-Bundestagsabgeordnete Prof. Claudia Schmidtke (CDU) macht sich große Sorgen um die Pandemie-Bekämpfung in der Hansestadt. Schmidtke sieht andere Städte besser aufgestellt. Die Kritik hatte Schmidtke Ende vergangener Woche in einem Facebookpost öffentlich gemacht. Am Mittwoch schrieb sie in einem erneuten Post: „Noch liegt die 7-Tage-Inzidenz in Lübeck über dem Landesschnitt, aber die Richtung stimmt. Sehr gut!“ „Sind die hohen Zahlen in Lübeck nur Pech?“: „Lübeck hatte in den letzten vier Wochen eine überdurchschnittliche Inzidenz“, erklärt die Abgeordnete und Ärztin, „es gibt eine Reihe von Städten vergleichbarer Größe, die niedrigere Inzidenzen hatten und haben – wie Kiel oder Rostock.“ Selbst ein Landkreis wie Pinneberg, der seit Beginn der Pandemie stets mit die höchsten Infektionszahlen in Schleswig-Holstein hatte, habe die Zahlen senken können, so die CDU-Politikerin: „Sind die hohen Zahlen in Lübeck nur Pech?“ Schmidtke vermisst Kreativität bei der Pandemie-Bekämpfung. „Ich glaube schon, dass es mehr Engagement bei der Prävention hätte geben können“, sagt die Politikerin und verweist auf Kiel. Dort seien beispielsweise mehrsprachige Videobotschaften auf der Homepage der Stadt abzurufen. Im baden-württembergischen Böblingen könnten sich alle Einwohner des sehr stark bevölkerten Landkreises bis zu zwei Mal pro Woche gratis in fünf Zentren testen lassen, berichtet die Patientenbeauftragte: „Solche Projekte wären jedenfalls sinnvoller gewesen, als die wiederholte Diskussion über nächtliche Ausgangssperren, bei denen es keinerlei Hinweise auf Wirksamkeit gibt.“ Schmidtke wirbt für Kontaktverfolgung per „Sormas“: Es gehe ihr nicht um Schuldzuweisungen, sondern um mehr Offenheit in Lübeck für „eine gemeinsame Problembewältigung über die Grenzen der Parteien hinweg.“ Konkretes Beispiel: Die Helmholtz-Gemeinschaft habe ein Computerprogramm zur Nachverfolgung von Kontakten der Corona-Infizierten entwickelt. Ursprünglich war die Software „Sormas“ für die Ebola-Bekämpfung in Afrika entwickelt worden. Helmholtz habe die Software für Corona weiterentwickelt und allen Gesundheitsämtern in Deutschland kostenlos zur Verfügung gestellt. In Bremen und im Saarland werde es genutzt, in Schleswig-Holstein nach Aussage der Abgeordneten bisher nicht. „Das Gesundheitsamt in Lübeck ist, wie einige andere auch, noch nicht an Sormas angeschlossen“, erklärt Prof. Schmidtke, „ich bin davon überzeugt, dass mit der Hilfe dieser wissenschaftlichen Software die Kontaktverfolgung wieder effektiv zu erfüllen wäre. Wir müssen aus dem Zeitalter der Faxgeräte raus.“ 15 000 Euro pro Heim und Monat: Schmidtke versteht auch nicht, dass die Unterstützung der beachtenswerten, ehrenamtlichen Initiative aus Pflegeeinrichtungen, Kliniken, Kassenärzten, Seniorenbeirat und Wissenschaft, die sich frühzeitig zum „Gesundheitsnetzwerk Covid-19“ zusammengeschlossen hat, so zögerlich angenommen werde. Das Gesundheitsnetzwerk habe unter anderem das Lübecker Ampelsystem für Besuchsregeln in Pflegeheimen entwickelt. Die CDU-Bundestagsabgeordnete kritisiert, dass es mit den Tests in den Pflegeheimen nicht reibungslos klappt. Das sei nicht nur in Lübeck so. Der Bund zahle Einrichtungen mit 100 Heimbewohnern fast 15 000 Euro nur für das Testpersonal. „Pro Einrichtung und Monat“, sagt Schmidtke, „am Geld kann es also nicht liegen, wohl aber an der Organisation der Aushilfen. Das können natürlich auch nicht die Heime leisten, die Stadt und manche andere Träger aber schon.“ Lesen Sie auch AstraZeneca-Wirkstoff: Corona-Geimpfte in SH klagen über Impfreaktionen Spahn: Anteil der britischen Mutante beträgt in Deutschland mehr als 20 Prozent Corona-Schnelltests für alle in SH? Die wichtigsten Fragen und Antworten Das städtische Gesundheitsamt erklärt auf LN-Anfrage, dass in Lübeck ein anderes Kontaktverfolgungsprogramm genutzt werde. „Sormas“ sei geprüft worden, doch das Gesundheitsamt habe sich für das Mikado von der Firma Mikroprojekt entschieden. „Dieses Modul ist nach unseren Erfahrungen an Funktionalität und Benutzerfreundlichkeit dem Programm ,Sormas’ deutlich überlegen“, erklärt Stadtsprecherin Nicole Dorel: „Die Anwendung von Sormas kommt daher derzeit für uns nicht in Frage.“ Eine flächendeckende Systemumstellung während der laufenden Pandemie würde zudem die Gesundheitsbehörden zusätzlich belasten. Städtische Heime nehmen Bundesförderung in Anspruch: Widerspruch auch bei den Tests in den Pflegeeinrichtungen: Den Alten- und Pflegeheimen würden neun Euro pro Test und neun Euro für die Durchführung der Testung als Förderung zur Verfügung stehen, so das Gesundheitsamt: „Alle städtischen Pflegeeinrichtungen nehmen die Förderung an und rechnen entsprechend ab.“ Zu den Pflegeeinrichtungen anderer Träger – das sind immerhin über 30 Heime – könne die Stadtverwaltung keine Auskünfte geben. Auch das in Lübeck entwickelte Ampelsystem für Besuche in den Alten- und Pflegeheimen werde mittlerweile in vielen Einrichtungen umgesetzt, erklärt die Verwaltung: „Weitere Einrichtungen sind eingeladen, sich beim Gesundheitsnetzwerk Lübeck zu beteiligen.“ Die grundsätzliche Kritik, Lübeck stehe nicht so gut da wie andere Städte und Gemeinden, sei für die Verwaltung nicht nachvollziehbar, erklärt die Stadtsprecherin: „Die Infektionszahlen sind aufgrund von konzentrierten Ausbrüchen in Gemeinschaftseinrichtungen stark angestiegen.“ Konkrete Maßnahmen seien eingeleitet, die Inzidenz gehe zurück. Für Lübeck meldete das Robert-Koch-Institut am Mittwoch eine Inzidenz von 73, für Kiel von 34,4 und für Rostock von 26,3. Von Kai Dordowsky