Charité-Ärztin: Lübecker Forscher erinnert sich an seine berühmte Oma

Sie erreichte in den vergangenen Wochen bei der Ausstrahlung ein Millionenpublikum, die dritte Staffel der Serie „Charité“, und noch ist sie bis Ende Juli in der ARD-Mediathek abrufbar – wovon auch schon fast zehn Millionen User Gebrauch gemacht haben. Wie zum Beispiel Dr. Daniel Hans Rapoport. Der Lübecker Fraunhofer-Forscher hat eine ganz persönliche Beziehung zu dieser erfolgreichen TV-Produktion. Denn im Fokus der aktuellen Staffel stehen wiederum prägende Persönlichkeiten aus der Historie der Berliner Vorzeigeklinik – wie die herausragende Kinderärztin Dr. Ingeborg Rapoport. „Nina Kunzendorf spielt das ganz passend“, kommentiert der 49-jährige Enkel der charismatischen Ärztin zufrieden, „meine Oma war aber in Wirklichkeit eine lustigere Frau. Das kommt in dem Dreh nicht so raus. Sie habe ja auch eine Autobiografie geschrieben, „die jetzt wegen des Erfolgs der Charité-Serie neu aufgelegt wird. Oma war immer sehr ,funkelnd’, um bei einem ihrer Lieblingsausdrücke zu bleiben“. Ausgewiesene Expertin für Frühgeborenenmedizin: „Imo – so wurde sie bei uns in der Familie genannt – ist vor dreieinhalb Jahren im gesegneten Alter von 104 Jahren gestorben, und ich habe bis zuletzt einmal die Woche mit ihr telefoniert und sie regelmäßig in Berlin besucht. Sie hatte immer Käsekuchen da und Tee“, erzählt der studierte Chemiker, „das Herz wollte zum Schluss nicht mehr; geistig war sie aber stets voll dabei und wollte immer über Substanzielles und politische Themen reden. Oberflächliches und Tratsch hat sie immer abgelehnt.“ Als Professorin für Pädiatrie an der Kinderklinik der Charité in Ost-Berlin war Ingeborg Rapoport ab 1969 Inhaberin des ersten europäischen Lehrstuhls für Neonatologie, also für Frühgeborenenmedizin. Sie zählte über die Wissenschaftsgemeinde in der DDR hinaus zu den anerkanntesten Pädiatern ihrer Zeit. „Als Steppke hatte ich das Glück, dass mein Elternhaus nicht weit entfernt war vom Zuhause meiner Großeltern. Und das Forschungsinstitut, in dem meine Eltern gearbeitet haben, befand sich in der Nähe der Charité. Das bedeutete also, dass ich häufig bei Oma und Opa sein konnte“, erinnert er sich sehr gerne an seine Kindheit in Berlin-Mitte und das spielerische Hin-und-Herpendeln auf dem Wissenschaftscampus. Ingeborg Rapoport wurde 1912 als Ingeborg Syllm in der deutschen Kolonie Kamerun geboren und wuchs in Hamburg auf. Hier studierte sie auch Medizin, legte 1937 ihr Staatsexamen ab und schrieb ihre Dissertation, eine experimentelle Arbeit über Diphtherie. Allerdings wurde ihr der Dr. med. verweigert, weil ihre Mutter Jüdin war. 1938 emigrierte sie dann in die USA. Während der McCarthy-Ära kehrte sie dann 1950 als überzeugte Sozialistin zusammen mit ihrem Ehemann, dem österreichischen Biochemiker und Kinderarzt Samuel Mitja Rapoport, aufgrund der politischen Verfolgung nach Europa zurück. Ab 1952 fand die Familie in der Hauptstadt der DDR Arbeit und eine neue Heimat. Ab 1958 war sie an der Charité-Kinderklinik tätig und leitete dort die Säuglings- und Frühgeborenenstation. Bis zu ihrer Emeritierung 1973 entwickelte Ingeborg Rapoport ihre Abteilung für Neugeborenenheilkunde inhaltlich und strukturell mit dem Neuaufbau einer Station für Neugeborenen-Intensivtherapie und einer Forschungsabteilung weiter. Im Mai 2015 verteidigte sie erfolgreich ihre Doktorarbeit von 1938 vor drei Professoren der Universität Hamburg und bekam 77 Jahre nach dem Verbot durch die Nazis in einer feierlichen Zeremonie ihre Promotionsurkunde überreicht. Mit ihren damals 102 Jahren ist sie bislang der älteste Mensch, der jemals ein Promotionsverfahren abgeschlossen hat. Sie sei ja in Hamburg aufgewachsen und habe ihr Leben lang diesen kleinen Akzent aus der Elbmetropole hörbar beibehalten. Weil ihre Mutter Jüdin war, emigrierte die studierte Ärztin dann im Jahr 1938 in die USA und arbeitete dort in verschiedenen Krankenhäusern. 1946 heiratete sie den österreichischen Biochemiker Samuel Mitja Rapoport, mit dem sie vier Kinder bekam. „Als Mitglieder der Kommunistischen Partei USA bekamen meine Großeltern dann in der McCarthy-Ära massive Probleme und kehrten 1950 nach Europa zurück. Das sei eine sehr schwierige Zeit gewesen, wie meine Oma berichtete, da beide trotz ihrer Expertise in Wien anschließend beruflich nicht Fuß fassen konnten“, weiß Daniel H. Rapoport. Dann allerdings kam im Jahr 1952 die Offerte aus Ost-Berlin, von der beide profitieren sollten: Biochemiker Samuel Mitja Rapoport wurde die Leitung des Instituts für Physiologische und Biologische Chemie an der Humboldt-Universität und seiner Ehefrau der Einstieg in die Universitätsmedizin angeboten. Verhältnis zur DDR war auch durch Dankbarkeit geprägt: „Daraus erklärt sich auch ihr gesamter Blick auf den Staat DDR und eine gewisse Dankbarkeit, sodass sie die Wende schon als Schock empfunden hat“, so Daniel Rapoport, „sie wusste schon, dass das politische System per se große Fehler hatte, und hat das auch in ihrer Biografie benannt. Aber insgesamt war sie jedoch stets der festen Überzeugung, dass man das kontinuierlich verbessern könne, wenn man wolle.“ Da sei sie ganz und gar Wissenschaftlerin gewesen – „für sie war das ein gescheiterter Versuch, also macht man eine Fehleranalyse, und dann macht man es noch mal, aber besser“, schildert der Lübecker Forscher die Grundhaltung seiner Großmutter. Lesen Sie auch Britische Corona-Mutation: Schon 20 Fälle in Lübeck Eisflächen in Lübeck: Können die Lübecker schon auf die Wakenitz? LN-Livetalk: Freie Taxifahrt für Senioren zur Corona-Impfung So habe sie auch ihr Fachgebiet gesehen – „sie wollte einfach die Säuglingssterblichkeit senken, die zeitweise niedriger war als in der viel reicheren Bundesrepublik. Es ging ihr nicht so sehr um Interdisziplinarität; sie wollte ein effizientes Gesundheitssystem aufbauen“, sagt der Fraunhofer-Wissenschaftler. Leider habe „Imo“ ihn aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters später nicht mehr in Lübeck besuchen können. „Sie war aber ein sehr großer Literaturfan und kannte sich enorm aus. Thomas Mann war für sie einer der Großen“, fasst der gebürtige Berliner, der seit 15 Jahren in der Hansestadt arbeitet, zusammen. Er habe übrigens gerade noch mal ihre Biografie „Meine ersten drei Leben“ gelesen, die sie mit 85 Jahren veröffentlicht hat. „Sehr spannend“, so sein Kommentar. Von Michael Hollinde