Corona-Helden: Drei systemrelevante Lübecker genießen Freizeit an Ostern

In ihrem Altstadt-Haus nahe der Obertrave genießen Monika (56) und Oliver Haase (59) am auch für sie arbeitsfreien Karfreitag ihren Frühstückskaffee, lassen die von den Eltern geschickten, handgefärbten Ostereier aber unversehrt. Schließlich sollen auch die später aus Kiel kommenden Söhne noch den bunten Sechserpack aus dem Münsterland zu sehen bekommen. Die Haases – sie arbeitet seit 1984 als Krankenschwester im Dreischichtdienst in der Lübecker Uniklinik, er seit 1991 als Physiotherapeut in eigener Praxis, die zurzeit „auf Sparflamme“ laufen muss – gehören zum systemrelevanten Personenkreis, aus dem sich in Corona-Zeiten die stillen Helden des Alltags rekrutieren. Das LN Corona-Update als Newsletter Alle News zum Coronavirus in Lübeck dienstags bis samstags gegen 7 Uhr im E-Mail-Postfach Krankenschwester zollt Supermarkt-Mitarbeitern Respekt: Doch vor allem Monika Haase – in der Kardiologie im Einsatz, aber über Ostern komplett dienstfrei – will davon nicht allzuviel wissen und sagt: „Wir machen nur unsere normale Arbeit. Es ist schön, wenn man für uns abends klatscht und singt und uns eine Bonusprämie zahlt. Aber damit wird das Grundproblem in den Kliniken nicht gelöst, das man sich auch mit jahrelangem Sparkurs und Personalabbau eingebrockt hat.“ Zum Thema Helden merkt sie an: „Es wäre toll, auch nach der Pandemie so eine Wertschätzung zu erfahren. Aber in meinem Ranking stehen Supermarkt-Mitarbeiter zwischen den Regalen und an den Kassen auf Platz eins, weil sie sich täglich dem Infektionsrisiko aussetzen müssen, ohne so professional ausgerüstet zu sein wie wir.“ Zahntechniker macht (fast) alles im Biomarkt: Das hört Jürgen Franck gern. Der ebenso systemrelevante 58-Jährige arbeitet als gelernter Zahntechniker seit zwölf Jahren im Landwege-Biomarkt an der Kanalstraße. Als „Vollzeit-Mann für fast alle Fälle“, sitzt er zumeist an der Kasse, springt aber auch im Bistro oder am Brottresen ein, wenn Not am Mann ist. Er sagt: „Dass sogar eine Krankenschwester unsere Tätigkeit so hoch einstuft, ehrt mich. Aber wie ein Held fühle ich mich nicht.“ Nach anfänglicher Unsicherheit komme er mit der Situation gut klar, auch wenn die Schutzmaßnahmen beim Kassieren mit Plexiglas und blickdichter Plane an der Seite eher provisorischen Charakter hätten. „Um die Kunden und mich bei Laune zu halten, sage ich manchmal, dass ich weiter lächle, auch wenn’s vielleicht nicht zu sehen ist . . .“ Geduld auch bei der zehnten Hefe-Anfrage: Franck genießt in St. Jürgen mit seiner Frau Silke (48) – als „Kindertagespflegeperson“ in Zeiten geschlossener Kitas und Schulen in punkto Notbetreuung ebenso unabdingbar – die wärmende Vormittags-Sonne im Strandkorb. Er freut sich auch schon auf die nachösterliche Urlaubswoche im heimischen Garten und räumt ein: „Natürlich fällt es derzeit im Alltag schwer, auch die zehnte Hefe-Anfrage genauso freundlich und mit einem Bedauern zu beantworten wie die erste. Aber irgendwie lässt die Pandemie unsere nette 30-köpfige Biomarkt-Crew auch noch enger zusammenrücken – wenn man das in Corona-Zeiten überhaupt sagen darf.“ Positiver Stress im Zweischichtdienst: Das gilt in ähnlicher Form auch für Christian Alwert. Der 39-Jährige hat gerade seine Frühschicht als Gerätemonteur bei Dräger absolviert, wo er in der Endkontrolle für Anästhesiegeräte seit Februar im Zweischichtdienst gefragt ist. Er erzählt: „Wir haben auch durch die Corona-Krise in unseren jeweiligen 80-Mann-Schichten zwar sehr viel zu tun. Aber die Arbeit ist positiver Stress, macht sich im Portemonnaie bemerkbar und hilft, Leben zu retten. Trotzdem sehe ich mich nicht als Helden.“ Nach kurzer Kaffeepause am – natürlich selbstgebauten – Multifunktions-Tisch (wechselweise mit Blumenschalen oder Eiswürfelbehältern) freut er sich als „Mann der Praxis“ darauf, bis zur nächsten Spätschicht am Ostermontag im Garten seines Reihenhauses in St. Gertrud das nächste Projekt mit Sohn Niclaas (8) für die einjährige Tochter Hanna anzugehen: eine Sandkiste unterm Stelzenhaus. Unternehmen oder Berufsgruppen sind laut „Wikipedia“ systemrelevant (engl. „systemically important“ oder „too big to fail“, deutsch „zu groß zum Scheitern“), wenn sie eine so bedeutende volkswirtschaftliche oder infrastrukturelle Rolle in einem Staat spielen, dass ihre Insolvenz nicht hingenommen werden kann oder ihre Dienstleistung besonders geschützt werden muss. Auch mit Blick auf die Eindämmung der Covid-19-Pandemie gibt es verschiedene Kernbereiche (ohne Anspruch auf Vollzähligkeit): Ernährung/Hygiene: Produktion und Handel (Groß- und Einzelhandel) nebst Vertriebsketten, Logistik, Zulieferer. Energie: Elektrizitäts-, Gas-, Treibstoff- und Wasserversorgung, Heizungsbranche, Abwasser, Entsorgung. Informationstechnik/Kommunikation: Telekommunikation, Aufrechterhaltung/Entstörung der Netze, Massenmedien/Journalisten. Gesundheit: u.a. Ärzte, Krankenhäuser, Kranken- und Altenpfleger, Labore, Pflege- und Rettungsdienste, Apotheken, Arzneimittelhersteller, Medizintechnik. Grundversorgung: Distributionslogistik, Kassierer, Reinigungskräfte oder Verkäufer von Lebens- oder Nahrungsmitteln. Öffentliche Sicherheit: Feuerwehr, Polizei, Katastrophenschutz, Technisches Hilfswerk, Justizvollzug, Krisenstab. Infrastruktur: Öffentlicher Nah- und Fernverkehr, Notbetreuung in Kindergärten und Schulen, betriebsnotwendiges Personal im Öffentlichen Dienst (Bund/Länder, Jobcenter, Ämter, Notdienste). In der Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit heißt es schlicht: „Systemrelevant sind Branchen und Berufe, die in der Krise für die Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens, die Sicherheit und die Versorgung der Menschen unabdingbar sind.“ Auch Gebäudereinigung ist Corona-Bekämpfung: Seine Ehefrau Maike (34) lässt es als gelernte Gebäudereinigerin über Ostern bewusst ruhiger angehen: Als Objektleiterin in Diensten des Lübecker Gebäudemanagements erholt sie sich von den Ultra-Frühschichten, die sie seit Ausbruch der Corona-Pandemie zwischen drei und neun Uhr ableistet, um sich danach um ihre Kinder kümmern zu können. „Mein Mann und ich kommen in unseren Berufen schon mit genug Menschen in Kontakt. Deshalb gehen wir lieber auf Nummer sicher, auch wenn es für Niclaas eine Notbetreuung gäbe“, sagt die 34-Jährige. Und sie erklärt: „Auch wenn Schulen und Kitas aktuell geschlossen sind, machen wir dort jetzt die Grundreinigung. Dazu kommt noch der Mehraufwand durch die Desinfektionsmaßnahmen in den Verwaltungszentren und Bürgerbüros – aber das alles sind wichtige Beiträge zur Corona-Eindämmung.“ Die LN-Themenseite mit allen Artikeln zum Thema Corona Coronavirus in und um Lübeck: Diese Texte sollten Sie gelesen haben Coronavirus in SH: Das ist die aktuelle Zahl der Infizierten Liveblog zur Corona-Krise: Das ist die Lage in Lübeck und Schleswig-Holstein Alle aktuellen Informationen aus Deutschland und der Welt im Live-Blog Lübecks Corona-Chronik: Eine Stadt legt sich still #supportyourlocal: Machen Sie Ihr Angebot bei uns bekannt #supportyourlocal: So können Sie Geschäften, Restaurants und Freiberuflern in Lübeck jetzt helfen Zu Ostern: Land lockert Corona-Regeln für Familien Coronavirus: So kooperieren die Lübecker Forscher Lübecks Bürgermeister beantwortet die Fragen der Bürger Wann soll der Schulunterricht wieder beginnen? Corona: 17 Ärzte und Pfleger in Lübeck infiziert Uneinsichtige Kunden machen dem Einzelhandel das Leben schwer Von 150 bis 4000 Euro: Alle Bußgelder für Schleswig-Holstein im Überblick Können Haustiere das Coronavirus übertragen? Lebenshilfe muss Betreuung im häuslichen Umfeld einstellen Lübeck: Einlasskontrollen am Markt am Brink Spargelernte beginnt - mit weniger Helfern UKSH verdoppelt Zahl der Intensivbetten Striktes Besuchsverbot in allen Kliniken und Pflegeheimen Hoffnung im Norden: Quote der Corona-Neuansteckungen sinkt Sparkasse zu Lübeck liefert Bargeld nach Hause Zweitwohnungen: Wer schon da ist, darf bleiben Mecklenburg-Vorpommern riegelt Grenze zu Schleswig-Holstein ab Coronavirus: Schleswig-Holstein macht zu – Touristen müssen draußen bleiben In der Krise zusammenhalten: So helfen sich Nachbarn in Lübeck gerade gegenseitig Quarantäne – was bedeutet das für mich? Von Andreas Oelker

Stille Corona-Helden - Unentbehrlich: Drei systemrelevante Lübecker genießen freie Zeit an den Ostertagen