Corona-Inzidenz. Große Unterschiede zwischen Kiel und Lübeck

Ende Januar konnte Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) die Maskenpflicht in Kitas aufheben. Anfang Februar appellierte Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau (SPD) an die Bürger, möglichst immer medizinische Schutzmasken aufzuziehen, wenn sie das Haus verlassen. Bei der Corona-Inzidenz liegen zwischen Kiel und Lübeck Welten. Die Landeshauptstadt bewegt sich seit Wochen unter 40, die Hansestadt dümpelt seit Wochen um die 100 herum. Warum ist das so? Wissenschaftler sind ratlos. „Diese unterschiedlichen Tendenzen sind auch aus meiner Sicht erstaunlich“, erklärt Prof. Helmut Fickenscher vom Institut für Infektionsmedizin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und des UKSH. Allerdings verdichte sich die Tendenz zu rückläufigen Fallzahlen aller Kreise und Städte auch in Schleswig-Holstein. Im ersten Lockdown hatte Kiel höhere Zahlen als Lübeck: „Immerhin hatte Lübeck zu Weihnachten die 200-er-Marke der Sieben-Tage-Inzidenzen deutlich überschritten und mittlerweile hat sich die Inzidenz schon fast halbiert“, so Fickenscher: „Neben dem Zufall spielt fast überall in Schleswig-Holstein das nicht kalkulierbare Ausbruchsgeschehen in Gemeinschaftseinrichtungen eine wesentliche Rolle und kann sehr schnell zu Erhöhungen führen.“ Kiel hat gut 30 000 Einwohner mehr als Lübeck. Die Zahl der Studierenden ist deutlich höher als an der Trave, die Zahl der Senioren ab 65 Jahren liegt ein bisschen niedriger als in Lübeck. Die Zahl der Pflegeheime liegt leicht unter der von Lübeck. Die Verläufe der Inzidenzwerte von Kiel und Lübeck klaffen weit auseinander. Zu Weihnachten lag die Zahl der Infizierten je 100 000 Einwohner in sieben Tagen in der Landeshauptstadt bei 116, in Lübeck dagegen bei 230. Anfang Februar war die Inzidenz in Kiel auf 48, in Lübeck auf 144 gesunken. Am 8. Februar gaben das Robert-Koch-Institut und das Land für Kiel eine Inzidenz von 36 und für Lübeck von 108,5 an. Am 8. Februar zählte die Hansestadt 3887 Infizierte seit Beginn der Pandemie, 353 aktiv erkrankte, 3481 Genesene, 53 Corona-Tote und eine Inzidenz von 108. Die Landeshauptstadt zählte am 8. Februar 3127 Infizierte seit Beginn der Pandemie, 187 aktiv Erkrankte, 2866 Genesene, 74 Corona-Tote und eine Inzidenz von 36. Im ersten Lockdown hatte Kiel fast durchgängig höhere Zahlen als die Hansestadt. Im ersten Lockdown hatte Lübeck nur ganz wenige Corona-Tote zu beklagen. Bürgermeister Lindenau sprach neulich in einem LN-Livestream von drei Verstorbenen in der ersten Welle. Mittlerweile sind es sogar 58. Lesen Sie auch Bis zu 40 cm in Ostholstein: Lake-Effect bringt viel Schnee nach Schleswig-Holstein Euroimmun-Chef Stöcker klagt: Impf-Bürokratie hat „tödliches Ausmaß“ angenommen Corona-Impfung: „Bürgermeister sollen sich zurückhalten“ – Kritik an Impfvordränglern „Es ist schon erstaunlich“, sagt Prof. Alexander Katalinic, Direktor des Instituts für Sozialmedizin und Epidemiologie an der Universität Lübeck, „vor vier Wochen lagen Lübeck und Kiel beide bei einer Inzidenz um die 100.“ Vermutlich sei Kiel von relevanten lokalen Ausbrüchen verschont geblieben, „die in Kommunen in der Größenordnung von Lübeck und Kiel die Sieben-Tage-Inzidenz immer wieder nach oben treiben.“ Der Wissenschaftler: „Aber ich bin doch etwas ratlos. Vielleicht mehr Mobilität? Pendeln nach Hamburg? Zufall?“ Corona-Regeln gelten in beiden Städten: Beide Städte wenden die Corona-Regeln des Landes an. In beiden Städten gibt es in bestimmten Bereichen und im Busverkehr eine Maskenpflicht. Beide Städte betreiben ein Impfzentrum und haben ihr Gesundheitsamt auch durch Soldaten personell verstärkt, um die Kontakte von Infizierten zu ermitteln. Kiel beschäftigt derzeit 80 Leute im Gesundheitsamt, Lübeck sogar 100. „Wenn jede Stadt sicher vorhersagen könnte, bei welchen Maßnahmen die Infektionswerte sinken und bei welchen nicht, dann wären wir alle ein ganzes Stück weiter“, erklärt die Kieler Stadtsprecherin Kerstin Graupner, „tatsächlich aber ist es so, dass das Virus nach wie vor unberechenbar ist.“ Eine seriöse Aussage könne nicht getroffen werden, „da die Städteauswahl im Vergleich willkürlich ist“, sagt Lübecks Stadtsprecherin Nicole Dorel. Das Infektionsgeschehen bleibt diffus: „Nachdem sich die kurzzeitig erhöhten Fallzahlen an wenigen Standorten wieder entspannt haben, gibt es weiterhin ein stadtweites, diffuses Infektionsgeschehen“, sagt Bürgermeister Lindenau. Das belege sowohl die jüngste Auswertung der Infektionszahlen nach Stadtteilen als auch die Altersauswertungen. Die meisten Fälle würden in der Altersspanne zwischen 15 und 59 Jahren vorkommen. „Ich denke nicht, dass hier in Lübeck grundsätzlich etwas schief läuft“, erklärt Prof. Jan Rupp, Virologe am UKSH. Die Hansestadt habe Corona-Ausbrüche in den Sana Kliniken und in der Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete in Travemünde erlebt. Dort würden die Infektionszahlen wieder sinken. Prof. Jan Rupp: „Ich bin weiter zuversichtlich, dass sich die Geschehen weiter angleichen werden und die Zahlen in Lübeck sinken.“ Von Kai Dordowsky