Corona: Lübecker Politiker streiten um die Sitzung der Bürgerschaft

Ausnahmezustand in der Politik. Die Bürgerschaft tagt erstmals in der Musik- und Kongresshalle (MuK). Der große Konzertsaal wird dafür hergerichtet. Allerdings wird es dort sehr übersichtlich: Im Parkett gibt es 1000 Stühle – für 34 Politiker. Von den 49 Mitgliedern der Bürgerschaft haben etliche abgesagt. Der Ablauf der Sitzung am Donnerstag: Um 15 Uhr tagt der Hauptausschuss. Um 16 Uhr tagt die Bürgerschaft. Um 17 Uhr soll alles zu Ende sein. Kritik der Unabhängigen: „Groteske Symbolpolitik“: Es gibt Streit: Die Unabhängigen boykottieren die Bürgerschaft. Die Grünen sind ebenfalls unzufrieden. Der Vorwurf: Stadtpräsidentin und Bürgermeister handeln verantwortungslos. „Die Bürgerschaftssitzung ist aus gesundheitlichen Gründen nicht verantwortbar“, sagt Wolfgang Neskovic (Unabhängige). Außerdem: Die Sitzung verkomme zur „grotesken Symbolpolitik“, weil auf Debatten verzichtet werden soll. „Wer so etwas ernsthaft vorschlägt, ist von allen guten Geistern verlassen“, kritisiert Neskovic. Es „verzwerge die Bürgerschaft in unerträglicher Weise“, denn der Demokratie werde ihr wesentliches Element genommen: die demokratische Debatte. Bürgerschaft ohne Debatte: Der Hintergrund: Der Ältestenrat hat die Sitzung in einer Telefonkonferenz besprochen – und für die Durchführung gestimmt. Das Gremium besteht aus Stadtpräsidentin Gabriele Schopenhauer (SPD) und den Chefs der Fraktionen. Verständigt haben sich alle auf diese Regeln: Die Sitzung dauert eine Stunde. Auf Reden der Politiker soll verzichtet werden. Politiker dürften zwar Anträge stellen, dazu aber nicht sprechen. Vorgeschlagen wurden diese Regeln von Stadtpräsidentin Schopenhauer, die die Bürgerschaft leitet. Stadtpräsidentin wollte Bürgerschaft absagen: Eigentlich wollte Schopenhauer die Sitzung absagen. Das bestätigen mehrere Teilnehmer des Ältestenrates. Sie hat sich dann aber umstimmen lassen. „Ihr fehlt es an Verantwortungsbewusstsein und an Standhaftigkeit“, sagt Detlev Stolzenberg, Fraktionschef der Unabhängigen. „Wir bedauern es sehr, dass die Stadtpräsidentin sich vom Bürgermeister Lindenau zu dieser verfehlten Entscheidung hat treiben lassen.“ Kritik der Grünen: „Unverantwortliches Verhalten“: Die Grünen stimmen zu: „Dieses Verhalten ist völlig unverantwortlich“, sagt Fraktionschefin Birte Duggen. „Der Bürgermeister kann Entscheidungen in so einer Ausnahmesituation selbst treffen“, so Fraktionschef Bruno Hönel. „Die Gesundheitsgefährdung für die Teilnehmer der Sitzung ist unnötig“, ergänzt Fraktionsvize Silke Mählenhoff. Bei einer Sitzung der Bürgerschaft sind neben den Politikern stets auch Verwaltungsangestellte mit dabei. Fraktionsvize André Kleyer: „Sie einem zusätzlichen Gratis-Risiko auszusetzen, ist in dieser Krise durch nichts zu rechtfertigen.“ Corona: Entscheidung über Zehn-Millionen-Hilfspaket: Auf der Tagesordnung steht ein Zehn-Millionen-Euro-Hilfspaket für die Folgen der Corona-Krise. Dafür will Bürgermeister Lindenau das Okay der Bürgerschaft. Theoretisch kann ein Bürgermeister per Eilentscheidung Geld ausgeben – ohne Zustimmung der Bürgerschaft. Allerdings: Angesichts eines Hilfspakets in dieser Größenordnung wäre das äußerst ungewöhnlich. Politisch wäre eine Eilentscheidung gefährlich: Lindenau dürfte von den Politiker massiv kritisiert werden, wenn er zehn Millionen Euro ausgibt, ohne sie vorher gefragt zu haben. Dafür ist die Summe zu hoch. Formal wäre eine Eilentscheidung ebenfalls gefährlich. Durch sie darf kein Nachteil für die Stadt entstehen und die Entscheidung muss unaufschiebbar sein. Und: Da der Ältestenrat einer Sitzung der Bürgerschaft zugestimmt hat, ist die Entscheidung nicht mehr unaufschiebbar. Große Koalition befürwortet Sitzung der Bürgerschaft: Für die Bürgerschaft ist daher die Große Koalition – wie auch Linke, FDP, BfL, GAL und Freie Wähler. „Auch in Krisenzeiten muss die Bürgerschaft handlungsfähig bleiben“, sagt CDU-Fraktionschef Oliver Prieur. Zum Debatten-Verbot sagt er: „Das geht gar nicht.“ Das Rederecht sei ein sehr hohes Gut. „Es geht darum, Debatten auf das Nötigste zu begrenzen“, stimmt SPD-Fraktionschef Peter Petereit zu. Zudem: „Ich habe für jeden Verständnis, der aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Sitzung kommt.“ Lindenau ist enttäuscht: „Es ist sehr bedauerlich, dass diese ernste Situation in unserer Stadt für politisches Gezänk genutzt wird.“ Lesen Sie auch: Coronavirus: Lübecker Bürgerschaft weicht in die MuK aus Kommentar: Lübeck – die geschrumpfte Politik Corona: Bauausschuss tagt heute im Rathaus Die LN-Themenseite mit allen Artikeln zum Thema Corona Coronavirus in und um Lübeck: Diese Texte sollten Sie gelesen haben Coronavirus in SH: Das ist die aktuelle Zahl der Infizierten Liveblog zur Corona-Krise: Das ist die Lage in Lübeck und Schleswig-Holstein Alle aktuellen Informationen aus Deutschland und der Welt im Live-Blog Lübeck verschärft Regeln für Reiserückkehrer Abitur: Nun doch Prüfungen in Schleswig-Holstein #supportyourlocal: Machen Sie Ihr Angebot bei uns bekannt #supportyourlocal: So können Sie Geschäften, Restaurants und Freiberuflern in Lübeck jetzt helfen LN-Live-Interview: Lübecks Bürgermeister antwortet auf die wichtigsten Fragen zu Corona in Lübeck Was hat noch geöffnet? Lübecker Startup entwickelt Deutschland-Map Lübecks Hochschulen stellen auf Online-Lehre um Lübeck Blankensee: Geplante Ferienflieger-Starts noch einmal verschoben Zweitwohnungen: Wer schon da ist, darf bleiben Ein Fonds soll Mieter und Vermieter stützen Mecklenburg-Vorpommern riegelt Grenze zu Schleswig-Holstein ab Coronavirus posthum nachgewiesen: UKSH Lübeck meldet ersten Todesfall Schutz vor dem Coronavirus: Apotheken installieren Scheiben Coronavirus: Schleswig-Holstein macht zu – Touristen müssen draußen bleiben Von der Schule in die Klinik: Pflegeschüler helfen in Krankenhäusern mit Home-Office und Co.: So reagieren Lübecker Unternehmen Darum sind die Standorte der Corona-Diagnostikzentren geheim In der Krise zusammenhalten: So helfen sich Nachbarn in Lübeck gerade gegenseitig Wegen Coronavirus: Schleswig-Holstein stundet Firmen in Not die Steuerschuld Quarantäne – was bedeutet das für mich? Lübecker Ärzte: „Bei Coronavirus-Verdacht erst anrufen!“ Von Josephine von Zastrow

Corona und Politik - Lübecker Bürgerschaft in Zeiten von Corona: Streit um die Sitzung