Corona: So legt der Lockdown Lübeck lahm

Anja Bormann (54) aus Stockelsdorf versucht, im Citti-Park in Weihnachtsstimmung zu kommen. Das ist gar nicht so einfach an diesem ersten Tag des harten Lockdowns. An der Dekoration liegt es nicht: hoch aufragende Weihnachtsbäume mit glänzenden Kugeln in Rot und Gold, Vorhänge aus Lichterketten, blinkende LEDs. Aber die heruntergelassenen Rollläden stören die Stimmung, die kahlen Verkaufsbuden und vor allem: die Leere in den riesigen Gängen des Einkaufszentrums. Weihnachtsstimmung im Lockdown? Schwierig: Aus verborgenen Lautsprechern tönt ein handelsüblicher Weihnachts-Musik-Mix, aber für das typische Murmeln und Summen der Menge sind viel zu wenige Menschen im Citti-Park unterwegs. Anja Bormann hat alles besorgt, was sie für die Weihnachtstage braucht, aber die Weihnachtsstimmung will einfach nicht kommen. „Es ist alles ein bisschen traurig“, sagt sie. Zehn statt 100 Kunden: Nicht alle Geschäfte sind geschlossen. Idris Erman (38), der in seinem kleinen Laden Kleidung und Schuhe repariert und Schlüssel anfertigt, hat die ersten Monate der Corona-Krise dank seinen selbstgenähten Masken gut überstanden. Jetzt, am ersten Lockdown-Tag, hat er bis zum späten Nachmittag zehn Kunden gehabt. An einem normalen Tag, sagt er, kämen 100. „Die Leute unterscheiden nicht zwischen Handel und Dienstleistung“, sagt er. Aber in zwei Tagen, sagt er, würden sie wieder kommen, da sei er sicher. Baumarkt: So leer wie sonst nur am frühen Morgen: Wenn Mareike Sauer (30) morgens ihre Arbeit als stellvertretende Leiterin des Hagebaumarkts an der Lohmühle antritt, dann sind die Gänge leer bis auf einige Mitarbeiter, die Waren auf Karren transportieren oder in Regale einsortieren. Jetzt ist es um die Mittagszeit, und das Bild ist genau das gleiche wie sonst am Morgen. „Man arbeitet hier, weil man den Trubel mag“, sagt sie, „und jetzt ist es irgendwie so tot.“ Kunden bestellen im Baumarkt Farben und Lacke: Ein Kunde zur Zeit darf den Baumarkt betreten, und auch das nur, wenn er ein Gewerbe hat. Die übrigen müssen ihre Waren bestellen. Vor der Öffnungszeit sind schon Bestellungen eingegangen: eine Nordmanntanne (3.46 Uhr), vier Stück Wellpappe (7.15 Uhr), 20 Umzugskartons (9.21 Uhr). Vor allem aber, sagt Mareike Sauer, sei Malereibedarf gefragt. Thomas Busch (37), sonst Verkäufer in der Elektroabteilung, schiebt einen Wagen zwischen den Regalen hindurch, auf dem ein Eimer Wandfarbe, eine Dose Acryllack und eine Dose Sprühlack stehen. Lockdown: Der Mutzen-Verkäufer gibt auf: Vor dem Baumarkt in einem Imbisswagen steht zum letzten Mal Arsu Mamedov (30). Hinter ihm liegen vier kopfgroße, rohe Teigklumpen, aus denen Mutzen hätten werden sollen. Schon im März hatte er seinen Imbiss in Scharbeutz aufgeben müssen. „Das hier war meine einzige Hoffnung“, sagt er, „weil beim ersten Lockdown die Baumärkte offen blieben.“ Er machte weiter, obwohl die Umsätze seines Crepe- und Mutzenverkaufs auf kaum ein Drittel fielen. Aber dieser Lockdown ist zu viel. Bis zum Mittag hat er genau eine Portion Mutzen verkauft. Lesen Sie auch: Lübeck: Keine Tagestouristen mehr in Travemünde Corona: Lübeck meldet 13. Todesfall am 16.12.2020 Corona: Hier gilt in Lübeck und Travemünde Maskenpflicht „Wenn ich sehe, was hier rumläuft, ist das kein Lockdown“: Die Breite Straße ist am frühen Mittwochnachmittag nicht voll, aber auch nicht leer, etwa so wie vor der Corona-Zeit an einem normalen Sonntag. Fragt man die Menschen, warum sie hier sind, sagen viele, dass sie in der Innenstadt arbeiten oder wohnen oder beides. Fast alle tragen Masken. Bernd Ihde (79) wohnt in der Innenstadt und geht regelmäßig spazieren. „Ich hatte eine Operation. Ich bin verpflichtet, mindestens 10 000 Schritte am Tag zu gehen“, sagt er. Ihm sind die Corona-Maßnahmen zu lasch. „Wenn ich sehe, was hier rumläuft, ist das kein Lockdown“, sagt er. Ordnungsdienst? Alkoholverbot? Egal! Hinter Bernd Ihde, vor dem Kanzleigebäude, sitzen fünf junge Männer eng beieinander. Sie tragen keine Masken und trinken Bier aus Flaschen. Zwei Männer vom Ordnungsdienst bauen sich vor ihnen auf. „Moin!“, sagt der eine von ihnen, „Sie haben doch sicher mal Nachrichten geguckt in den letzten Tagen. Es gilt ein absolutes Alkoholverbot in der Öffentlichkeit. Die Flaschen müssen weg!“ Die jungen Männer, inzwischen mit Masken, lassen einige Flaschen verschwinden. Die Ordnungshüter sind noch keine 100 Meter entfernt, da sind die Masken schon wieder gefallen. Die jungen Männer trinken weiter und lachen. Von Hanno Kabel