Corona: Theater Lübeck schlägt Alarm und lädt zum Dialog

Das Theater Lübeck protestiert gegen den Umgang mit Theater- und Konzerthäusern in der Pandemie. Im vergangenen Oktober hätten sie mit Museen, Galerien, Spielhallen, der Gastronomie und Bordellen auf dem letzten Platz der Corona-Verordnungen rangiert, heißt es in einem Schreiben, das Theaterdirektor Caspar Sawade „eine große Fragestellung“ nennt. Ende Januar dann seien sie im Stufenplan der Kieler Landesregierung schon alleiniges Schlusslicht gewesen. Bei der Bund-Länder-Konferenz am 10. Februar schließlich hätten sie „keinerlei Rolle“ mehr gespielt. Unterzeichnet ist das Papier von der Theaterleitung, den Sprecherinnen des Schauspiel- und Musiktheater-Ensembles sowie dem Chorvorstand. Wie viel Eigenverantwortung darf das Publikum tragen? Man unterschätze die Herausforderungen der weltweiten Pandemie keinesfalls, heißt es in dem Schreiben. „Aber kritisches Hinterfragen, Zweifel und Selbstkritik sind für einen adäquaten Umgang mit naturwissenschaftlichen, psychologischen und schwierigen moralisch-ethischen Fragen unerlässlich.“ Dafür, für einen solchen Dialog mit dem Publikum, wolle man ein Forum bieten, sagte Sawade. Fragen, keine Antworten: Es gehe nicht um die simple Forderung, möglichst bald wieder spielen zu können und das Theater eventuell gegen andere Bereiche auszuspielen. Das laufe ins Leere und sei überhaupt nicht ihre Absicht. Wichtiger sei eine Debatte darum, was die Pandemie mit den Menschen mache. Und zwar gerade auch jenseits von Infektions- und Inzidenzzahlen. Sie hätten keine fertigen Antworten, dafür sei die Kunst, sei das Theater auch nicht da. Sie hätten vielmehr Fragen, die diskutiert werden sollten. Auf der Homepage des Hauses ( www.theaterluebeck.de ) sind denn auch schon die ersten Kommentare eingegangen. Lesen Sie auch Mit einem Schnelltest ins Konzert? Notruf der Generalmusikdirektoren: „Wir brauchen eine Öffnungsstrategie“ Offener Brief an Daniel Günther: Kultur darf nicht an letzter Stelle bei Öffnungen stehen Unter anderem könne man überlegen, ob der „eigenverantwortliche Besuch von Konzerten und Theater – selbstverständlich unter Einhaltung strengster Abstands- und Sicherheitsmaßnahmen und Testungen – nicht einen wertvollen Beitrag“ zur individuellen Bewältigung der Krise leisten könnte, heißt es in dem Papier. Dahinter stecke die Frage, was passiere, wenn man das Leben zu sehr schütze, sagte Sawade. Ob da also eine zu große Ängstlichkeit bestehe. Die Frage sei ja auch, ob die Menschen irgendwann die Vernunft aufgäben im Umgang mit der Pandemie. Kunst und Kultur seien kein Luxus für eine Elite, sagte Schauspieldirektor Pit Holzwarth. Sie könnten vielmehr die Bedürfnisse vieler Menschen befriedigen. Als fest Angestellter eines Theaters sei man noch in einer relativ privilegierten Position. Schlimm aber treffe es die freien Schauspieler, Regisseure, Musiker, Masken- oder Bühnenbildner, die einen so bedeutsamen Kern des Theaters ausmachten. Die litten derzeit extrem. Eine „Perspektivdebatte“ anstoßen: Sie spürten am Theater aber auch eine große Perspektivlosigkeit. Sie hätten diverse Spielpläne gemacht und wieder verworfen, es lägen fünf Premieren bereit. Und wo sie auf den März gehofft hätten, um wieder spielen zu können, und dann auf den April, rücke auch das jetzt wieder in weite Ferne. Da sowie angesichts einer möglichen vierten oder fünften Infektionswelle seien Diskussionen notwendig, wie viel Eigenverantwortung man den Menschen gebe. Das gelte für Konzerte, Events oder die Gastronomie gleichermaßen. Es gehe darum, eine „Perspektivdebatte“ anzustoßen. „Wir vermissen den Austausch mit dem Publikum und haben uns gefragt: Was sind unsere Möglichkeiten, wieder in den Kontakt zu kommen, den wir lieben?“, sagte Schauspielerin und Ensemblesprecherin Rachel Behringer. „Wie geht es unseren Zuschauern, was wünschen sie sich?“ Es gehe deshalb bei der Protest-Aktion des Theaters, dem sich auch das Ensemble anschließe, auch darum, eine offene Diskussion anzuregen und unterschiedliche Meinungen zu hören. „Wir richten uns an die Menschen, die am Theater interessiert sind“, erklärte GMD und Operndirektor Stefan Vladar. Der offene Brief des Theaters sei auch deshalb ohne Adressat, weil bisher Hunderte Briefe an die politischen Entscheidungsträger ohne Antwort und Reaktion geblieben seien. Er erwarte „ein Umdenken der Politik, wenn Statements dieser Art nun lauter werden“, betonte Vladar. Von Regine Ley und Peter Intelmann