Das Figurentheater Lübeck wird digital

Sie erwecken ein Stück Holz zum Leben. Zuerst lassen sie ihm feine Gesichtszüge einschnitzen und farbenfrohe Kleider nähen. Dann leihen sie ihm ihre Stimme und die Bewegungen ihres Körpers. So verwandeln die Puppenspieler des Figurentheaters Lübeck das Holz in Shakespeares verliebte Julia, die in der tragischen Liebe zu ihrem Romeo vergeht, oder in den hakennasigen Richard III, der seine eigenen Brüder kaltblütig ermordet. „Die Grundlage von Puppentheater ist Illusion“, sagt Stephan Schlafke, künstlerischer Leiter des Theaters. Um Emotionen bei den Zuschauer auszulösen, braucht es jahrelange Übung. Mit entsprechender Technik bekommt eine Marionette durch die Art, wie sie Kopf, Arme und Beine bewegt, einen Charakter. Um sich besser in die Figuren einfühlen zu können, haben die Puppenspieler Silke Technau und Stephan Schlafke für ihr neues Stück „Cherrypicking Shakespeare – Perlen für die Königin“ zudem wochenlang die Texte des englischen Dramatikers und die historischen Hintergründe seiner Protagonisten recherchiert. „Figurentheater ist unglaublich emotional“, sagt Puppenspielerin Technau. Daher würden die Stücke von William Shakespeare gut zu dieser Kunstform passen. Um die Illusion auf der Bühne zu unterstützen, nutzte das Team bisher Lichteffekte und Musik. Nun gehen sie einen Schritt weiter. In dem mit Bundesmitteln geförderten Forschungsprojekt „puppet&microcamera“ haben Technau und Schlafke ausprobiert, wie sich die Möglichkeiten des Puppentheaters mit Hilfe digitaler Hilfsmittel erweitern lassen. Dabei haben die Künstler unter anderen winzige Püppchen per Greenscreen in eine Naturlandschaft versetzt. Oder eine Kamera in den Kopf einer Marionette montiert, um das Geschehen aus ihrer Sicht dazustellen. „Wir haben uns gefragt, was passiert, wenn die Puppe mit der Kamera spielt oder wenn die Kamera gar selbst zur Figur wird“, erklärt Schlafke. Digitales Puppentheater: Beim Ausprobieren der digitalen Möglichkeiten sind die Puppenspieler jedoch auch an ihre Grenzen geraten. „Ein Problem war, dass die Figuren nicht von der Kamera erschlagen werden dürfen“, sagt Schlafke. Vor einem zu bewegten Hintergrund gehe die Puppe vollständig unter. Daher hat das Team die Bilder verfremdet. Manche Kameraeinstellungen seien zudem zu hektisch für das Figurentheater gewesen. „Aber das Projekt sollte uns ja auch die Möglichkeit geben, zu experimentieren“, sagt Schlafke. Die Ergebnisse ihrer Forschungen präsentieren die beiden in der Aufführung „Poesie der Theaterfiguren“, die ab Anfang Oktober im Hansemuseum zu sehen sein wird. Die Aufführung zeigt sowohl ausgewählte Ausschnitte aus der klassisch inszenierten Shakespeare-Collage als auch Szenen, die bei der digitalen Entdeckungsreise des Teams entstanden sind. Somit vereint der Abend traditionelle und neue Theaterkunst mit Figuren. Zudem werden Technau und Schlafke vom Figurentheater sowie Antonia Napp vom Figurentheatermuseum Vorträge zu den verschiedenen Formen des Puppentheaters halten und dabei auch mit den Zuschauern ins Gespräch kommen. Museum mit Audio und Film: Auch das Figurentheatermuseum möchte sich von den Erkenntnissen des digitalen Projektes inspirieren lassen. „Wir wollen die Forschungsergebnisse auch für uns nutzen, um die Ausstellung lebendiger zu gestalten“, sagt Antonia Napp. Die Leiterin des Theaterfigurenmuseums kann sich vorstellen, dass sich beispielsweise die Puppen in den Vitrinen bewegen. Auch mit Filmen und Audios könnte zukünftig gearbeitet werden, um mehr Nähe zu den Besuchern herzustellen. Ob nun mit klassischem Figurenspiel oder mit digitalen Hilfsmitteln, das Ziel des Teams ist es, sein Publikum in den Bann zu ziehen. „Aber dafür müssen die Zuschauer auch mitarbeiten“, sagt Silke Technau. „Die Menschen müssen sich auf das Puppenspiel einlassen.“ Zukünftig können sie auch mit digitalen Kniffen, die Fantasie ihres Publikums anregen. Lesen Sie auch: Von Mord und Tierquälerei im frühen Eutin Tipps für das Sammeln von Pilzen in Schleswig-Holstein Sport mit Hund: So funktioniert Dogscooting Von Alessandra Röder