Der Fälscher auf der einsamen Insel

An der Nordostwand der Marienkirche im fünften Joch standen nach der Restaurierung, von unten nicht sichtbar, die Worte „Tout fecit (frz./lat.: alles gefertigt von) 1951 Malskat, Klein-Deepenmoor“, dazu ein kleines Selbstporträt. Die mittelalterlichen Fresken, die im Chor der Marienkirche angeblich entdeckt worden waren, stellten sich als Fälschungen heraus. Name und Wohnort in der Signatur aber stimmten: Lothar Malskat, Maler, Restaurator und Kunstfälscher, mit Frau und Kindern wohnhaft auf einer Insel im Deepenmoor im Lauerholz. Ein echtes Malskat-Aquarell aus dieser Zeit heißt „Insel im Deepenmoor“. Zerfließende Grün- und Brauntöne, ein bisschen blauer Himmel, im Hintergrund der Giebel eines Hauses. Ein norddeutsches Idyll. Als Malskat nach dem Zweiten Weltkrieg nach Lübeck kam, war er ein aus der Heimat vertriebener Ostpreuße unter vielen. Wohnungen waren knapp – was auch nur halbwegs bewohnbar war, wurde genutzt. Auch das Häuschen auf der Insel im Deepenmoor, die zum Stadtteil Schlutup gehört, aber weit abseits liegt. Der LN-Reporter, der ihn im Oktober 1952 besuchte, berichtete von einem „schmalen Pfad durch sumpfigen Wald“, der dorthin führe. Malskat empfing den Journalisten mit den Worten: „Ich habe keine Lust mehr, irgend etwas zu sagen. Ich brauche Ruhe, nur Ruhe!“ Doch dann kam er doch ins Reden. Er erzählte, wie er Kartoffeln und Kohlen mühsam in sein Haus schaffen müsse, dass nicht einmal Hühner sich auf der Insel halten ließen. Immerhin, elektrisches Licht, eine Telefonleitung und eine Klingelleitung hatte er legen lassen. LN berichteten: Hanfplantage auf Moorinsel gefunden Der Schlutuper Günter Steffen (73) erinnert sich noch an Malskat. „Wenn ich als Kind kam, saß er da im Moor und hat seine Bildchen gemalt. Er hat weitergemalt, ich stand hinter ihm.“ Seine Einkäufe habe Malskat mit dem Fahrrad in Schlutup erledigt. Auch Günther P. (71), der auf der Insel später die Hanfplantage entdeckte und deshalb seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, erinnert sich an Begegnungen mit Malskat. „Er hat mich einmal mit seinem Stakboot mit auf die Insel genommen“, erzählt er. „Ich hab’ sein Atelier gesehen und das Zimmer seiner Jungs.“ P. erinnert sich auch, wie Malskat im Frühling, wenn das Eis nicht mehr trug, sein Ruderboot als Eisbrecher nutzen oder Bretter auf das Eis legen musste, um zu seinem Haus zu gelangen. Und er kennt die Geschichten, die man sich damals in Schlutup über den Künstler erzählte: Dass er gern in der Gaststätte Schlutuper Tannen einen heben ging, wenn er Geld hatte. „Wenn er welches hatte, war er sehr großzügig. Meistens hatte er keins und schimpfte auf die Galeristen.“ Dass er versuchte, Bilder gegen Lebensmittel einzutauschen, damit aber wenig Erfolg hatte. „Für die Schlutuper war das noch ,entartete Kunst‘.“ Malskats Frau betrieb auf der Insel eine Pudelzucht und in der Innenstadt einen Hundesalon. Rüdiger Wehde (77) weiß noch, dass er mit seinen Eltern Mitte der 50er Jahre ins Deepenmoor fuhr, um einen Hund zu kaufen. Auch er erinnert sich an den Waldweg, der zum Steg führte. „Wir haben eine Glocke geläutet, dann haben sie uns mit dem Boot rübergeholt.“ Frau Malskat sei sehr freundlich gewesen. 1956 trat Malskat seine Haftstrafe an. Als er 1957 vorzeitig entlassen wurde, stand er vor dem Nichts. Seine Ehe war zerbrochen. Das Haus im Deepenmoor stand leer und brannte einige Jahre später ab. Heute erinnert nichts mehr daran. Es gibt keinen Steg mehr, nicht einmal den Pfad, den der LN-Reporter 1952 beschrieb. Es gibt nur Sumpf, Bäume, Gestrüpp und Wildschweine. Malskat ging für ein paar Jahre nach Schweden und ließ sich später in Wulfsdorf nieder – wieder in einem alten Haus am Lübecker Stadtrand, nicht weit vom Moor. Dort starb er 1988 einsam und verbittert. Die Zeit Anfang und Mitte der 50er Jahre, in der er als berühmter Fälscher im Deepenmoor lebte – vielleicht war sie die glücklichste gewesen in einem nicht sehr glücklichen Leben. Lothar Malskat (1913-1988) löste im Oktober 1952 einen der größten Kunstskandale der deutschen Nachkriegsgeschichte aus. Als Restaurator war er seit 1948 an der Wiederherstellung mittelalterlicher Malereien in der Marienkirche beteiligt gewesen. Tatsächlich hatte er aber Figuren selbst gemalt, wo vorher nichts gewesen war. Nach einem Zerwürfnis mit seinem Arbeitgeber zeigte Malskat sich selbst bei der Staatsanwaltschaft an. Beide wurden 1955 vom Landgericht Lübeck wegen Betrugs verurteilt. Auf den Sonderbriefmarken, die zur 700-Jahrfeier der Marienkirche erschienen, sind entgegen einer Legende keine Fälschungen abgebildet. Vergangene Woche berichteten die LN, dass auf der mittlerweile verlassenen Insel Unbekannte eine Hanfplantage eingerichtet haben. Die Pflanzen sind mittlerweile abgestorben und enthalten keinen Wirkstoff mehr. Sie werden jetzt von der Stadt entsorgt. Hanno Kabel

Schlutup - Der Fälscher auf der einsamen Insel