Die Sucht nach Likes und Anerkennung

Vor rund zwanzig Jahren haben Wissenschaftler erstmalig von dem Phänomen „Internetsucht“ gesprochen. „Damals war es noch scherzhaft gemeint“, sagt Dr. Hans Jürgen Rumpf, Past President der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. Heute leiden rund ein bis zwei Prozent der Bevölkerung unter einer süchtigen Nutzung. „Bei den Heranwachsenden ist das Problem deutlich höher: Etwa vier bis fünf Prozent der 14- bis 16-Jährigen sind internetabhängig.“ Neben Online-Spielen sind es besonders die sozialen Medien, die Jugendliche schädlich nutzen – das belegen erstmals neueste Studien. „Besonders weibliche Nutzer sind für die Abhängigkeit von Social Media anfällig“, sagt Rumpf. Grund dafür sei, dass die kommunikative Entwicklung bei Mädchen stärker fortgeschritten ist als bei Jungen. „Durch Likes für ihre Fotos erfahren sie eine Selbstwertsteigerung. Irgendwann sind sie ständig damit beschäftigt, die Likes zu zählen.“ Jungen seien eher suchtanfällig für Online-Spiele. Diese und andere aktuelle Entwicklungen in der Forschung zu Suchterkrankungen werden vom 18. bis zum 20. September beim Deutschen Suchtkongress, der in der Musik- und Kongresshalle stattfindet, diskutiert. „Wir rechnen mit etwa 400 Besuchern und haben viele Vorträge, auch von hochkarätigen Wissenschaftlern europäischer Universitäten“, sagt Dr. Gallus Bischof, Kongresspräsident und Suchtberater an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Lübeck. „Es ist der größte interdisziplinäre Kongress zum Thema Abhängigkeitserkrankungen in Deutschland.“ Bischof selbst wird die Ergebnisse einer neuen Studie präsentieren, die sich mit den Auswirkungen von Suchterkrankungen auf Angehörige beschäftigt. „Eltern und Partner von suchterkrankten Menschen sind hochbelastet“, sagt Bischof. Der Gesundheitszustand sei allgemein schlechter, außerdem neigten Angehörige von Suchtkranken häufiger zu Depressionen. Ein weiterer Schwerpunkt des Kongresses ist das Suchtverhalten bei Kindern und Jugendlichen. „Neue Suchtformen wie der Konsum von E-Shishas, synthetische Drogen und Stimulanzien wie Crystal Meth geben Anlass zur Sorge“, sagt Professor Rainer Thomasius, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie. „In vielen Regionen mangelt es an Betreuungs- und Behandlungsangeboten.“ Der Deutsche Suchtkongress ist nicht nur für ein Fachpublikum bestimmt. Am ersten Tag liest Dominik Schottner ab 20 Uhr im Audimax des Lübecker Wissenschaftscampus aus seinem Buch „Dunkelblau“, in dem der Journalist die Geschichte seines alkoholkranken Vaters und sein eigenes Erwachsenwerden im Schatten der Sucht erzählt. „Es ist wirklich beeindruckend“, sagt Gallus Bischof. „Das Buch zeigt die Hilflosigkeit der Personen, die suchtkranke Angehörige haben.“ Von Hannes Lintschnig

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