Euroimmun-Chef Stöcker klagt: Impf-Bürokratie hat „tödliches Ausmaß“ angenommen

Winfried Stöcker hat einen Corona-Impfstoff entwickelt und an mittlerweile 120 Personen getestet. Offenbar mit Erfolg. Doch statt Lob gab’s von den Behörden mächtig Ärger. Ein erster Selbstversuch im Frühjahr 2020: Im Frühjahr 2020 berichteten die LN erstmals über Stöckers Selbstversuch. Der Arzt und Gründer des Lübecker Medizin-Unternehmens Euroimmun hatte sich ein sogenanntes Antigen gespritzt. Auch seine Familie und eine Kollegin wurden geimpft. Nebenwirkungen habe es nicht gegeben. Andere Labore bestätigten: Die fünf haben eine hohe Konzentration Antikörper entwickelt, sind gegen Corona immun. Weil sein Impfstoff zudem leicht herzustellen sei, wollte Stöcker die Versuche ausweiten, nahm im September Kontakt zum Paul-Ehrlich-Institut auf, das für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist. Die einzige Reaktion sei Anfang Dezember gekommen, sagt der Mediziner: Eine Strafanzeige. Das Institut witterte einen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz, hatte das Kieler Landesamt für soziale Dienste eingeschaltet, das die Staatsanwaltschaft. Ein „tödliches Ausmaß“ an Bürokratie: Stöcker ist sauer. Die Bürokratie bei der Impfstoff-Zulassung habe mittlerweile ein „tödliches Ausmaß“ angenommen, sagt der 74-Jährige im Interview mit den LN. Hätte sich ein Unternehmen gefunden, dem er sein Verfahren gerne unentgeltlich abgetreten hätte, könnte die Bevölkerung längst in viel größerem Ausmaß gegen das Virus geimpft werden. Die Bürokraten mit ihren eingeschliffenen Verfahren seien nicht in der Lage, mit einer Krise wie der Pandemie fertig zu werden, klagt Stöcker. Die Erforschung jeder noch so kleinen Nuance einer Nebenwirkung könne und müsse man sich in so einer Situation aufsparen, bis der Großteil der Bevölkerung vor Ansteckung geschützt ist. Es müsste daher mehrere Institute für solche Zulassungen geben. Die Konkurrenz würde vor Übertreibungen durch die Prüfer schützen. Kritik aus dem Landtag: Stöcker nahm „arge Abkürzungen“: Im Kieler FDP-Gesundheitsministerium, zu dem das Landesamt gehört, will man die Sache nicht bewerten. Man kommentiere kein laufendes Strafverfahren, heißt es. Nach LN-Informationen soll das Ministerium ohnehin erst aus der Presse von dem Vorgang erfahren haben. Lesen Sie auch Lübeck: Corona-Ausbruch im Pflegezentrum Travetal der Diakonie Britische Mutation des Coronavirus: Sechs neue Fälle in Ostholstein Emotionaler Corona-Appell von Pflegeheim-Leiter in Mölln Kritik an Stöcker kommt aus der Politik. Der Landtagsabgeordnete und SPD-Corona-Blogger Kai Dolgner etwa spricht von „argen Abkürzungen“, die der Lübecker Unternehmer genommen habe. Das könne der Mediziner vielleicht für sich und Freiwillige verantworten, „für den Bevölkerungsschutz geht das aber nicht“, schreibt Dolgner. Dolgner: Erst alle Nebenwirkungen untersuchen: Da müsse es tatsächlich sogenannte Doppelblindstudien mit mindestens 20 000 Teilnehmern geben, sagt der SPD-Politiker. Denn damit erfasse man „alle Nebenwirkungen noch im Bereich 1:10 000“. Dass man Stöckers Ansatz beim Paul-Ehrlich-Institut aber so gar nicht weiterverfolgt habe, sei dennoch völlig unverständlich und bedauerlich. Man habe das Potenzial von Stöckers Forschung offenbar nicht erkannt. Wie in vielen Bereichen der Wissenschaft habe wohl die notwendige Fortune gefehlt. Mittlerweile hätten sich das Landesamt und der Arzt und Unternehmer geeinigt, berichtet derweil Stöckers Anwalt, der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Das Verwaltungsverfahren des Amtes werde gegen Stöckers Zusage eingestellt, den Impfstoff ohne offizielle Genehmigung nicht weiter zu verwenden. Dadurch werde auch das Strafverfahren der Staatsanwaltschaft enden. Kubicki: Mehrere Unternehmen haben Interesse: Auch Kubicki fordert eine Reform der Arzneimittel-Zulassung. Man müsse prüfen, ob die Verfahren in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie noch taugen. „Wir müssen die Verfahren dynamisieren“, sagt der FDP-Politiker. So hätte das Paul-Ehrlich-Institut etwa gleich nach Stöckers Nachricht eine „Task Force“ bilden müssen. Stattdessen wurden offenbar intern einfach nur seine Mails weitergeleitet, bis sie schließlich beim Landesamt landeten. Dennoch bestünde Hoffnung, dass Stöckers Impfstoff bald in Produktion gehen kann, sagt Kubicki. Der Medienrummel habe mehrere Pharmaunternehmen aufmerksam gemacht. Auch große. Drei seien jetzt im Rennen, um die Studien doch noch anzustoßen. Auch Stöcker bestätigt, dass er sein Wissen gerne unentgeltlich abgeben wolle. Die Formeln dafür habe er bereits im Internet veröffentlicht. Von Wolfram Hammer