Ausgerechnet die Unabhängigen erwischt jetzt eine heftige Debatte über Verquickungen von politischem Ehrenamt und beruflichem Handeln. Die Unabhängigen, zu deren politischer DNA die Transparenz von politischen Vorgängen zählt, sehen sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die Dinge nicht sauber auseinandergehalten zu haben. Der Fraktionschef und Gründer der Unabhängigen, Detlev Stolzenberg, soll seine Doppelrolle beim Bauprojekt Nördliche Wallhalbinsel nicht ausreichend kommuniziert haben.
Das ist passiert: In der Bürgerschaftssitzung am 20. Juni diskutierte Stolzenberg über einen Bericht der Verwaltung zum Stand des Millionenprojekts. Der SPD-Fraktionschef Peter Petereit bohrte nach, wollte von Stolzenberg wissen, ob er als selbstständiger Stadtplaner hauptberuflich an dem Bauvorhaben beteiligt ist. Stolzenberg räumte schließlich ein, dass er im Auftrag des Investors, der Projektgesellschaft Initiative Hafenschuppen (PIH), tätig ist.
In einer gemeinsamen Presseerklärung bewerten Petereit, der CDU-Fraktionschef Oliver Prieur, FDP-Fraktionschef Thomas Rathcke, Thomas Misch (Freie Wähler) und Lothar Möller (BfL) diesen Vorgang als Skandal. Erst auf Nachfrage habe Stolzenberg „seine berufliche Verquickung offengelegt und seine Befangenheit eingeräumt“, erklären die politischen Konkurrenten.
„Wir fordern Detlev Stolzenberg auf offenzulegen, ob es weitere Verquickungen zwischen seiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Mitglied der Bürgerschaft und seiner hauptberuflichen Tätigkeit gibt“, sagen SPD, CDU, FDP, Freie Wähler und BfL.
Die Unabhängigen hätten in allen Sitzungen von politischen Gremien stets auf Transparenz und Unabhängigkeit gepocht. Im Wahlprogramm der jungen Wählergemeinschaft, die ein anderes politisches Klima in Lübeck schaffen will, steht: „Verwaltungshandeln und politische Entscheidungen müssen transparent und nachvollziehbar sein. Transparenz gehört zu den wirksamsten Mitteln, um Klüngel und Korruption zu bekämpfen.“
Als „hochnotpeinlich für die Unabhängigen“ kritisiert Antje Jansen (GAL) den Vorgang. Gerade Stolzenberg würde permanent die städtischen Gesellschaften und den Bürgermeister kritisieren. Jansen: „Das Verhalten grenzt an Heuchelei.“ Die Glaubwürdigkeit leide, sagt die Fraktionschefin der Grünen, Stolzenberg habe unglücklich agiert. Für die Grünen sei aber wichtig, dass das Bauprojekt nicht darunter leide. Akyurt: „Ich habe recherchiert. Detlev Stolzenberg war an maßgeblichen Entscheidungen zur Nördlichen Wallhalbinsel nicht beteiligt.“
Darauf verweist auch der kritisierte Unabhängigen-Politiker. Im Bauausschuss sei er bei Beschlüssen zum Projekt nie dabei gewesen. Er habe lediglich im Kulturausschuss und in der Bürgerschaft zu einem Bericht der Verwaltung gesprochen. „Die Vorwürfe sind unbegründet“, ist Stolzenberg überzeugt und verweist auf die Gemeindeordnung.
Das sagt die Gemeindeordnung
Paragraf 22 der schleswig-holsteinischen Gemeindeordnung regelt, wann Politiker befangen sind. „Ehrenbeamtinnen und -beamte oder ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger dürfen in einer Angelegenheit nicht ehrenamtlich tätig werden, wenn die Tätigkeit oder die Entscheidung in der Angelegenheit ihnen selbst, ihren Ehegattinnen oder Ehegatten, ihren Lebenspartnerinnenoder Lebenspartnern, ihren Verwandten bis zum dritten Grade, ihren Verschwägerten bis zum zweiten Grade oder einer von ihnen kraft Gesetzes oder Vollmacht vertretenen Person einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann.“
Befangenheit sei dort klar definiert, die liege bei ihm nicht vor. Stolzenberg ging davon aus, dass seine berufliche Verbindung zum Projekt „hinreichend bekannt“ sei. Die Bausenatorin und die Bauverwaltung wüssten Bescheid. Auf einer öffentlichen Präsentation des Vorhabens habe er als Stadtplaner dazu gesprochen. Bei dieser Präsentation seien auch Politiker anderer Fraktionen dabei gewesen. Stolzenberg: „Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht.“ Als hauptberuflicher Stadtplaner müsse er auch Aufträge in seiner Heimatstadt annehmen dürfen, erklärt Stolzenberg: „Ich muss eine Familie ernähren.“
Die Stadtverwaltung bestätigt auf LN-Anfrage, dass Stolzenbergs Büro in den Planungsunterlagen genannt wird. „Zumindest die Mitglieder des Bauausschusses aus der Wahlperiode 2013 bis 2018 haben Kenntnis davon, dass das Büro Stolzenberg im Jahr 2018 von der PIH mit der Erarbeitung des Bebauungsplanes betraut war“, sagt die Verwaltung.
Der Stadtpräsidentin Gabriele Schopenhauer (SPD), die die Bürgerschaftssitzungen leitet, war nach eigenen Angaben bis zur Sitzung der Bürgerschaft am 20. Juni dagegen nicht bekannt, dass Detlev Stolzenberg Auftragnehmer der PIH ist.
Kai Dordowsky