Gefesselte Studentin: Angeklagter soll weiteres Opfer gesucht haben

Ein Mann liegt nachts auf der Lauer. Immer wieder fährt er mit seinem weißen Transporter hin und her, steht mal hier fünf Minuten, mal dort. Er beobachtet die jungen Leute, die die Halloween-Party auf der Gollan-Werft in Lübeck verlassen, hält Ausschau nach einem neuen Opfer. Dieses Bild zeichnen die Aussagen der beteiligten Polizeibeamten am Freitag im Lübecker Landgericht. Erst zwei Wochen zuvor soll der Mann ganz in der Nähe eine junge Studentin in seinen Ford Transit gezerrt, mit ihr auf ein Feld bei Mönkhagen gefahren sein, sie dort brutal vergewaltigt und gefesselt in einem Gebüsch zurückgelassen haben. Auf seinem Handy finden die Beamten später 20 000 Fotos und Videos, gut die Hälfte davon pornografisch. Vor der ersten Tat habe er auf seinem Mobiltelefon Sexseiten aufgerufen. Von 20 Uhr bis 20.40 Uhr speichert sein Handy 500 Einträge für solche Seiten. Tatverdächtiger klammert sich ängstlich an einer Decke fest: Einige Zeit später sitzt derselbe Mann auf dem Boden einer Zelle. Er hält eine Wolldecke in den Händen, an der er sich festklammert. Er hat Angst, zuckt zusammen, wenn sich ihm ein Polizist nähert. Später in der Justizvollzugsanstalt Lübeck soll er versucht haben, sich zu erhängen. Drei Mal. So haben es die Polizisten zumindest gehört. Seiner Frau sagt Berat M. (Name geändert) bei einem Besuch, in dem sie ihm die endgültige Trennung mitteilt: „Mein Leben hat jetzt keinen Sinn mehr.“ Jagd nach neuem Opfer: Es sind die Zeugenaussagen von Polizisten, die diese Einschätzung von ein und demselben Mann erzeugen. Beide sollen Berat M. beschreiben, einmal vor – und einmal nach seiner Verhaftung. Es ist der fünfte Prozesstag gegen den 43-Jährigen vor dem Lübecker Landgericht. Ihm wird versuchter Mord, Vergewaltigung und Freiheitsberaubung an der Lübecker Studentin vorgeworfen. Die Aussagen der ermittelnden Beamten an diesem Tag zeigen zudem, dass der Angeklagte womöglich zu einem Serientäter geworden wäre, wenn sie ihn nicht gefasst hätten. Auf die Spur von Berat M. waren die Beamten über Videoaufnahmen von Überwachungskameras gekommen. Durch Zeugenaussagen wussten die Polizisten, dass sie nach einem weißen Transporter suchen mussten. Und die Kameras hatten in der Nacht, als die Studentin verschleppt wurde, einen weißen Ford Transit aufgezeichnet, der andauernd hin und her fuhr – und vor dem Kleingarten von Berat M. parkte. Die Ermittlungsgruppe überwachte Berat M. und befestigte Ortungstechnik an dem Transporter, mit dem er unterwegs war. Eigentlich wollten sie herausfinden, ob er Kontakte zu anderen, eventuellen Mittätern aufnimmt. Auch in der Halloweennacht, als das erste Mal nach der Verschleppung der Studentin wieder eine Party für junge Leute in der Gollan-Werft stattfindet, beschatten die Beamten Berat M.. Kurz nach 23 Uhr brechen sie ab. „Die Vergewaltigung war erst zwei Wochen her, ich bin davon ausgegangen, dass sich der mutmaßliche Täter erstmal ruhig verhält“, sagt der leitende Ermittler im Zeugenstand. Doch als er am nächsten Morgen zum Dienst erscheint und sich das Bewegungsprofils des Transporters aus der Nacht geben lässt, weiß er, dass er sofort handeln muss. Das Bewegungsprofil des Fahrzeugs war deckungsgleich mit dem aus der Tatnacht. „Es war offensichtlich, dass er wieder Jagd auf ein potenzielles Opfer machte“, sagt der Kriminalhauptkommissar. Wenige Stunden später wird Berat M. festgenommen. Keine Hinweise auf einen Mittäter: Die Nacht nach der Verhaftung verbringt Berat M. in einer Zelle bei der Polizei. „Er hatte große Angst. Als er erkennungsdienstlich untersucht werden sollte, wollte er die Zelle nicht verlassen“, berichtet der Ermittlungsleiter. Offenbar habe er Schläge befürchtet. Während der Angeklagte vor Gericht schweigt, redet er in dieser Nacht immer wieder auf die Beamten ein. „Ich musste es tun. Sie haben mir ein Bild von meinen Kindern gezeigt und gesagt, dass sie ihnen etwas antun“, beteuert er. Es sei immer wieder die gleiche Geschichte gewesen. „Sinngemäß ging es ihm darum, uns zu sagen, dass er nicht allein gewesen ist, und dass es einen oder mehrere andere Täter gibt, vor denen er große Angst hat und die ihn zu der Tat gezwungen haben“, sagt der Kommissar. Die Polizei ermittelt, wertet Handydaten und Anrufe aus. Das Ergebnis: „Es gibt keinerlei Hinweise auf irgendeine andere Person. Die Ermittlungen sind abgeschlossen.“ Gefesselte Studentin: Angeklagter soll seine Ehefrau im Schlaf vergewaltigt haben Prozessauftakt: Gefesselte Studentin: Prozess hat begonnen Zeuge sagt aus: Stormarner rettete gefesselter Studentin wohl das Leben Ärger im Prozess: Angeklagter wieder zu spät: JVA lässt verärgerten Richter warten Ermittlung: Hätte der Täter früher gefunden werden können? Gefesselte Studentin: Polizei nimmt Verdächtigen fest Gefesselte Studentin: Polizei ermittelt wegen versuchter Tötung Fotos: Hilflose Frau bei Mönkhagen gefunden Bericht vom Sonnabend: Verletzte Frau lag gefesselt und geknebelt am Feldweg Von Sven Wehde

Prozess - Gefesselte Studentin: Angeklagter soll weiteres Opfer gesucht haben