InTerview: Max Schön, Vorsitzender der Possehl-Stiftung, über den "Kulturfunken" und die Stellung der Kultur in Lübeck

Der Unternehmer Max Schön hat 2016 als Nachfolger von Renate Menken den Vorsitz der Possehl-Stiftung übernommen. Im vorigen Jahr hat die Possehl-Stiftung mehr als 600 000 Euro für die „Kulturfunken“ bereitgestellt, zur Jahreswende noch einmal etwa die gleiche Summe. Jetzt folgt eine dritte Runde. Warum geben Sie so viel Geld aus? Dass es den „Kulturfunken“ gibt, ist im Grunde das einzig Gute an Corona. Es ist dadurch so viel Neues in Lübeck entstanden. Insbesondere die freie Szene stand wegen der Pandemie vor dem Nichts und musste alle Kulturaktivitäten völlig neu denken – genau das hat das Kulturtreibhaus in ihrem Sinne getan. Und die Stiftung hat das Geld dafür bereitgestellt. Eine Inspiration für die Idee des Kulturfunkens kam aus Sachsen, wo sich Künstler und Künstlerinnen mit einer Idee für ein Projekt bewerben und 2000 Euro für ihre kreative Leistung bekommen konnten. Das Kulturtreibhaus hat die Idee übernommen und um den Aspekt ergänzt, dass das neu Entstandene auch umgesetzt werden muss. Dazu wurde die Fördersumme auf bis zu 6000 Euro je Projekt erweitert. Die zweite Kulturfunken-Runde haben wir gestartet, weil die erste ein solch großer Erfolg war. Es zeigt sich auch qualitativ eine Weiterentwicklung. Und nun folgt die dritte Förderrunde, damit es auch im Sommer und Herbst viel Kultur für Lübeck gibt und die Menschen im Kulturbereich bessere Chancen bekommen, durch die für sie wirtschaftlich extrem schwierigen Zeiten zu kommen. Am Freitag (26. Februar) hat der Vorstand der Possehl-Stiftung eine dritte Runde des „Kulturfunkens“ beschlossen. Künstler können sich erneut für eine Förderung von bis zu 6000 Euro pro Projekt bewerben. Es können Anträge für Vorhaben gestellt werden, die bis zum Ende dieses Jahres umgesetzt werden sollen. Abgabefrist für die „Kulturfunken“: 1. April bis 15. Mai. Die im vorigen Jahr gestartete Kulturfunke“-Reihe ist ein Gemeinschaftsprojekt. Das Lübecker Kulturtreibhaus, eine Initiative zur Vernetzung der Lübecker Kulturszene, liefert kreative Ideen und versteht sich als eine Plattform. Die Possehl-Stiftung finanziert die Projekte. Für die ersten beiden „Kulturfunke“-Runden hat sie 1,28 Millionen Euro bereitgestellt. Max Schön ist seit 2016 Vorsitzender der Stiftung. Sie haben das Förderprinzip einfach umgedreht. Ja. Früher wurde bei Anträgen in der Regel die Qualität eines fast fertigen Projekts bewertet. Jetzt geht es um die Qualität der Idee, dann kann der Künstler loslegen. Was dabei herauskommt, wird sich zeigen. Die Qualität wird dabei von einem Auswahlgremium aus der Kulturbranche beurteilt, die Possehl-Stiftung nimmt auf den Auswahlprozess keinerlei Einfluss. Um Kulturförderpreis beworben: Wer ist auf den Namen „Kulturfunke“ gekommen? Tilo Strauss von Slam A Rama bei einem Arbeitstreffen des Kulturtreibhauses. Wir haben den Begriff jetzt vorsichtshalber als Marke für Lübeck schützen lassen, damit nicht andere Städte unter dem gleichen Namen aktiv werden. Mit dem Konzept haben Stiftung und Kulturtreibhaus sich jetzt auch für den Deutschen Kulturförderpreis beworben. Und Sie haben ein „Kulturfunken“-Büro eingerichtet. Das ist ebenfalls eine Initiative des Kulturtreibhauses. Das Büro mit vier Kräften in der Krähenstraße wird von uns erst mal für ein Jahr finanziert. Es soll Anlaufpunkt für Kulturideen sein und macht die Vorarbeit für das neunköpfige Auswahlgremium, das die Förderprojekte auswählt. In dieser Gruppe sind alle Genres vertreten – Musik, Theater, bildende Kunst, Literatur, auch das städtische Kulturbüro. Die Stiftung muss die Entscheidungen dann der Form halber noch prüfen, doch das ist ein primär steuerrechtlicher und stiftungsrechtlicher Akt, denn das Kulturtreibhaus hat keine eigene Rechtsform; auch eine Innovation in Pandemiezeiten. Ein, zwei Punkte reichen: Wonach wird ausgewählt? Vier Kriterien sind wichtig: Die besondere Innovationskraft, die Förderung der kulturellen Entwicklung, eine besonders hochwertige Qualität und die soziale Komponente. Es müssen aber nicht alle Punkte erfüllt sein, es reichen auch einer oder zwei. Und nach der Krise soll es weitergehen. Die Frage ist ja, ob nach Corona alles so sein wird wie vorher. Das glauben wir nicht. Der finanzielle Druck etwa wird nicht verschwunden sein. Viele Kulturschaffende sind schon jetzt notleidend. Da ist es eben gut, das Geld vor Beginn eines Projekts bereitzustellen. Ob es dann laufend neue „Kulturfunken“-Runden geben wird, muss man sehen. Der „Funke“ ist beweglich und wird sich weiter verändern. Das zeichnet ihn ja auch aus. Keine Kultur nach Mehrheitsentscheid: Und dass das Kulturtreibhaus die Ideen liefert und Sie das Geld, diese Trennung wird bleiben? Wir vernetzen und denken gerne mit, aber wir sind nicht die Entscheider. Wir schauen, wie bei allen anderen Anträgen an die Possehl-Stiftung darauf, ob ein Vorhaben das „Gute und Schöne“ in Lübeck fördert, wie es der Stifter Emil Possehl vor über 100 Jahren in unsere Satzung schrieb. Das Kulturtreibhaus hat keine hierarchische Struktur, dort ist nichts in Stein gemeißelt, und es ist flexibel. Das passt gut zur Kultur. Es wäre ja auch fatal, wenn es nur noch eine Art von Kultur gäbe, nämlich die, die eine Mehrheit findet. Das wäre der Anfang vom Ende. Lesen Sie auch Walk & Talk – Projekt bringt Menschen in Lübeck zusammen Tänzerin Irina Runge: Solo mit Korsett und Hasenohren 1,28 Millionen Euro – Possehl-Stiftung fördert neue „Kulturfunken“ in Lübeck Wie sind die Reaktionen auf den „Kulturfunken“ über Lübeck hinaus? In der überregionalen Kulturszene spricht sich das herum. Das haben wir auch den Bewerbungen für die zweite Runde angemerkt. Aber wir hoffen eigentlich, dass es in anderen Städten Nachahmer gibt. Jede regionale Stiftung etwa könnte nach diesem Modus Geld zur Verfügung stellen, und auch Firmen und private Einrichtungen. Das Organisationsprinzip ist sehr einfach und läuft ohne großen Formalismus, der Dinge ja oft erschwert. Die Kulturszene selbst ist unheimlich kreativ und schnell. Die Stadt hat es schwerer: Im vergangenen Mai haben Sie die Stadt sehr gelobt. Sie sei überall schon gewesen, wo Sie nachgefragt haben. Gilt das immer noch? Das war im sozialen Bereich, und das funktioniert nach wie vor ziemlich gut. Wir machen dort nur kleinere Ergänzungen. Bei der Kultur ist es anders, aber auch schwieriger. Freie Künstler sind ja auch Unternehmer, das macht eine Förderung komplizierter, denn sie sind nicht gemeinnützig. Für uns als Stiftung ist das einfacher als für die Verwaltung. Wir verwenden nicht Steuern, sondern bereits versteuertes Geld. Wir sind satzungsmäßig beauftragt und viel freier und schneller. Bei Institutionen wie etwa den privaten Theatern aber konnte die Stadt helfen. Die Stiftung ist zu 100 Prozent Eigentümerin des Europäischen Hansemuseums. Macht Ihnen die monatelange Schließung Sorgen? Das Museum wird aufmachen, so schnell es geht. Auch für weniger Besucher, wie schon im letzten Jahr. Dabei ist klar: Je früher es öffnet, desto teurer wird es. Das billigste Museum ist ja ein geschlossenes; keine Kultur zu machen verursacht am wenigsten Kosten. Dieser fatalen Logik scheint ja auch unser Staat zu folgen: Lufthansa und die TUI erhalten schnell Milliarden, die Kultur sitzt am Katzentisch, weil sie offensichtlich nicht als systemrelevant angesehen wird. Ein schwerer Fehler – Musik, Theater, Bücher, Kunst, sie alle sind auch überlebensnotwendig und genauso wichtig wie Bildung. „Hier ist richtig was los“: Nennt sich Lübeck zu Recht eine Kulturstadt? Ich finde ja. Kultur wird hier mittlerweile als ein zentraler Faktor wahrgenommen. Es ist gut, dass Lübeck sich jetzt nicht mehr als Wohlfühlstadt, sondern als Kulturstadt positioniert. Da ist ein ganz wichtiger Schritt. Ich meine, was sollen ein Theater oder wir als Stiftung mit einer Wohlfühloase anfangen? Man muss sich nur unsere Baudenkmäler anschauen, oder etwa das SHMF als größtes Musikfestival Deutschlands; es hat hier seinen Sitz und lässt etwa jede dritte Veranstaltung des diesjährigen Programms in Lübeck stattfinden. Und es werden über 1000 Kulturfunke-Veranstaltungen der freien Szene bis zum Sommer die Stadt beleben. Hier ist richtig was los – auch mit Corona. Spielt Bürgermeister Jan Lindenau dabei eine maßgebliche Rolle? Er lässt kulturell ganz viel zu, ist ein Ermöglicher. Genau darauf kommt es ja im Wesentlichen an in der Kultur. Aber ob wir wirklich eine Kulturstadt sind, das entscheiden nicht die Verwaltung, die Politik oder die Stiftungen alleine. Das machen die Künstler und wir alle als Stadtgesellschaft zusammen, oder wir machen es eben nicht ... Kultur nicht nur für die Altstadtinsel: Aber erreichen Sie mit dem Kulturfunken nicht immer die gleichen Leute? Nein. Das Publikum ist sogar noch unterschiedlicher zusammengesetzt als früher. Viele Dinge finden jetzt eben auch spontan und ohne Eintritt statt. Und nicht nur in der Altstadt, sondern immer häufiger auch in den Lübecker Außenbezirken. Viele Künstler suchen ihr Publikum sogar auf und fahren zu ihnen hin. 139 Millionen Euro vor Steuern und Zinsen: Wie sehr macht der Possehl-Gruppe und damit auch der Stiftung die Corona-Krise zu schaffen? Die Firmengruppe hat für 2020 ein Ergebnis von 139 Millionen Euro vor Steuern und Zinsen erreicht. Das ist super. Der Etat der Stiftung für das nächste Jahr ist ungekürzt, und unsere freien Rücklagen mussten wir im ersten Corona-Jahr nicht anrühren. Es ist das Bestreben des Konzernmanagements, der Stiftung weiterhin einen guten Ertrag zuzuführen. So steht es ja auch in Emil Possehls Testament. Rein theoretisch könnte die Stiftung auch den ganzen Ertrag nach Steuern beanspruchen, aber das machen wir nicht, um die Stabilität und Kraft des Unternehmens dauerhaft zu erhalten. Es ist wirklich ein sehr gutes Miteinander. Von Peter Intelmann