Karstadt Lübeck gerettet: Mitarbeiter jubeln

Vor knapp einem halben Jahr gab es im Karstadt-Haus in der Lübecker Innenstadt schon einmal eine überraschend einberufene Mitarbeiterbesprechung. Das war am Nachmittag des 19. Juni 2020. Da eröffnete die Geschäftsleitung ihnen, dass ihr Haus schließen würde. Entsprechend angespannt war die Stimmung, als sie Donnerstagabend die Einladung zu einer Mitarbeiterbesprechung am Freitag um 9 Uhr bekamen. Dass sie sich kurz darauf auf der Restaurantfläche im Warenhaus jubelnd und mit Freudentränen in den Armen liegen würden – das hatte wohl kaum einer zu hoffen gewagt. Die Nachricht von der Rettung kam per Video-Botschaft: Die Botschaft kam per Live-Video aus der Konzernzentrale in Essen. Um Punkt 9 Uhr meldete sich Miguel Mühlenbach, seit dem 10. Juni 2020 Chef des Konzerns Galeria Karstadt Kaufhof, auf dem großen Bildschirm, der im Restaurant aufgebaut war, zu Wort und teilte den Mitarbeitern mit, dass ihr Haus bestehen bleiben werde. „Das ist eingeschlagen wie eine Bombe“, sagt die Betriebsratsvorsitzende Karin Kinnert. „Viele Kollegen haben mir gesagt: Damit haben sie wirklich nicht gerechnet. Hier sind Tränen geflossen, das war sehr bewegend.“ Karstadt-Geschäftsführerin: „Gänsehaut pur“: Karin Kinnert und die Geschäftsführerin des Hauses, Christin Krümmel, hatten schon am Donnerstagabend gegen 17.30 von der Rettung erfahren, durften aber die Nachricht noch nicht verbreiten. „Das war sehr schwer“, gibt Krümmel zu. Die Mitarbeiterversammlung am Freitagmorgen werde sie nie vergessen: „Es war ein unbeschreibliches Gefühl, den Mitarbeitern diese Nachricht zu übermitteln. Es war Gänsehaut pur, ein wunderschöner Moment!“ „Wir haben 169 Tage gezittert“: Krümmel hat seit der Nachricht von der geplanten Schließung am 19. Juni die Tage gezählt. „Wir haben 169 Tage gezittert. Jetzt ist die Filiale um fünf nach zwölf gerettet worden.“ Sie habe immer daran geglaubt, dass der Standort erhalten bleibe. „Aber natürlich gab es Tage, an denen die Hoffnung geringer wurde.“ Karstadt-Mitarbeiter haben gekämpft: Die Lübecker Karstadt-Mitarbeiter mobilisierten die Öffentlichkeit. Sie hielten Mahnwachen, setzten sich mit Politikern in Verbindung, ließen T-Shirts drucken mit der Aufschrift: „Wir wollen bleiben!!!“ Kaum mehr als eine Hand voll von ihnen hat seit Bekanntwerden der Schließungspläne das Unternehmen aus freien Stücken verlassen. Ungefähr 20 hatten es abgelehnt, in die Transfergesellschaft zu gehen, die zum 1. Februar 2021 den Betrieb aufnehmen sollte. Sie haben ihre Kündigungen schon erhalten. Die könnten jetzt aber rückabgewickelt werden, frohlockt Betriebsrätin Kinnert. Anfang April 2020 sucht sucht der letzte große deutsche Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof nach Umsatzeinbrüchen Rettung in einem sogenannten Schutzschirmverfahren. Sechs Monate später folgt der Neustart. Doch die Sanierungspläne sehen die Schließung von mehr als 40 Filialen vor, was rund 4000 Mitarbeiter den Job kosten soll. Im Sommer kündigt der Warenhauskonzern an, vier von fünf Karstadt-Häusern in Schleswig-Holstein zu schließen. Nur ein Haus in Kiel soll nach diesen Plänen erhalten bleiben. Bundesweit sind bis jetzt schon 37 Filialen geschlossen worden. Das Lübecker Karstadt-Haus, das zweitälteste nach dem Stammhaus in Wismar, hatte nach den bisherigen Plänen im Januar 2021 für immer dichtmachen sollen. Der Ausverkauf hatte schon begonnen. Das benachbarte Karstadt-Sports-Haus ist seit Mitte Oktober geschlossen. Noch keine abschließende Auskunft gab es am Freitag zu der Zukunft des Restaurantbetriebs. Unklar ist auch, was aus den zehn ehemaligen Karstadt-Sports-Mitarbeitern wird, die zurzeit mit Zeitverträgen im Warenhaus aushelfen. „Wir kämpfen hier für jeden einzelnen“, verspricht Kinnert. Jahrzehnte bei Karstadt gearbeitet: Viele der Karstadt-Beschäftigten arbeiten seit Jahrzehnten in dem Haus. Der dienstälteste Mitarbeiter der Filiale gehört seit 1972 zum Unternehmen. Er wäre ohnehin Ende des Jahres in Rente gegangen. Aber viele andere hätte die Schließung der Filiale hart getroffen. Das Durchschnittsalter der Beschäftigten von Warenhaus und Karstadt Sports lag im Sommer 2020 nach Angaben der Betriebsräte bei 49. In einem LN-Interview im Juli erzählte damals Anja Lorenz, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende des Warenhauses, von ihrer eigenen Verbindung zum Unternehmen: „Ich habe eine Bewerbung geschrieben, 1991 hier angefangen und gedacht, ich arbeite hier bis zur Rente. Wer hätte damals gedacht, was alles passieren würde?“ Lesen Sie auch: Karstadt Lübeck nach SPD-Angaben gerettet Karstadt Lübeck gerettet: Alle Nachrichten im Liveticker Corona in Lübeck: Das sind die Zahlen vom 4.12.2020 Spontaner Jubel im Warenhaus: Um so größer die Erleichterung bei den Beschäftigten, dass es nun vorerst doch nicht zum Schlimmsten kommt. Nach der Versammlung am Freitagmorgen wurde die Nachricht im ganzen Haus durchgesagt – und wieder brach spontaner Jubel in der Belegschaft aus. „Wir haben bis zum Schluss gehofft“, sagte eine Mitarbeiterin, „und das Beste kommt zum Schluss.“ Von Hanno Kabel