Klima-Check: Wo steht Lübeck aktuell beim Klimaschutz?

Fünf Jahre nach dem Pariser Klima-Abkommen und eineinhalb Jahre nach dem Beschluss der Bürgerschaft, in Lübeck den Klimanotstand auszurufen: Wo steht die Hansestadt beim Klimaschutz aktuell? Die Klimaleitstelle arbeitet fieberhaft an einer kommunalen Treibhausgasbilanz für 2019. Die Veröffentlichung ist für Anfang 2021 vorgesehen. „Erste Ergebnisse zeigen insgesamt eine leicht sinkende Tendenz seit 2015“, erklärt die Leitstelle auf LN-Anfrage, „die größte CO2-Quelle bleibt weiterhin der Wärmesektor.“ Die privaten Haushalte hätten trotz steigender Einwohnerzahlen weniger Energie verbraucht, sagen Lübecks Klima-Fachleute. Die Anzahl der Ölheizungen habe deutlich abgenommen, gleichzeitig sei der Erdgasverbrauch gestiegen. Die erneuerbaren Energien würden noch eine untergeordnete Rolle spielen: „Hier ist ein großes ungenutztes Potenzial für die Wärmeversorgung“, stellt die Leitstelle fest. Beim diesjährige Lübecker Starkregenforum wurde eine höhere Bezuschussung von Gründächern durch das Klimaschutz-Förderprogramm des Landes gefordert, da die derzeitige Förderung von maximal 500 Euro pro Wohnhaus völlig ungenügend sei. Gründächer könnten auch in Lübeck die Schäden durch den Klimawandel abfedern. Begrünte Dächer können Regenwasser speichern, verdunsten oder stark verzögert ableiten und somit die Entwässerungssysteme entlasten. Das sei wichtig bei Starkregen. Durch die Verdunstung werde zudem das Stadtklima positiv beeinflusst, erklärten die Fachleute bei der Online-Konferenz. Wichtig sei auch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, um Gründächer gezielt in der Öffentlichkeit bekanntzumachen und Vorurteile abzubauen. Der Energiebedarf in der Wirtschaft habe zugenommen, was mit der steigenden Zahl der Erwerbstätigen in Lübeck begründet wird. Es gebe erste positive Beispiele von Betrieben, die im größeren Maßstab auf Erdwärme setzen. Insgesamt stellen die Fachleute für die Wirtschaft fest: „Für die notwendige Energiewende sind in den kommenden Jahren noch große gemeinsame Anstrengungen erforderlich.“ Pkw-Bestand wächst stetig: Beim privaten Pkw-Verkehr, der für mehr als die Hälfte der CO2-Emissionen verantwortlich ist, kommt Lübeck nicht vom Fleck. „Zwar werden die Fahrzeuge effizienter, dennoch wächst der Pkw-Bestand in Lübeck stetig – und es wird mehr gefahren“, stellen die Klima-Fachleute fest, „dadurch wird der Einspareffekt der effizienten Fahrzeuge zunichtegemacht.“ Aktuell sind in der Hansestadt 100 901 PKW zugelassen – rund 3000 mehr als vor drei Jahren. Davon sind 694 rein elektrisch angetrieben und 604 Hybridfahrzeuge mit externer Lademöglichkeit. Das entspricht einem Anteil von 1,3 Prozent. Immerhin: Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl dieser Fahrzeuge mehr als verdoppelt. Von 2010 bis 2015 rund 135 000 Tonnen CO2 eingespart: Die letzte CO2-Bilanz für Lübeck stammt aus dem Jahr 2015. Damals wurden 1,666 Millionen Tonnen Kohlendioxid in der Hansestadt ausgestoßen, das waren 135 000 Tonnen weniger als 2010. Das Ziel, innerhalb von fünf Jahren zehn Prozent der Emissionen einzusparen, war zu 75 Prozent erfüllt. Das Einsparungsziel bis 2030 ist ungleich ehrgeiziger: Die klimaschädlichen Treibhausgase sollen um 50 Prozent reduziert werden. Die Klima- und Jugendbewegung Fridays for Future attestiert der Verwaltung, dass sie sich bemüht. Aber es fehle vor allem den Politikern an Krisenbewusstsein. „Maßgeblich ist der Haushaltsplan für 2021, in dem die Dimension der Klimakrise noch nicht wahrgenommen wurde“, urteilt Sophia Marie Pott, eine der Aktivistinnen. Fridays kritisieren die führenden Politiker: Das Kataster für Solardächer müsste für das Stadtgebiet eingerichtet werden und nicht nur für zehn städtische Gebäude, kritisiert Fridays for Future. Verbesserungen beim Radverkehr oder bei der Solarenergie seien von SPD und CDU abgelehnt worden. Die zahlreichen Vorschläge von Bürgern zum Klimaschutz seien von führenden Politikern stiefmütterlich behandelt worden. Außerdem sei das Budget für die Klimaschutz-Maßnahmen zu gering. Sophia Marie Pott: „Das kritisieren wir auf’s Schärfste.“ Corona habe gezeigt, dass viel Geld in die Hand genommen werden kann. Sophia Marie Pott: „Wir haben in den letzten zwei Jahren den Eindruck gewonnen: Bis Lübeck nicht unter Wasser steht, wird keine konsequente klimapolitische Handlungsnotwendigkeit gesehen.“ In der Tat: Der städtische Haushalt beziffert die Ausgaben für 2021 auf rund 931 Millionen Euro. Gerade einmal 500 000 Euro sind für Klimaschutz vorgesehen. Allerdings weist Umweltsenator Ludger Hinsen (CDU) daraufhin: „Klimaschutz betrifft alle und nahezu alles. Daher steckt schon jetzt viel Klimaschutz in den Budgets der einzelnen Fachbereiche und der städtischen Gesellschaften.“ Das reiche von der klimaschonenden Beschaffung von Büromaterial über die Wärmedämmung städtischer Gebäude bis hin zum konsequenten Einsatz von Ökostrom. Lesen Sie auch Keramik, Lego, Fotografie: Das planen die Lübecker Museen für 2021 Lübecks Ringvorlesung widmet sich „Doktor Faustus“ Lübeck: Schnelles Internet für St. Lorenz Süd Die Politiker haben 63 konkrete Klimaschutz-Maßnahmen beschlossen. Nach Angaben der Klimaleitstelle werden 34 bereits umgesetzt. Beispiele: Für Energiesparprojekte an Lübecker Schulen wurden Bundesfördermittel beantragt. Für 2021 sind für Öffentlichkeitsarbeit zum Klimaschutz erstmalig 50 000 Euro im Klimabudget vorgesehen. Auf der Deponie entstehen zwei Fotovoltaikanlagen: Auf der Deponie Niemark bauen die Entsorgungsbetriebe und die Stadtwerke zwei Fotovoltaikanlagen. Der Stadtverkehr kauft weitere Elektrobusse und wird für den Verkehr zum Priwall eine Hybrid-Fähre anschaffen, die rund 60 Prozent der bisherigen CO2-Emissionen einspart. Für die Pflanzung von einer Million neuer Bäume wurden die ersten Flächen bereitgestellt. Die Stadtwerke verkaufen nur noch Ökostrom. Ein attraktiver Busverkehr ist für die meisten der 1015 Lübeckerinnen und Lübecker, die im September an einer Online-Umfrage teilnahmen, die wichtigste Maßnahme zum Klimaschutz. Auf Platz zwei folgt der Erhalt von Knicks, auf Platz drei die Neupflanzung von Bäumen und Alleen und auf Platz vier ein besseres Geh- und Radwegesystem. Die Aufstellung eines Klimaschutzplanes zur Halbierung der CO2-Emissionen rangiert auf Platz fünf. Die Verwaltung wird personell aufgestockt, um den Klimaschutz voranzutreiben. Die Stelle des Verkehrswendebeauftragten wurde besetzt, und die Klimaleitstelle zählt jetzt fünf Beschäftigte. Aber reichen die vielen Ansätze und Initiativen, um 2030 das große Ziel zu erreichen – die Halbierung des CO2-Ausstoßes in Lübeck? Umweltsenator Hinsen setzt auf den „Masterplan Klimaschutz“, der 2021 vorgestellt wird und der den Weg zur Halbierung der Treibhausgase aufzeigen soll. Von Von Kai Dordowsky