Klima-Streik in Lübeck: Interview mit Aktivisten

Am Freitag, 29. November, lädt Fridays For Future die Lübecker zum vierten globalen Klimastreik. Die Demo startet diesmal vom Klingenberg und führt auch wieder dorthin zurück. Die Aktivisten haben 1500 Teilnehmer angemeldet, gehen aber von einer größeren Beteiligung aus. Wieso schon wieder ein globaler Klimastreik? Martha Lorenzen: Weil die globale Bedrohung durch den Klimawandel noch nicht einmal ansatzweise gelöst wurde. Obwohl im September bundesweit 1,4 Millionen Menschen auf der Straße waren, hat die Politik bisher nicht genug gemacht. Es ist weiterhin mehr als nötig, auf die Straße zu gehen und Klimagerechtigkeit einzufordern. Warum am 29. November? Sophia Marie Pott: Die Weltklimakonferenz in Madrid fängt am darauffolgenden Montag an. Als Auftakt wollen wir auch in Lübeck Solidarität zeigen. Sie sprechen von einem Klima-Neustart. Was heißt das? Pott: Wir geben den Politikern noch eine Chance. Bisher stimmt die Richtung nicht, es muss ganz anders losgehen, aber jetzt haben wir noch die Möglichkeit, die Richtung zu ändern. Das richtet sich an die Bundesregierung? Warum sind Sie mit dem Klimapaket nicht zufrieden? Lorenzen: Wo wollen wir anfangen? Die CO2-Bepreisung ist viel zu niedrig. Sämtliche Wissenschaftler sagen, was die Bundesregierung beschlossen hat, ergibt keinen Sinn und ist nicht verantwortungsvoll. Pott: Der Preis steigt zu langsam an. Der Kohleausstieg muss 2030 erfolgen, weil Deutschland 2040 klimaneutral ist. Die Pendlerpauschale ist kein Zeichen für die Verkehrswende. Nun haben Wissenschaftler und Klimaschützer leicht reden, denn sie müssen die Maßnahmen ja nicht umsetzen. Pott: Ja, Politiker haben es schwerer als Klimaschützer. Aber sie wurden auch dafür gewählt, die Interessen des Volkes und vor allem die Zukunft des Landes zu wahren. Interesse des Volkes? Es gibt Kritiker, die davor warnen, dass arme Menschen die Klimapolitik bezahlen müssen. Lorenzen: Klimagerechtigkeit ist unsere zentrale Forderung. Soziale Gerechtigkeit ist notwendig, um effektiven Klimaschutz zu betreiben. Die Bundesregierung traut sich nicht, Maßnahmen umzusetzen, die große Teile der Bevölkerung für notwendig halten. Pott: Es gibt längst Ideen, wie die ärmeren Bevölkerungsschichten mitgenommen werden können. Aber dazu hat die Bundesregierung nicht den Willen. Ein Großteil der Bevölkerung will Klimaschutz? Es wird so viel geflogen wie bisher und die SUVs verkaufen sich wie verrückt. Windkraft kommt nicht voran, weil sich überall Bürgerinitiativen wehren. Es wird viel geredet, aber im Alltag passiert nichts – oder? Lorenzen: Das Bundesumweltamt hat einmal von klimabewussten Umweltsündern gesprochen. Viele Menschen weltweit wissen, es ist nicht gut zu fliegen. Aber die Anstöße, damit Leute ihr Verhalten ändern, müssen von der Politik kommen. Pott: Das Bewusstsein hat unsere Bewegung geschaffen. Das Thema ist in den Köpfen. Jetzt muss sich das Verhalten ändern, und dafür streiken wir weiter. Von der großen zur kommunalen Politik: Wie bewerten Sie die Lübecker Klimapolitik? Pott: Wir sehen Ansätze. Die Schaffung von Stellen in der Klimaleitstelle ist ein erster Schritt. Aber die Maßnahmen gehen bisher nicht weit genug. Die autofreie Innenstadt wird nicht angegangen. Die Anträge aus der Einwohnerversammlung müssen zügig umgesetzt werden. Im Haushalt 2020 müssen die Maßnahmen stehen. Das geplante Klimaforum muss schnell eingerichtet werden. Die Verwaltung tut etwas, die Politik hat die Dringlichkeit noch nicht erkannt. Der Klimanotstand wurde vor sechs Monaten beschlossen, es muss jetzt auch etwas passieren. Was sind denn die konkreten Forderungen? Pott: Die Verwaltung muss öffentliche Gebäude besser dämmen, es müssen Solaranlagen auf den städtischen Gebäuden errichtet werden, die autofreie Innenstadt muss kommen, der ÖPNV muss günstiger werden. Azubis, Studenten, Schüler und Arbeitnehmer brauchen günstige Busse. Lorenzen: Günstigere Buspreise sind auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Alle Menschen müssen sich Veränderungen leisten können. Sie sind beide Schülerinnen. Wie wirkt sich die Klimabewegung in den Schulen aus? Verzichten Schüler auf die Klassenreise per Flugzeug? Lorenzen: Unsere Schule, das Johanneum, arbeitet an einem Fahrtenkonzept. Flugreisen für Klassenfahrten soll es nicht mehr geben. Man kann selbst nach Spanien mit dem Zug fahren. Das Thema ist in den Klassenräumen präsent. Pott: Klimagerechtigkeit muss Thema in jedem Unterricht sein. Der Kabarettist Dieter Nuhr legt sich seit einiger Zeit mit Greta Thunberg an. Er sagt, es darf keine Denkverbote geben. Man könne sich nicht in einer offenen Gesellschaft hinstellen, so müsst ihr Politiker das jetzt machen. Pott: Wir wollen keine Ökodiktatur, wir müssen die Gesellschaft mitnehmen. Lorenzen: Fridays For Future hat unsere Generation politisiert, das ist ein großartiger Beitrag für unsere Demokratie. Extinction Rebellion ist am Freitag dabei. In Bad Segeberg hat die Bewegung eine Gemeindevertretersitzung gesprengt, was ihr viel Kritik eingebracht hat. Wie steht Fridays For Future Lübeck zu der Gruppe? Pott: Wir solidarisieren uns mit Extinction Rebellion. Aber die Bewegung hat verstanden, was in Bad Segeberg falsch gelaufen ist. Lorenzen: Wir halten zivilen Ungehorsam für ein legitimes Mittel, um auf ein so existenzielles Thema aufmerksam zu machen. Pott: Unsere Aktionsform bleibt der Streik. Wann läuft sich Ihr Protest tot? Pott: Klar, die Sorge besteht. Die Politiker hoffen darauf. Lorenzen: Es ist für die Politiker viel einfacher, wenn nicht mehr 1,4 Millionen, sondern nur noch 10 000 auf die Straße gehen. Wir wurden schon im Sommer von Medien totgeschrieben und sind immer noch hier. Pott: Wir sind sicher, dass sich noch viele Menschen an den Streiks beteiligen werden. Ganz klar. Es geht nur noch um das Wann, nicht das Ob. Ab 9.30 Uhr gibt es auf dem Klingenberg ein buntes Programm. Um 11 Uhr beginnen die Redner mit ihren Beiträgen. Um 11.30 Uhr wird der Fahrrad-Corso vom Campus der Hochschulen am Klingenberg erwartet. Um 12 Uhr erfolgt die offizielle Begrüßung der Demonstranten. Um 12.30 Uhr startet der Demozug durch die Innenstadt. Betroffen seien auch unmittelbar angrenzende Straßenzüge in St. Jürgen, sagt die Polizei. In dieser Zeit müsse mit Verkehrsbehinderungen gerechnet werden. Ab 12.30 Uhrwollen die Teilnehmer der Demonstration vom Klingenberg aus über Sandstraße, Kohlmarkt, Schüsselbuden, Fünfhausen, Beckergrube und Breite Straße bis zum Koberg ziehen. Von dort aus geht es weiter durch Königstraße, Wahmstraße und Krähenstraße bis zur Rehderbrücke. Danach führt die geplante Route über die Hüxtertorallee, den Mühlentorplatz und die Mühlenbrücke in Richtung Mühlenstraße/Sandstraße. Auf dem Klingenberg findet die Abschlusskundgebung statt. Verschiedene Musikbandsbegleiten die Demo. Das Abschlussprogramm auf dem Klingenberg dauert voraussichtlich bis 16 Uhr. Fridays For Future hat 1500 Teilnehmer angemeldet, rechnet aber mit mehr Demonstranten und ruft auch Eltern, Großeltern und Lehrer zur Teilnahme auf. Der Stadtverkehr Lübeck rechnet von 12 bis 16 Uhr mit erheblichen Behinderungen im gesamten Liniennetz. Von Kai Dordowsky

Interview - Lübecks Klima-Aktivisten: Darum streiken wir weiter