Klimaschutz: Lübecker Hafen setzt doch auf Landstrom für Schiffe

Neuer Anlauf für Landstrom im Lübecker Hafen: Die Häfen Helsinki und Lübeck werden an jeweils zwei Anlegern Landstromanlagen errichten. Schiffe der Reederei Finnlines, die im Fährverkehr zwischen dem Skandinavienkai und Helsinki-Vuosaari pendeln, können in der Zukunft während ihrer Liegezeit auf Schiffsdiesel verzichten und stattdessen auf umweltschonenderen Landstrom zugreifen. Die Lübecker Hafenbehörde LPA baut die Anlagen an den Anleger 5 (neu) und 6 mit jeweils einer festen Übergabestation. Das System kann nach Angaben der Lübecker Hafen-Gesellschaft (LHG) mit zwei weiteren Übergabestationen ergänzt werden. LHG-Chef Prof. Sebastian Jürgens: „Das heißt, die Landstromanlagen können auf weitere Anleger ausgeweitet werden, sobald andere Reeder auf den Zug aufspringen möchten. Dazu bräuchten sie entsprechend ausgerüstete Schiffe.“ Gelder von der EU: Die neue Landstrom-Offensive der beiden Ostseehäfen wird durch die Europäische Union (EU) finanziert. LPA, LHG und der finnische Hafen erhalten bis zu 3,4 Millionen Euro aus einem EU-Programm. Dabei gehe es um Klimaschutz, erklärt LPA-Chef Guido Kaschel. Die Projektpartner wollen klimaschädliche Treibhausgasemissionen in ihren Regionen reduzieren. Das im Februar 2020 aufgelegte deutsch-finnische Projekt soll 2023 abgeschlossen werden. LHG-Geschäftsführer Jürgens: „Wir sind überzeugt davon, dass umweltschonender Landstrom im Fährverkehr sinnvoll eingesetzt werden kann. Das ist praktischer Umweltschutz.“ Mindestens die Grünen müssten sich jetzt verwundert die Augen reiben. Im vergangenen Sommer sind sie mit ehrgeizigen Anträgen krachend in den politischen Gremien gescheitert. Die Grünen wollten bis 2030 alle Schiffe im Lübecker Hafen an den Landstrom anbinden. Start des Projekts „Baltic Future Port“: 3,9 Millionen Euro vom Bundesverkehrsministerium fließen in elf Projekte wie zum Beispiel in die Einrichtung eines 5G-Netzes, der Automatisierung von Kränen, die digitale Daten-Erfassung von Gütern oder das Monitoring der technischen Abläufe aus der Luft. Mithilfe des 5G-Netzes werden Züge und Lastwagen, die in den Hafen fahren, systematisch digital erfasst. Den Lkw-Fahrern werden die Stellplätze für ihre Ladung digital zugewiesen. Ein weiteres Projekt ist die mobile Datenerfassung im Schiff: Bei der Beladung der Schiffe sind Staupläne zu erstellen. Das 5G-Netz soll die Daten in Echtzeit zur Verfügung stellen. Es wird auch ein „digitaler Zwilling“ entwickelt, der Logistikhallen als 3D-Modelle erstellt. Digitale Anwendungen sollen auch den Rettungskräften bei Notfällen die Arbeit erleichtern. Die Hafenkräne sollen künftig ferngesteuert werden. Schließlich sollen Drohnen und Multikopter im Hafenbetrieb getestet werden. Das Projekt Baltic Future Port läuft bis Ende 2023. Experten von LPA und LHG und sogar Bürgermeister Jan Lindenau (SPD) machten klar, dass sich Landstrom in einem Hafen wie Lübeck einfach nicht rechne. Landstrom sei für Häfen mit vielen Kreuzfahrern sinnvoll, sagte Lindenau und zählte Hamburg, Kiel und Rostock auf. Denn Kreuzfahrer würden stundenlang an den Anlegern festmachen. Die RoRo-Fähren, die den Lübecker Hafen prägen, hätten nur Liegezeiten von drei bis maximal fünf Stunden. Kreuzfahrer dagegen würden in Travemünde kaum eine Rolle spielen. Ins gleiche Horn hatte LHG-Chef im Oktober 2019 beim Deutsch-Finnischen Hafentag gestoßen. Wirtschaftliche Alternative: Warum jetzt diese Kehrtwende? Liegt es an der EU-Förderung? „Landstrom war für die LHG immer ein Thema, allerdings haben wir auf die Hindernisse hingewiesen, die einer Verwirklichung entgegenstehen“, erklärt Prof. Sebastian Jürgens auf LN-Anfrage. „In unserem Forschungsprojekt wollen wir mit unseren Partnern prüfen, ob sich im Licht neuer Erkenntnisse und Fakten Landstrom nun doch eine wirtschaftliche Alternative sein könnte.“ Zu den neuen Fakten zähle die Weiterentwicklung der Schiffstechnik sowie die Ermäßigung der Stromumlage, aus der erneuerbare Energie (EEG-Umlage) gefördert werden. Im Klartext: Der Landstrom wird für die Reeder billiger. Die Hansestadt war einmal Vorreiter bei der umweltfreundlichen Energieversorgung von Schiffen, die am Kai liegen. 2008 konnten Frachtschiffe am Nordlandkai an die Steckdose gehen. Doch die Anlage blieb weitgehend ungenutzt, weil den Reedern der Strom zu teuer war. Landstrom und Flüssiggas: Flüssiggas statt Landstrom – so lautete die Devise im Lübecker Hafen vor einem Dreivierteljahr. Jetzt soll beides angeboten werden. „Wir arbeiten mit der LPA weiterhin daran, die entsprechende Infrastruktur zu schaffen“, erklärt LHG-Chef Jürgens, „einige unserer Reeder bauen gerade neue Schiffe, die mit LNG laufen werden.“ LNG und Landstrom würden sich nicht ausschließen. Der Hafen-Chef: „Es liegt an den Reedern, wie sie bei Liegezeiten den benötigten Strom erzeugen möchten.“ Für die Versorgung der Schiffe mit Liquefied Natural Gas (LNG) ist bereits ein Standort für einen Tank am Anleger 8a des Skandinavienkais im Gespräch. „Der Ausbau könnte in mehreren Stufen erfolgen, um mit Umstellung der Schiffe im Ostseeraum Schritt zu halten“, heißt es im Hafenentwicklungsplan. Die FDP begrüßt die neue Entwicklung. Umweltpolitiker Rolf Müller: „Wir fordern seit Jahren, Landstromanschlüsse am Skandinavienkai zu errichten.“ Müller wundert sich auch, dass die kurzen Liegezeiten der Fähren im Lübecker Hafen nun kein Gegenargument mehr sind. „Sollten Reeder und LPA im Hinblick auf zu erwartende Umweltgebühren endlich zu einer vernünftigeren Ansicht gelangt sein?“, fragt der FDP-Politiker. Von Kai Dordowsky