Kommt Bauschutt aus Atomkraftwerk nach Lübeck?

Am 10. Juni dieses Jahres ging bei den Entsorgungsbetrieben Lübeck (EBL) eine Anfrage der Kollegen aus Dithmarschen ein. Die Abfallwirtschaft Dithmarschen will 250 Tonnen Bauschutt aus dem Atomkraftwerk Brunsbüttel loswerden. Die Entsorgungsbetriebe lehnten die Aufnahme der 250 Tonnen ab – mit Verweis auf den Bürgerschaftsbeschluss vom November 2019. Kay Ehlers von der Abfallwirtschaft Dithmarschen bestätigt die Anfrage. Das Kernkraftwerk Brunsbüttel liege im Kreis Dithmarschen und müsse seine Abfälle zur Beseitigung der Abfallwirtschaft Dithmarschen überlassen. Der Dithmarscher Entsorger habe in Absprache mit dem Kieler Umweltministerium bei mehreren Deponiestandorten angefragt. Das Nein aus Lübeck wolle man nicht kommentieren, erklärt Kay Nehlsen. Ministerium: Dithmarschen findet keinen Abnehmer: Zwei Monate, nachdem die Dithmarscher das Nein aus Lübeck kassierten, meldete sich das Kieler Umweltministerium bei den Entsorgungsbetrieben Lübeck. Das Ministerium wollte wissen, unter welchen Voraussetzungen sich die Lübecker doch zu einer Aufnahme des AKW-Bauschutts entschließen könnten. „Die Dringlichkeit der Entsorgung von freigegebenen Abfällen nimmt am Standort Kernkraftwerk Brunsbüttel zu“, erklärt ein Sprecher des Ministeriums „eine annahmebereite Deponie konnte vom zuständigen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger Abfallwirtschaft Dithmarschen bislang nicht gefunden werden.“ In Schleswig-Holstein stehen drei Atomkraftwerke, für die die jeweiligen Betreiber Stilllegung und Rückbau bei der Reaktorsicherheitsbehörde des Landes beantragt haben. Für das Kernkraftwerk Brunsbüttel hat die Behörde bereits eine erste Stilllegungs- und Abbaugenehmigung erteilt. Das Kernkraftwerk Brokdorf ist als einziges noch in Betrieb und darf höchstens bis Ende 2021 Strom produzieren. Beim Rückbau eines Kernkraftwerkes fallen etwa zwei Prozent radioaktive Abfälle an. Sie müssen in speziellen Zwischenlagern auf dem Gelände der Kernkraftwerke gelagert werden und dürfen in keinem Fall auf Deponien gelangen. Weitere rund 96 Prozent der Abfälle können fast komplett in den Wirtschaftskreislauf zurück und recycelt werden, es sei denn, sie enthalten etwa Asbest und kommen aus diesem Grund auf Deponien. Schließlich werden weitere rund zwei Prozent nach einem kontrollierten Verfahren zu Beseitigung freigegeben, überwiegend auf Deponien. Umweltsenator Ludger Hinsen (CDU) blieb hart und verwies auf den aktuellen Bürgerschaftsbeschluss: „Wir sind nicht bereit, den Müll entgegenzunehmen.“ Auch EBL-Direktor Jan-Dirk Verwey bestätigt auf LN-Anfrage: „Der Bürgerschaftsbeschluss ist für uns verbindlich.“ Lübeck hat aber bei der Entsorgung des AKW-Bauschutts nicht das letzte Wort. „Wir müssen uns darauf vorbereiten, dass eine atomrechtliche Weisung kommt“, erklärte Hinsen jetzt den Kommunalpolitikern. Das Kieler Umweltministerium kann die Entsorgungsbetriebe anweisen, den Bauschutt aus dem Kernkraftwerk Brunsbüttel aufzunehmen. Das bestätigt ein Sprecher des Kieler Umweltministeriums. 60 000 Tonnen Abfall werden jährlich auf der Deponie gelagert: Die Mengen, die die Dithmarscher loswerden wollen, sind bescheiden. Es geht um 200 Tonnen Dämmmaterial und 50 Tonnen asbesthaltige Baustoffe. Zum Vergleich: In der Deponie Niemark werden jährlich rund 60 000 Tonnen Abfälle eingelagert. Auch finanziell wären die Mengen aus Dithmarschen nicht verlockend. 66 Euro pro Tonne dürfen die EBL dafür nehmen – macht gerade einmal eine Einnahme von 16 500 Euro. Bei den drei Kernkraftwerken, die in Schleswig-Holstein demontiert werden, rechnen die Behörden mit etwa 35 000 Tonnen Bauschutt, die in den nächsten 22 Jahren anfallen. „Die Lübecker Bürgerschaft lehnt die Einlagerung freigegebener Abfälle aus dem Abriss von Kernkraftwerken auf der Deponie Niemark ab.“ Das beschloss die Stadtvertretung Ende November 2019 auf Antrag von SPD, CDU, Linken, den Freien Wählern, der GAL, den Bürgern für Lübeck und den Unabhängigen. Weiter wurde beschlossen: „Der Bürgermeister wird beauftragt, sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und Möglichkeiten dafür einzusetzen, dass eine solche Deponierung verhindert wird.“ Die Landesregierung und alle Landtagsabgeordneten sollten sich dafür einsetzen, dass für die Entsorgung ortsnahe Endlager geplant und errichtet würden. Behörden bezeichnen Bauschutt als harmlos: Nach Angaben des Umweltministeriums sind die sogenannten freigemessenen Abfälle aus Atomkraftwerken harmlos. Die radioaktive Strahlung würde zehn Mikrosievert nicht übersteigen. Die natürliche Strahlung, der jeder Mensch ausgesetzt sei, wird von den Behörden mit 2100 Mikrosievert pro Jahr beziffert. Der Umweltverband BUND hat in seinen Stellungnahmen stets vor einem Gefährdungspotenzial unter zehn Mikrosievert gewarnt. Alles, was Lübeck voranbringt: Jeden Montag gegen 18 Uhr in Ihrem E-Mail-Postfach. Hier kostenlos den Newsletter „Lübeck next“ bestellen! Das Kieler Umweltministerium hatte in Lübeck vergeblich darum geworben, die Tür nicht zuzuschlagen. Umweltminister Jan-Philipp Albrecht (Grüne) sprach sogar persönlich bei den Fraktionschefs von SPD und CDU vor. Doch die ließen sich nicht überzeugen. Auch Vattenfall als Betreiber des Kernkraftwerks Brunsbüttel bemühte sich intensiv um die Lübecker Kommunalpolitiker und lud sie sogar in die Kraftwerke Brunsbüttel oder Krümmel ein, um sich die Freimessung von AKW-Bauschutt anzusehen. Von Kai Dordowsky