Am 20. Juli 2018 kurz nach 13.15 Uhr schloss der niederländische Student Floris K. (22) mit dem Leben ab. Mit Freunden war er an diesem schönen Sommertag am Zob in den Bus gestiegen, um nach Travemünde zu fahren. An der Haltestelle Solmitzstraße in Kücknitz stieg ein seltsamer junger Mann mit Winterjacke ein. Kurz darauf legte er Feuer und stach mit einem Messer auf Passagiere ein. Floris K. wurde lebensgefährlich verletzt. Am Donnerstag sagte er vor dem Landgericht aus.
„Haben Sie gedacht, Sie müssen sterben?“, fragt ihn der Vorsitzende Richter Christian Singelmann. „Ja, sicher“, antwortet K. In Panik hatten die Passagiere den Bus verlassen, in dem es brannte. Floris K. war noch einmal zurückgegangen.
Er wollte helfen und wurde niedergestochen
Er hatte gesehen, dass noch jemand im verqualmten Bus war, und wollte helfen. Mit ausgebreiteten Armen ging er auf den Mann zu. Da holte der Mann mit dem rechten Arm weit aus, stach Floris K. mit einem 30 Zentimeter langen Küchenmesser in die Brust und verletzte seine Lunge und eine Schlagader. Floris K. ist in diesem Verfahren Zeuge und Nebenkläger. Wenige Meter von ihm entfernt sitzt der 34-jährige Beschuldigte.
Nach dem Angriff zog Floris K. sich das Messer selbst aus der Brust, warf es weg und floh. Er verlor viel Blut, zwei Liter waren es am Ende. Bevor er zusammenbrach, bat er seine Freundin, seinen Vater anzurufen, um ihm zu sagen, dass er, Floris, sterben werde. Aber im Krankenhaus konnten sie ihn retten. Sie schnitten seine Brust auf, um sicherzugehen, dass sein Herz nicht getroffen war. Monatelang litt er Schmerzen und war erschöpft. Erst im kommenden Sommer entscheidet sich, ob er bis an sein Lebensende Blutverdünner einnehmen muss. „Immer wenn ich vor dem Spiegel stehe, erinnern mich die Narben an die Sache“, sagt er. „Ich bin dankbar, dass ich keine posttraumatische Belastungsstörung habe. Aber immer wenn ich auf der Straße jemanden sehe, der ein bisschen durcheinander ist, denke ich, dass der vielleicht ein Messer hat.“
„Ich nehme diese Entschuldigung nicht an“
Der Beschuldigte folgt der Aussage aufmerksam. Anschließend meldet er sich zu Wort. „Das war ein Missverständnis“, sagt er. „Die Hand, die ausgestreckt war. . . – ich dachte, dass er kämpfen will.“ Der Zeuge reagiert empört. „Ich weiß, dass das schwer anzunehmen ist“, fährt der Beschuldigte fort, „ich möchte mich trotzdem entschuldigen.“ Darauf reagiert der Zeuge nicht mehr.
Bei Peter S. (63), dem Busfahrer, hat sich der Beschuldigte zuvor eine unmissverständliche Abfuhr geholt. S. hatte im Detail beschrieben, wie Passagiere ihn wegen des Feuers alarmiert hatten, wie er angehalten und das Feuer gelöscht habe und vom Täter mit einem mächtigen Faustschlag niedergestreckt worden war. „Ich nehme diese Entschuldigung nicht an“, war seine Antwort an den Beschuldigten.
Angeklagter lebt in Wahnwelt
Einen Angeklagten im eigentlichen Sinn gibt es in diesem Verfahren nicht. Schon jetzt ist so gut wie sicher, dass am Ende die Unterbringung des Beschuldigten in der forensischen Psychiatrie stehen wird. Er lebt offensichtlich in einer Wahnwelt, in der eine große Verschwörung ihn mit Strahlen verfolgt.
Bei einem weiteren niederländischen Zeugen, den er mit dem Messer an der Schulter verletzt hat, bittet er auf Englisch um Entschuldigung mit den Worten: „Ich wusste nicht, dass Sie ein Tourist aus den Niederlanden sind. Ich dachte, Sie wären aus Kücknitz. Ich dachte, Sie wären einer von den Leuten, die mich mit Laserpointern angegriffen haben.“
Die Lübecker Nachrichten berichteten zu der Tat
Messerangriff in Linienbus: Die LN berichteten im LIVE-Ticker
Die Zusammenfassung des Geschehens am Tag der Tat
Bildergalerie: Alle Eindrücke vom Tatort in Kücknitz
Video: Held von Kücknitz – dieser Busfahrer hat sich dem Messerangreifer entgegen gestellt
Video: Diese Zeugen saßen im Bus und sprechen über das Erlebte
Busfahrer Peter Spoth: Der Held von Kücknitz im Interview
Reportage aus Kücknitz: Ein mulmiges Gefühl bleibt – das sagen die Anwohner
Elf Tage nach der Tat: Beschuldigter der Bus-Attacke von Kücknitz schweigt
Anklage: Staatsanwaltschaft wirft Angreifer versuchten Mord in 48 Fällen vor
Erster Prozesstag: Linienbus-Attentäter fühlte sich von Laserstrahlen verfolgt
Reportage aus dem Gerichtssaal: „Worte können das nicht wieder gut machen“
Zweiter Verhandlungstag: Strahlen und Messer: Die Google-Suchen des Angeklagten
Hanno Kabel