Lübeck: Anwohner veranstalten Flashmob gegen Raser am Schellbruch

Es ist ein idyllisches Viertel: rote Backstein-Siedlungshäuser von 1922, gegenüber Bäume und die Wiesen des Landschaftsschutzgebiets Schellbruch. Wer hier in Lübeck-Karlshof wohnt, hat es ruhig – wäre da nicht die Straße vor den Häusern. „Wir haben hier eine Rennstrecke“, sagt Gabriele Piepgras, die seit 32 Jahren am Schellbruch wohnt. Anwohner wehren sich gegen Raser: Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so wirkt: Es gibt viel Durchgangsverkehr, sagt sie, und die Wenigsten halten sich an die Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h. Wie zur Bestätigung fahren mit Schwung drei Pkw und ein Bus ein. Sie müssen stark abbremsen, denn die Straße ist nicht wie sonst frei: Die Anwohner haben sich heute abgesprochen und auf beiden Seiten geparkt, so dass durchfahrende Autos Slalom fahren und aufeinander warten müssen. Einer der parkenden Wagen ist ein Bobbycar, als knallroter Hinweis, dass hier auch Kinder wohnen. Unterschriftenliste ohne Konsequenz: An diesem Nachmittag treffen sich mehrere Familien auf dem Bürgersteig, einige haben Kaffee und Kuchen mitgebracht. Sie sind ungeduldig: „Wir wünschen uns, dass die Stadt hier verkehrsberuhigende Maßnahmen ergreift“, sagt Boris Kaiser. „Es ist eine Durchfahrtsstraße, das ist okay. Aber dass das Tempolimit regelmäßig um das Doppelte überschritten wird, das kann nicht sein.“ Er ärgert sich auch, dass Politik und Verwaltung nicht mit den Betroffenen sprechen würden und nur sehr langsam auf sein Anliegen reagierten. Im Januar hat er einen Brief an den Bürgermeister verfasst, knapp 60 Anwohner haben unterschrieben. „Das sind 90 Prozent aller, die in diesem Teil der Straße wohnen.“ Passiert ist seitdem wenig. Die Stadt hat daraufhin Geschwindigkeitsmessungen durchgeführt, die ergaben, dass sieben Prozent der Fahrer zu schnell gefahren seien. Nach Ansicht der Anwohner waren diese jedoch in einem Straßenabschnitt durchgeführt worden, wo die Autos ohnehin abbremsten. „Wir haben uns dazu ausführlich geäußert“, sagt Stadtsprecherin Nicole Dorel gegenüber den LN. „Die Stadt wird jetzt dort nichts unternehmen.“ „Fahrer haben dieses Landstraßen-Gefühl“: Dem Aufruf der Anwohner zum Gespräch ist an diesem Tag immerhin ein Politiker gefolgt: Rüdiger Hinrichs sitzt für die Freien Wähler im Ausschuss für Sicherheit und Ordnung. Er verspricht, dort einen Antrag einzubringen. Er hält ein Lkw-Durchfahrtsverbot für sinnvoll, im Rahmen eines Verkehrssicherheitskonzepts für ganz Karlshof. „Ich wohne nicht weit von hier in der Max-Planck-Straße“, sagt er. „Dort erlebe ich auch, wie die Laster hier durchrasen und sich festfahren.“ Durch die Lkw aus dem nahen Industriegebiet Glashüttenweg, erzählen die Anwohner, sei der Verkehr an Wochentagen noch wesentlich stärker. Das sei gefährlich: „Mein Sohn und die Nachbarskinder würden gern beim Spielen die Straße überqueren, ohne Angst zu haben“, sagt Friederike Rieck. Es seien schon mehrere Katzen und im Winter auch Rehe hier überfahren worden. Gabriele Piepgras erklärt sich das so, dass die Straße hier nur einseitig bebaut ist. „Die Fahrer haben dieses Landstraßen-Gefühl.“ Schäden an parkenden Autos: „Eigentlich könnten wir jeden Sonnabend so versetzt parken“, schlägt sie vor, zögert aber dann. „Wenn es nur nicht so gefährlich für die Autos wäre.“ Sie und ihr Mann haben schon ein Auto verloren, weil es von einem durchfahrenden Lkw erfasst wurde. Auch Heiko Wulf hat schlechte Erfahrungen mit dem Durchfahrtsverkehr: „Drei Spiegel wurden mir schon abgefahren, und einmal hatten wir Totalschaden: Ein Achsbruch. So etwas passiert nicht bei 30 km/h.“ Also werden die Anwohner ihre Autos lieber nicht als Poller zur Verkehrsberuhigung nutzen – und hoffen darauf, dass die Stadt sich vielleicht doch noch für die Einhaltung des Tempolimits einsetzt. Lesen Sie auch Lübeck: Warum dauern Corona-Tests so lange? Trotz Corona: Lübeckerin feiert 104. Geburtstag Lübeck: Meike Martensen erhält den Harig-Preis Von Friederike Grabitz