Lübeck: Corona-Broschüren im Briefkasten verunsichern Bürger

Ein ganz normaler Morgen: Stefan Badura geht zu seinem Briefkasten, um die Post zu holen – Rechnungen, Supermarkt-Werbung und ein Zettel, auf dem die „Fake-Pandemie“ mit einer echten Pandemie verglichen wird. Das ist für ihn dann doch alles andere als normal: „Was soll der Wahnsinn“, denkt er und geht wieder ins Haus. Es ist auch noch eine andere Broschüre mit dem Titel „Retter Impfung?“ bei seiner Post. „Es besteht die Gefahr, dass künftig auf jegliche Infektionswellen reagiert wird, indem man Alte weggesperrt, Jungen die Bildungschancen raubt und die übrigen in den Lockdown schickt“, steht in der Broschüre. Herausgebracht wurde sie von dem Verein „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“ (MWGFD) in Kooperation mit der Gruppe „Freiheitsboten“. Auf LN-Anfrage erklärt die Pressestelle des MWGFD: „Wir möchten die Bevölkerung sachlich und objektiv informieren, um ihre Gesundheit zu fördern.“ „Es wird versucht, Menschen zu beeinflussen“: Sachlich informiert fühlt Stefan Badura sich nicht: „Es wird versucht, Menschen mit unbelegten Fakten zu beeinflussen.“ Er zweifelt kein Stück daran, dass es sich um „alternative Fakten“ handelt: „Bei einer echten Pandemie kämpfen Menschen mit einer Katastrophe – bei einer Fake-Pandemie um Toilettenpapier“, berichtet er, was auf dem anderen Zettel mit dem Vergleich steht. „Was hat das denn bitte mit der jetzigen Situation zu tun?“ „Ich gehe davon aus, dass die Flyer noch an viel mehr Menschen in Travemünde verteilt wurden – mit Sicherheit in meiner ganzen Straße.“ Seine Befürchtung: Durch die Flyer geraten ältere Menschen an Fake News, also Falschinformationen. „Wenn meine 84-jährige Mutter so etwas bekommt, liest sie es und kann sich nicht so einfach über das Internet informieren, ob es auch stimmt“, sagt Stefan Badura. Ältere Menschen als neue Zielgruppe: Eine berechtigte Sorge, bestätigt Neurowissenschaftlerin Dr. Sarah Jessen, die Sozialpsychologie an der Universität zu Lübeck lehrt: „Generell erleben Verschwörungstheorien während der Corona-Pandemie einen Aufschwung, da allgemeine Verunsicherung herrscht“, erklärt sie. „Was die Flyer als Medium ganz besonders macht, ist, dass die Leute sie direkt in die Hand bekommen – sie müssen gar nicht erst im Internet danach suchen.“ Mit den Flyern werde eine ganz neue Zielgruppe angesprochen – eben Personen, die nicht unbedingt auf Twitter unterwegs sind, sondern sich hauptsächlich durch gedruckte Medien informieren. „Junge Leute, die im Internet unterwegs sind, haben vielleicht ein größeres Bewusstsein dafür, dass nicht alles Geschriebene wahr ist und man Fakten checken muss“, sagt Sarah Jessen. „Ältere Menschen vertrauen wahrscheinlich eher direkt auf eine Broschüre.“ Lesen Sie auch Corona: Lübecks Politiker fordern beim Impfen Hilfe für Senioren Lübecks „La Havanna“: So tragen die Gäste das Unternehmen durch die Krise LN-Campus-Blog: StuPa und ASta engagieren sich auch im Lockdown Ehemaliges C&A-Haus in Lübeck bleibt zu: Stadt bleibt bei der Räumung Auch bei der Neurowissenschaftlerin ist ein Flyer mit „allerlei Verschwörungstheorien“ in den Briefkasten geflattert: „Dort steht zum Beispiel, dass die mRNA-Impfung ein Genexperiment ist und die Menschen sich nicht impfen lassen sollten“, berichtet sie. „Das finde ich besorgniserregend – vor allem, wenn die Flyer in großem Umfang verteilt werden.“ Bürgermeister warnt vor Falschinformationen: Die Lübeckerin Monika Hille macht sich dagegen nicht allzu große Sorgen: Auf ihrer Türschwelle in der Innenstadt lag ein Zettel, auf dem in Knallrot „Achtung: Corona-Bekanntmachung“ stand. „Das war alles so komisch zusammengeschrieben, dass ich hoffe, dass niemand darauf reinfällt.“ Bei ihr jedenfalls hat der Zettel nicht lange überlebt – er landete direkt im Mülleimer. Bürgermeister Lindenau warnt schon seit Monaten vor Falschinformationen aus Flugblättern in Bezug auf das Coronavirus. Mitarbeiter seien angewiesen, derartiges Material aus städtischen Gebäuden zu entfernen und zu vernichten. „Ich empfehle dringend, Informationsblätter nur von öffentlichen Stellen zu nutzen“, sagt er. Von Nina Lennartz