Lübeck: Corona bringt IT-Branche neue Aufträge

In Christian Wilkens’ Ladengeschäft in St. Lorenz Nord dürfen Kunden unter Corona-Bedingungen nur mit Termin kommen, einer alle 30 Minuten. Aber das kann Wilkens (52) verschmerzen. Er und seine zwölf Mitarbeiter haben genug zu tun, mehr als genug, und wenn der Arbeitsmarkt für Informationstechnik-Spezialisten nicht so leer gefegt wäre, würde er gern weitere Mitarbeiter einstellen. Wilkens IT, seit 30 Jahren im Geschäft, bietet Hardware, Software, Server-Kapazitäten und Service für kleine bis mittelständische Betriebe und private Kunden an. Das Auftragsvolumen habe sich seit Beginn der Corona-Pandemie „stark erhöht“, sagt er: „Wir haben deutlich mehr zu tun als vorher.“ Mittelstand investiert jetzt in IT: Es ist vor allem die Umstellung auf Homeoffice-Arbeitsplätze, die seinem Unternehmen Aufträge verschafft: „Wenn die IT-Infrastruktur ausgelagert wird, dann müssen VPN-Tunnel her. Dazu kommen die ganzen Rollouts für die Videokonferenz-Systeme.“ Ähnliches berichtet Henning Hach, Gründer und Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Lynet. „Der Mittelstand ist traditionell nicht sehr IT-freudig“, sagt er. „Die Unternehmen haben da jahrelang nicht viel investiert. Es gibt viele, die in der Corona-Zeit gesagt haben: ,Wir bauen uns jetzt die Infrastruktur.’“ Für Hachs Unternehmen gibt es dann viel zu tun: Ausstattung der Heimarbeitsplätze, Einrichtung der Software, Schulung der Mitarbeiter, Support – und auf lange Sicht die Wartung der Systeme. Videostream als Hauptsache: Für den Lübecker Medientechniker Sven Sura (53) sah es zu Beginn der Corona-Krise erst einmal nicht gut aus. Sein Spezialgebiet ist die Veranstaltungstechnik. Er war auf der ganzen Welt unterwegs, um bei großen Firmenevents die digitale Technik für Video-Präsentationen bereitzustellen. „Da wurde auch mal was gestreamt“, sagt er, „aber das war eher so ein Beiwerk. Man hat die Streaming-Teilnehmer nicht angesprochen, sondern sie eher Mäuschen spielen lassen.“ Mit dem ersten Lockdown verschwanden die großen Firmenevents schlagartig. Über die Sommermonate, sagt Sura, habe seine Branche sich umgestellt auf Videostreaming als Hauptsache. Dabei stehe der Teilnehmer, der am Bildschirm sitzt, im Mittelpunkt. „Das ist ein kompletter Paradigmenwechsel.“ Ein VPN-Tunnel funktioniert so: Der Nutzer verwendet seinen eigenen Internetanschluss als eine Art Verlängerungskabel zum Server des Unternehmens. Die eigentliche Online-Verbindung wird dort hergestellt. Das ist wichtig für den Schutz von Unternehmensdaten. Ein Serverist ein Computerprogramm, das einen Dienst anbietet, auf den andere Programme (zum Beispiel Webbrowser wie Google Chrome) zugreifen können. Dieses Programm kann auf einem einzelnen Rechner installiert sein, den man dann auch oft Server nennt. Es kann aber auch auf mehrere Standorte verteilt sein. Streaming ist die Übertragung von Video- und Audio-Dateien in einem kontinuierlichen Datenstrom. Dieses Verfahren nutzen populäre Plattformen wie Youtube oder Spotify. Beim Livestream werden die Daten während der Aufzeichnung übertragen. Virtuelle Firmenevents: Aktionärsversammlung und Weihnachtsfeier: Sura hat diesen Wechsel mitvollzogen und sich auf Videostreaming umgestellt. Er hat die Technik für eine virtuelle Podiumsdiskussion der Nordischen Filmtage betreut, er berichtet von virtuellen Aktionärsversammlungen, virtuellen Weihnachtsfeiern, virtuellen Außendiensttagungen, virtuellen Ärztekongressen. „Es gehen alle davon aus, dass ein Teil bleiben wird“, sagt er – auch in Form von Hybridformaten, bei denen es einen Saal mit Bühne gebe und zusätzliche Teilnehmer per Video zugeschaltet würden. Lesen Sie auch Lübeck: Robbe in der Trave auf dem Eis vor der nördlichen Wallhalbinsel Lübecker Depenmoor: Räumung der Drogeninsel Erste Aktion 2021: Klimabewegung demonstriert mit Fahrrädern Lang anhaltende Digitalisierungs-Effekte: Auch Henning Hach von Lynet rechnet mit länger anhaltenden Effekten. Zum einen, weil die Infrastruktur für dezentrales Arbeiten gepflegt werden muss: „Wenn man Server in die Cloud verlagert, bedeutet das nicht, dass man weniger Dienstleister braucht. Im Gegenteil: Der Dienstleistungsbedarf steigt.“ Zum anderen, weil die Gesellschaft sich verändert. Hach nennt die Schulen als Beispiel. „Wir haben eine große Berufsschule als Kunden. Ich glaube nicht, dass die nach der Pandemie komplette Präsenz-Beschulung machen werden – gerade im Bereich der Erwachsenenbildung.“ Hach hat selbst drei Kinder und macht sich seine Gedanken: „Vielleicht bereiten wir unsere Kinder darauf vor, wie sie in 20, 30, 40 Jahren leben.“ Nicht alles wird Homeoffice: Trotzdem glaubt Hach nicht, dass die gesamte Arbeitswelt sich auf Dauer in die Privatwohnungen verlagern wird: „80 Prozent der Unternehmen wollen wieder komplett zur Präsenz zurück, das ist schon ein anderes Arbeiten. Bei manchen klappt es gut mit dem Homeoffice – aber gerade in kreativen Bereichen ist das schwieriger.“ Von Hanno Kabel

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