Lübeck: Diebstahls-Prozess - Mann urinierte auf Kissen

Angeklagte, die Handys aus Büros stehlen oder Schuhe aus einem Laden, kommen normalerweise vors Amtsgericht. Wenn diese Art von Vergehen vor dem Landgericht mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen verhandelt wird, muss etwas anders sein als sonst. So wie im Fall von Jörg C. (43, Name geändert). Ihm wird eine erstaunliche Serie von Straftaten zur Last gelegt, und es sollen Waffen im Spiel gewesen sein. Unter anderem hat er laut Anklage Geld aus dem Tresor eines Altenheim-Bewohners gestohlen und in einem großen Verbrauchermarkt auf 25 Kissen uriniert. Diebstähle in Altenheimen, Hotels und Läden: Sechs Anklagen trug die Staatsanwältin zu Beginn des ersten Verhandlungstages am Mittwoch vor. Laut ihren Ausführungen begann C. mit seiner Serie exakt einen Tag nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Oktober 2019. Er schlich sich in ein Zimmer in einem Altenheim in der Lübecker Innenstadt, fand den Tresorschlüssel und erbeutete 245 Euro. In einem Hotel stahl er ein iPhone aus dem Büro hinter der Rezeption. In einem Bio-Lebensmittelmarkt überraschte die Filialleiterin ihn in ihrem Büro – mit der Hand an ihrer Handtasche. In einem Altenheim in St. Gertrud knackte er einen Münzautomaten in der Waschküche. In einem anderen Innenstadt-Hotel stahl er den Generalschlüssel. Angeklagter räumt die Taten ein: Dazu kommen mehrere Ladendiebstähle, darunter der in einem Schuhgeschäft, bei dem er von einer Verkäuferin erwischt wurde. Laut Anklage wandte er gegen sie Gewalt an und bedrohte sie, zumindest beschimpfte er sie aufs Übelste. Im März 2020 soll er in einem großen Verbrauchermarkt in St. Gertrud auf 25 Kopfkissen uriniert haben. Jörg C.s Verteidigerin verlas für ihn eine vorbereitete Erklärung, in der er die Taten im Großen und Ganzen einräumte. An die Sache mit dem Urinieren könne er sich zwar nicht erinnern, er schließe es aber nicht aus. Bei der Fülle von Zeugen und Videoaufzeichnungen dürfte ihm kaum eine andere Wahl geblieben sein. Welche Rolle spielten Alkohol und Drogen? Zwei Fragen werden für dieses Verfahren entscheidend sein. Erstens: Wie groß ist der Einfluss von Alkohol und Drogen auf Jörg C.s Verhalten gewesen? Davon hängt ab, ob er voll schuldfähig ist. Wie so oft in Strafprozessen, drehte sich ein Großteil der Fragen von Richtern, Staatsanwältin und psychiatrischem Sachverständigen darum, wann genau der Angeklagte wie viel Alkohol getrunken hat, am besten mit Uhrzeit und Mengenangabe, und darum, ob er auf die Zeugen betrunken wirkte. Lesen Sie auch Lübecker Totschlagsprozess: Die lange Suche nach Beweisen Tödliche Schüsse in Lübeck: Tatwaffe war offenbar eine Pistole Lübeck: Hundebesitzerin findet mit Nägeln präparierten Köder Wollte der Dieb Waffen einsetzen? Die zweite wichtige Frage: Führte Jörg C. bei seinen Diebstählen absichtlich Waffen mit sich? Auf Diebstahl mit Waffen stehen erheblich höhere Strafen. Ähnlich gelagert ist die Frage, ob er gegen die Verkäuferin, die ihn erwischte, gewalttätig wurde. Das würde den Diebstahl praktisch zum Raub machen. Unbestritten ist, dass er bei mehreren der Taten einen großen Schraubendreher und ein Küchenmesser dabei hatte. „Hätte ich gewusst, was darauf steht, hätte ich das Messer nicht dabei gehabt!“, beteuerte Jörg C. Worauf die Staatsanwältin anmerkte, dass er in einem ähnlichen Fall schon einmal vom Landgericht verurteilt worden sei. „Da hatte er auch einen Schraubendreher dabei.“ Von Hanno Kabel