Lübeck: Ein Leben am Boxring: Trauer um Hans-Peter Siemons

Es sind die Momente, die man nicht vergisst. Wenn man mit seinem Gegenüber in seine Vergangenheit abtaucht. Wenn aus Minuten Stunden, aus Stunden ein Nachmittag und aus dem Nachmittag ein Abend wird. Der „Moment“ ist mehr als zwei Jahre her, als uns Hans-Peter Siemons in seinem Wintergarten mit auf eine Reise in seine Vergangenheit nahm. Als vor uns ein Stapel mit Fotos und Zeitungsartikeln lag. Sie erzählten von seinem bewegten Leben, seinen damals 80 Jahren in denen sich fast alles nur um zwei Themen drehte: Boxen und Gastronomie. Sie erzählten vom Lübecker („Ich bin ein waschechter, in der Hundestraße geboren“), der mehr als 20 Cafes, Restaurants, Kneipen und sogar eine Diskothek bewirtschaftete. Sie erzählten vom Box-Promotor, der mehr als 100 Kampfabende organisiert hatte. Und sie erzählten vom Manager, der in Schwerin die Traktor-Faustkämpfer nach der Wende vorm K.o. bewahrte und nebenbei noch dem Strandhotel am Schweriner See und dem „Alten Schweden“ in Wismar zu neuem Glanz verhalf. Der „ehrliche Westler im Osten“, er lebt nicht mehr. Siemons, dem Morbus Parkinson zuletzt einige Tiefschläge versetzte, ist im Lübecker Seniorenhaus „Hinrichs“ verstorben. Hansehalle Lübeck – Siemons’ Box-Wohnzimmer: Was bleibt, das ist die Erinnerung an den umtriebigen Tausendsassa, für den Stillstand schon früh ein Fremdwort war. Als gelernter Bäcker ist er elf Jahre für eine schwedische Reederei zur See gefahren. Für jeden Ort, an dem er war, hatte er in seinem Haus rote Nadeln in eine Weltkarte gesteckt. Die Karte, sie war vor lauter Rot kaum zu sehen. Zurück in Deutschland, hatte er sich Mitte der 1960er selbstständig gemacht. Der „Bärenhumpen“ war eine seiner ersten Kneipen, in Lübecks Sportwelt legendär. Wenn Siemons Schweiß roch, fühlte er sich wohl. Bei den Boxern war er aber zu Hause. Er war Trainer, Promotor, Manager, nannte in den 1970ern die Lübecker Hansehalle sein Wohnzimmer, wo er mit den Lokalmatadoren Karsten Honhold & Co. punktete. Er hat WM-Kämpfe nach Lübeck geholt, auch die Klitschkos, denen er lange als Berater zur Seite stand. Karsten Honhold (74) erinnert sich gern an die guten, alten Zeiten: „Ich hab Peter 1963 kennengelernt. Er war mein Förderer, ein guter Freund.“ Das Besondere: Bei Reisen nach Schweden oder Dänemark („Da waren wir manchmal aller 14 Tage“), im Training auf seinem Hof in Warnsdorf („Wir haben sehr eng zusammen gearbeitet“) oder wenn er mit ihm über die Felder gefahren ist („Das war für ihn eine Augenweide“), „hebbt wi ümmer plattdüütsch snackt“. „Vom gleichen Geblüt wie Walter oder Schmeling“: Ex-Profi Jürgen Blin, der neben Björn Engholm einer seiner engsten Freunde war, schätzte Siemons „als Kämpfer. Er hat mit seinen Abenden auch mal Geld in den Sand gesetzt. Aber er hat immer weiter gemacht.“ Er hat auch in Lübeck vielen, sehr vielen Menschen geholfen. „Er hat seine Kameraden nie im Stich gelassen, ist vom gleichen Geblüt wie Fritz Walter oder Max Schmeling“, huldigte ihn die im März 2019 verstorbene VfB-Legende Dietmar Scholze zu seinem 80. Schweriner Boxer vor dem K.o. bewahrt: Für seine Schweriner Jungs hat sich Siemons aber aufgeopfert. „Peter war ein Glücksgriff für uns“, erzählt Olympiasieger Andreas Zülow immer wieder. Und für Siemons war „das Schönste in der Zeit, dass wir 1991 erster gesamtdeutscher Mannschaftsmeister geworden sind“. Aus diesen Tagen stammte auch die enge Bande, die er zu dem 2014 verstorbenen Meistertrainer Fritz Sdunek hatte. Siemons’ Tochter Annett ist sich sicher: „Er sitzt jetzt da oben im Himmel und macht mit Fritze einen Boxstall auf. Was anderes kann ich mir nicht vorstellen.“ Von Jens Kürbis