Lübeck: Fest mit Autokorso zum Einheits-Tag in Schlutup

Am Sonnabend Vormittag gehört Schlutup den Oldtimern. Gegen ein Uhr mittags treffen sie mit einer Stunde Verspätung aus dem mecklenburgischen Schönberg ein: 130 Trabis, Wartburgs, IFA-Laster, auch einige Westmodelle wie Käfer, sowie 55 historische Motorräder. Viele sind mit Deutschland- oder DDR-Flaggen geschmückt, und etliche Fahrer verteilen aus den offenen Seitenfenstern Bananen an die Zuschauer, die über mehrere hundert Meter Spalier stehen. Sie erinnern damit an die Staus, die es nach der Grenzöffnung hier gegeben hat. Bewohner der grenznahen Regionen besuchten damals die vorher abgeriegelten Landstriche. Die in der DDR nur selten erhältlichen Bananen wurden für viele Ostdeutsche zum Symbol der neuen Freiheit. Dokumentations-Stätte in früherem Grenzgebäude: Der Korso von der Hamburger Oldtimer-Gemeinschaft „Ostschrott Kollektiv“ ist Höhepunkt des Festes, das die Grenzdokumentations-Stätte Schlutup zum 30. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 organisiert haben. Das Lübecker Grenzmuseum spielt eine besondere Rolle für das Gedenken an die deutsche Teilung und die Grenzöffnung: Das Gebäude, in dem sie untergebracht ist, war früher ein Abfertigungsgebäude der westdeutschen Grenzer, und auf der Straße davor stand ein Schlagbaum. Jan Lindenau: „Einzige Großstadt an der Grenze“: Bürgermeister Jan Lindenau (SPD) erinnert in einer Rede auf dem Außengelände vor dem Museum daran, dass Lübeck die einzige innerdeutsche Großstadt an der Grenze war. Die Dokumentationsstätte habe auch deshalb eine besondere Rolle. Das Festgelände mit Essständen, Kinder-Aktivitäten und einer Zeltausstellung über die friedliche Revolution ist trotz Corona-Beschränkungen schon gut gefüllt. Über den Tag verteilt seien etwa 1500 Besucher gekommen, schätzt Mitveranstalter Rolf Niehuesbernd. Für Doris Ehlert ist der ehemalige Grenzübergang ein besonderer Ort. Am 10. November 1989, dem Tag nach der Grenzöffnung, war sie hier und empfing Besucher aus Ostdeutschland. „Wir wussten nicht, was passieren wird“, erinnert sie sich. „Damals dachte man, die Grenze wird wieder zugemacht.“ Doch die Grenze blieb offen, und auch die Kontakte blieben: Mit einer Familie, die sie damals kennen lernte, ist sie bis heute befreundet. Schon vorher war sie für Verwandtenbesuche häufig in der DDR, seit ihrer Kindheit. „Die Unfreiheit dort habe ich deutlich und schmerzlich empfunden“, sagt sie. „Umso dankbarer bin ich für das Geschenk der friedlichen Revolution und das Wunder der Wiedervereinigung, ein einzigartiger Vorgang in der Geschichte.“ Nur Westwaren im Dresdner Karstadt: Gerhard Böttcher interessiert sich seit Jahrzehnten für Ostdeutschland. Der 83-jährige ist mit seiner Frau gerade die grüne Grenze vom Priwall bis nach Hof in Nordbayern abgefahren – mit dem Fahrrad. Als die Grenze 1989 fiel, zog er von Hamburg für zwei Jahre nach Dresden. Seine Firma hatte dort eine Brauerei übernommen, in der er arbeitete. „Ich wurde dort herzlich aufgenommen“, erinnert er sich. Er mochte die sächsische Mentalität und war beeindruckt, dass die Hälfte seiner Kollegen Frauen waren. Über andere Dinge wunderte er sich dagegen. „Als in Dresden ein Karstadt eröffnete, gab es dort nur Westwaren. Warum?“ Ihm fiel auch auf, dass viele Westdeutsche sich als etwas Besseres fühlten. „Den Ostdeutschen gebührt so viel Anerkennung für ihren Mut, dass sie diese Revolution gemacht haben. Keiner wusste ja, ob vielleicht geschossen wird.“ Junge Generation mit anderem Blick auf die Einheit: Cedric Harder (25) war noch nicht geboren, als die Mauer fiel. „Das Thema ist für mich nicht wirklich greifbar“, sagt er. Er kennt Osteuropa von Urlauben an der polnischen Ostseeküste, und Mecklenburg hat er zusammen mit seiner Freundin Madline Köster auf dem Rad erkundet. Große Unterschiede hat er nicht gefunden: „Mensch ist Mensch, ob in Ost oder West.“ Dann fällt ihm doch ein Unterschied ein: „Dadurch, dass die Ostdeutschen früher andere Erfahrungen gemacht haben, sind sie dankbarer und eher hilfsbereit. Wie in dem Sprichwort: Wer alles hat, gibt nichts, wer nichts hat, teilt gerne.“ Den Vereinigungsprozess sieht er kritisch: „Heute würden wir das anders, besser machen. Die Menschen waren damals egoistischer und hatte es schwerer als wir heute, etwas Anderes, Fremdes anzuerkennen.“ Die 20-jährige Madline Köster glaubt, dass „die Generation vor uns, die die Mauer noch kannte, ganz anders aufgewachsen ist.“ Ihre Großeltern haben ihr von der Zeit nach der Grenzöffnung erzählt, „als überall in Lübeck Wochen lang die Bananen ausverkauft waren.“ Bürgermeister verspricht Mitarbeiter für die Grenzdokumentations-Stätte: Das Fest findet unter Corona-Auflagen statt: Der Einlass wir kontrolliert, und an den Essständen und vor dem Zelt, in dem eine Ausstellung zur Wiedervereinigung aufgebaut ist, regeln Pfeile und Flatterbänder den Publikumsverkehr. „Viele Auflagen der Stadt kamen viel zu knapp“, klagt die Vorsitzende des Betreibervereins, Ingrid Schatz. „Dadurch hatten wir in den letzten Tagen sehr viel Stress.“ Sie sehe das eigene ehrenamtliche Engagement und das ihrer Kollegen nicht ausreichend gewürdigt. Bürgermeister Jan Lindenau kontert den Vorwurf mit einem Versprechen: Er werde sich dafür einsetzen, dass das Team um die 76-jährige Unterstützung durch eine hauptamtliche Arbeitskraft bekommt. 3. Oktober: So feiert Lübeck die deutsche Einheit DDR-Fluchtgeschichten: Warum der Neffe von „Sudel-Ede“ 1986 über die Ostsee schwamm Engagement über Grenzen von Ost und West hinaus 6000 Menschen feiern 30 Jahre Mauerfall in Lübeck-Schlutup Die deutsche Einheit in den Medien: Das Staunen der ganzen Welt 30 Jahre Einheit - Schüler Ost und West trafen sich in Schlagsdorf Tag der Deutschen Einheit 2020: Feiertag, Bedeutung, Öffnungszeiten von Geschäften - alle Infos Gibt es typisch Ost und West? Wie viel Einfluss die eigene Kindheit und Prägung auf das Elternsein heute hat Deutsche Einheit: Das sagen junge Menschen unter 30 dazu 30 Jahre Einheit: Die neue Generation Ost Deutsche Einheit: So viel Osten steckt im Westen Ostschrott Kollektiv - Der Osten im Norden Homepage der Grenzdokumentations-Stätte Schlutup Das Fest findet auch noch am Sonntag von zehn bis 18 Uhr an der Grenzdokumentations-Stätte, Mecklenburger Straße 12 in Schlutup, statt. Von Friederike Grabitz