Lübeck-Fotos von Hans Kripgans: Freizeit in den 1950er Jahren

1952 begann der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR), täglich von 20 bis 22 Uhr Fernsehprogramme auszustrahlen. Es gab in der Bundesrepublik 5000 Fernsehgeräte. Im August 1954 waren es schon 40 000. Eines davon stand in der Vierzimmerwohnung der Familie Clasen in der Lübecker Mühlenstraße, und das war besonders wichtig am 4. Juli 1954, dem Tag, an dem Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft gewann. „Mein Vater war der erste, der einen Fernseher hatte“, erinnert sich Hans-Jürgen „Hennes“ Clasen (86), damals 19 Jahre alt. „Wir hatten die Bude gerammelt voll.“ 50er Jahre: Zehn Kinos in der Innenstadt, zehn in den Stadtteilen: Der Siegeszug des Fernsehens hatte begonnen, aber in den 50er Jahren war das noch nicht überall zu merken. Das große Kinosterben zum Beispiel begann erst in den 60ern. Mitte der 50er Jahre gab es allein in der Lübecker Innenstadt zehn Kinos und noch einmal so viele in den anderen Stadtteilen. Hans-Jürgen Clasen erinnert sich an das Eden-Kino an der Königstraße, wo er sich schon in der Nachkriegszeit mit hochgeschlagenem Mantelkragen und dem Hut seines Vaters eingeschmuggelt hatte: „Die hatten die ersten Wildwestfilme!“ Karneval in Lübeck: 200 000 Menschen beim Rosenmontagszug: Das Ende von Krieg und Nachkriegszeit, der beginnende Wohlstand – diese Kombination setzte bei den Menschen einen gewaltigen Vergnügungstrieb frei. „Gefeiert wurde damals wie verrückt“, sagt Clasen. Selbst der Karneval, nicht gerade eine typisch hanseatische Institution, wurde ausgiebig begangen. Am Rosenmontag 1952 säumten 200 000 Menschen die Straßen Lübecks, um den kilometerlangen Karnevalszug zu sehen. Auch bei den Clasens zu Hause ging es hoch her: „Rosenmontag war bei meinen Eltern die Bude voll, Sie können sich das nicht vorstellen, die ganze Hausgemeinschaft hat sich verkleidet.“ Schwofen im Lübeck der 50er: Ballhaus Vaterland: Orte, um sich zu amüsieren, gab es in der Stadt reichlich. Man „schwofte“ – ein zeittypischer Ausdruck für tanzen und feiern – im Ballhaus Vaterland an der Eschenburgstraße, man ließ sich von Revuen im Variété Atlantic am Burgfeld unterhalten, man hörte Jazz im Delta-Palast an der Moislinger Allee. Und dann gab es das Casino in Travemünde. „Da war der Teufel los“, erinnert sich Clasen. „Da kamen auch viele Berliner hin. Da war richtig gute Musik: Oben im Nightclub spielten italienische Bands.“ Der Bildband„Hans Kripgans: Das Auge der Lübecker Nachrichten – Fotografien 1950-1959“ (240 Seiten, 250 Abbildungen) erscheint im Junius Verlag und kostet 39,90 Euro. Herausgeber Jan Zimmermann hat die Fotos ausgewählt und mit Erklärungen versehen. Sie sind in zehn Kapitel gruppiert, für jedes Jahr eines. Am Anfang des Buchs steht eine Würdigung von Kripgans und seinem Werk. Zu jedem Kapitel gibt es eine kurze Einleitung. 2021 soll ein weiterer Band über die 60er Jahre erscheinen, im Jahr darauf einer über die 70er Jahre. Erhältlich ist das Buch unter anderem in den LN-Geschäftstellen: Pressehaus (Dr.-Julius-Leber-Straße 9-11): Montag bis Freitag 10 bis 13 Uhr, donnerstags 10 bis 17 Uhr, samstags 10 bis 13 Uhr Bad Schwartau (Markttwiete 8): Montag bis Freitag 10 bis 13 Uhr, donnerstags 10 bis 17 Uhr, samstags 10 bis 13 Uhr Herrenholz (Herrenholz 10-12): Montag bis Freitag 10 bis 13 Uhr Oldenburg (Hinterhörn 5): Mittwoch 9 bis 13 Uhr Bad Segeberg (Kurhausstraße 12): Montag bis Freitag von 9 bis 12 Uhr Böser Boogie-Woogie: Getanzt wurde immer und überall. Die berühmte Mode aus Amerika, die das Bild von den 50er-Jahren heute so prägt, war allerdings zumindest in Lübeck nicht allgegenwärtig. „Für Rock’n’Roll“, erzählt Clasen, „musste man nach Hamburg-St. Pauli fahren.“ Aber auch in Lübeck tat sich etwas. „Mein bester Freund durfte nicht auf den Abtanzball gehen“, erinnert sich Clasen, „weil er so Boogie-Woogie-Bewegungen gemacht hat in der Tanzstunde, um den Mädels zu imponieren.“ Lesen Sie auch: Lübeck-Fotos von Hans Kripgans: Arbeit in den 1950er-Jahren Serie mit Lübeck-Fotos von Hans Kripgans: Kinder in den 50er Jahren Lübeck in den 50er Jahren: Bildband mit Fotos von Hans Kripgans Jugend tanzt Jive und Jitterbug: Bei Jugendlichen waren Vorformen des Rock’n’Roll populär – vor allem Jive und Jitterbug. Für viele Erwachsene war schon das eine schwer erträgliche Provokation. Als der Travemünder Kurdirektor 1956 für das jugendliche Publikum eine norwegische Jazzband einlud, ätzten die LN: „Die Laien, also jene Menschen, die von den Gesetzen des Jitterbugs keine Ahnung haben, waren selbst bei fortgeschrittenem Abend nur mühsam von der Ansicht abzubringen, dieses sei eine Art moderne Heilgymnastik für schwergeprüfte Epileptiker.“ Phönix gegen VfB: Das Lübecker Fußball-Derby: Eines aber einte Jung und Alt wie eh und je: der Sport, vor allem der Fußball. Er war auch eine große Leidenschaft des Fotografen Hans Kripgans. Sage und schreibe 9000 Zuschauer (die meisten davon Männer mit Hüten) sind im März 1952 an den Sportplatz an der Travemünder Allee gekommen. Es ist nicht das Finale einer Weltmeisterschaft, es ist nur das Lokalderby der Erzrivalen Phönix und VfB Lübeck. „Nur“? Wenn die „Blauen“ gegen die „Grünen“ spielten, dann ergriff jeder Partei, der sich für Fußball interessierte. Daran erinnert sich auch der Fußballer und Phönix-Fan Hans-Jürgen Clasen: „Das hat man nie ausgelassen.“ Von Hanno Kabel