Lübeck: Gibt es Hochzeiten im Standesamt bald als Livestream?

Wenn sich Braut und Bräutigam das Jawort geben, hört man im Hintergrund normalerweise das gerührte Aufatmen der Angehörigen, die den frisch Vermählten anschließend in die Arme fallen. So aber nicht in Zeiten von Corona. „Die Zahl der teilnehmenden Gäste wurde und wird auch weiterhin zum Infektionsschutz begrenzt“, bedauert Thomas Rathcke, Vorsitzender der FDP-Bürgerschaftsfraktion. „Dadurch können nicht alle Menschen teilnehmen, die das Brautpaar gerne bei ihrem besonderen Lebensereignis dabei hätten.“ Hochzeit als Livestream aus dem Trauzimmer: Eine Webcam im Trauzimmer könnte laut Rathcke jedoch sicherstellen, dass die Liebsten dennoch bei der Zeremonie zusehen. „Es wäre schön, wenn der digitale Fortschritt in dieser Hinsicht auch im Lübecker Standesamt Einzug halten würde“, sagt der FDP-Politiker. Seine Fraktion will die Idee in der kommenden Hauptausschusssitzung beantragen. Diese wurde jüngst vom 26. Januar auf den 9. Februar verlegt. Ob sie dann stattfinden wird, hängt von den Corona-Maßnahmen ab. Rathcke betont außerdem, dass das Angebot keineswegs nach Corona enden müsste. „Wenn die Familie zum Beispiel in Australien lebt, kann sie sich einfach zuschalten, ohne die weite Reise auf sich nehmen zu müssen.“ Ebenso vorteilhaft wäre das auch für Angehörige, die nicht mehr so gut zu Fuß oder krank sind. Rathcke: Vorhaben wäre „leicht zu realisieren“: Für die konkrete Umsetzung schlägt Rathcke vor, zwei bis drei Kameras fest im Trausaal zu installieren, zwischen denen man hin und her schalten kann. Die Übertragung könne dann über WLan stattfinden. Als Plattform eigne sich zum Beispiel der Anbieter Webex, den auch die Stadtverwaltung zur digitalen Kommunikation nutzt, zum Beispiel für Videokonferenzen. Das Angebot soll kostenlos sein. Wie hoch der genaue Preis für die Installation wäre, da legt Rathcke sich nicht fest. Auf jeden Fall sei das Vorhaben „leicht zu realisieren“. Der Fraktionsvorsitzende betont, dass es der FDP nicht darum ginge, genaue Vorgaben zu machen, sondern die Idee voranzubringen. Für den Aufbau der Technik seien schließlich Fachfirmen zuständig. Zuspruch im Rathaus: SPD fordert Prüfung: Von den anderen Fraktionen erfährt die FDP viel Zuspruch. Peter Petereit, Vorsitzender der SPD-Fraktion, sagt: „Standesamtliche Trauungen sollten so ablaufen, dass Freunde und Verwandte daran teilhaben können – das ist für das Brautpaar auch emotional sehr wichtig.“ Zudem könnte eine Webcam im Trausaal auch ohne Corona eine sinnvolle Ergänzung sein. Die SPD-Fraktion fordert deshalb, dass der zuständige CDU-Senator Ludger Hinsen möglichst schnell prüft, ob und wie Trauungen online übertragen werden könnten. „Wir brauchen gerade in Pandemiezeiten Multiplikatoren der Glücksmomente“, so Petereit. Wann immer solche durch Anstrengungen bei der Digitalisierung möglich sind, sollte die Chance genutzt werden. Auch andere Parteien begrüßen die Idee: Birte Dugge, Vorsitzende der Grünen-Fraktion, sagt, dass einige Paare gerade in diesen Zeiten den großen Wunsch hegen, den Bund fürs Leben zu schließen. „Dass sie dabei ihre Angehörigen aus dieser Zeremonie ausschließen müssen, ist natürlich von dem Wunschbild einer schönen Hochzeit im Kreise der Familie weit entfernt.“ Insoweit sei die Übertragung von Trauungen eine schöne Idee. Zustimmung kommt auch aus der Fraktion der Freien Wähler. Der Vorsitzende Thomas Misch sagt: „Es wäre doch schön, wenn Hochzeiten live übertragen werden könnten.“ Um die Ausstattung zu finanzieren, schlägt er vor, eine kleine Gebühr für den Service zu erheben. Die AfD-Fraktion begrüßt die Idee ebenfalls. „Das dürfte Menschen die Entscheidung erleichtern, sich auch in Zeiten der Corona-Auflagen, die wohl noch einige Monate bestehen werden, trauen zu lassen“, sagt der Vorsitzende David Jenniches. Eheschließungen finden traditionell im Lübecker Standesamt, der Lindeschen Villa, in der Ratzeburger Allee statt. Aktuell gelten dort strenge Hygieneauflagen. Abgesehen vom Standesbeamten darf ausschließlich das Brautpaar an der Trauung teilnehmen. Fotografen, Trauzeugen und andere Angehörige haben keinen Zutritt. Vor dem Standesamt darf sich anlässlich der Zeremonie maximal eine weitere Person aus einem anderen Haushalt aufhalten. Der Garten des Standesamtes ist zurzeit geschlossen. Damit ist auch der Zutritt zur sogenannten „Hochzeitstreppe“ als beliebtes Fotomotiv verwehrt. Alle Infos zur Eheschließung und den Corona-Regeln im Lübecker Standesamt gibt es auf der Webseite www.luebeck.de/de/rathaus/verwaltung/standesamt/. Linke und Unabhängige: Digitaler Unterricht hat höhere Priorität: Doch es gibt auch Kritik: Von Seiten der Linken-Fraktion heißt es zwar, Maßnahmen zur Digitalisierung seien im Standesamt grundsätzlich ebenso zu begrüßen wie in allen anderen städtischen Bereichen. Die Vorsitzende Katjana Zunft betont jedoch: „Oberste Priorität hat für uns zurzeit die Umsetzung des digitalen Unterrichts.“ Erst wenn dieser reibungslos laufe, könnten weitere Gelder für die Umsetzung von digitalen Hochzeiten verwendet werden. Dem schließt sich die Fraktion der Unabhängigen an. Wolfgang Liedtke, Fraktionssprecher für Digitalisierung, sagt: „Eine Webcam im Trauzimmer ist wünschenswert, aber Investitionen in die digitale Technik der Schulen haben momentan absoluten Vorrang.“ Denkbarer sei es stattdessen, private Videoübertragungen, die vom Brautpaar in Eigenregie vorgenommen werden, zuzulassen. „Das stünde der Stadt als Smart City gut zu Gesicht“, so Liedtke. „Das Internet vergisst nie“: Außerdem müssen laut Zunft alle Beteiligten einer Übertragung unbedingt zustimmen, um die Persönlichkeitsrechte zu schützen. Bestenfalls sollte nur das Ehepaar zu sehen sein. „Die Paare müssen sich darüber klar sein, dass das Internet nicht vergisst und die Bilder unter Umständen auch nach dem Scheitern einer Ehe noch im Netz verfügbar sind“, sagt die Linken-Politikerin. Da stimmen ihr auch die anderen Fraktionen zu. Laut Thomas Misch von den Freien Wählers könnte ein extra Formblatt die Lösung sein, um die Zustimmung aller Anwesenden einzuholen. Datenschutzbeauftragte: Alle müssen einverstanden sein: Aus Sicht der Datenschutzbeauftragten des Landes Schleswig-Holsteins, Marit Hansen, sind viele Möglichkeiten einer datenschutzkonformen Umsetzung denkbar. „Wichtig ist, dass diejenigen, die aufgenommen werden, damit einverstanden sind“, bestätigt die Expertin. Jeder im Raum sollte Bescheid wissen, welche Bereiche aufgenommen werden. „Hier bietet es sich an, dass eine Einwilligungserklärung eingeholt wird.“ Zudem müsse eine Tonaufzeichnung gesondert vereinbart werden. Um unerwünschte Zuschauer auszuschließen, empfiehlt Hansen, den Livestream Freunden und Verwandten passwortgeschützt zugänglich zu machen. Durch die Wahl der Technik dürften keine zusätzlichen Datenschutzrisiken entstehen. „Beim Streaming ins Internet unter einem Account eines Standesamts ist dies unproblematisch“, sagt Hansen. „Will man es aber eher als Videokonferenzlösung realisieren, bei denen sich die Nutzer anmelden müssen, muss dafür Sorge getragen werden, dass sich die Dienstleister datenschutzkonform verhalten und nicht die Daten für eigene Zwecke auswerten.“ Live-Videos in anderen Standesämtern bereits möglich: Thomas Rathcke weist derweil darauf hin, dass Livestreams bereits in anderen Standesämtern angeboten werden, zum Beispiel in Düsseldorf, Münster und Lüneburg. Auch in den Ämtern in der Lübecker Umgebung gibt es ähnliche Möglichkeiten. Das Standesamt Reinfeld erlaubt beispielsweise, dass Brautpaare ein eigenes Gerät mitbringen, über das sie Angehörige zuschalten. Dort sind allerdings nach Angabe einer Mitarbeiterin nur Videoanrufe über ausgewählte Kanäle erlaubt, um ein mögliches Aufzeichnen oder Zwischenspeichern auszuschließen. Auch im Ratzeburger Standesamt werden seit Corona Live-Übertragungen zugelassen. „Aber nur über gesicherte Verbindungen von Gerät zu Gerät“, erklärt der Standesbeamte Andreas Sasse. Die Entscheidung obliege letztlich dem Beamten, da das Standesamt den Schutz der persönlichen Daten sicherstellen muss. Das halten Brautpaare von der Idee: Und was halten Brautpaare von der Idee? Marleen Stahmer und ihr Verlobter Marcel Jelonek aus Lübeck wollen im August dieses Jahres standesamtlich heiraten. Sie planen zusätzlich noch eine kirchliche Trauung in 2022. Eine Live-Übertragung im Standesamt käme für die beiden eher nicht in Frage. „Wenn wir nur standesamtlich heiraten würden, dann würden wir unsere Hochzeit lieber verschieben, damit unsere Liebsten dabei sein könnten“, erzählt Marleen Stahmer. Zudem wäre es schade, dass ein Livestream nicht von Dauer wäre. „Wir würden lieber ein qualitativ hochwertiges Video drehen lassen, welches man sich dann auch später noch anschauen kann“, so die angehende Braut. Tabea und Peter Knobelsdorff, die sich am Freitag im Lübecker Standesamt das Jawort gaben, sehen das anders. „Wir hätten so einen Service auf jeden Fall genutzt“, sagt Tabea Knobelsdorff, die sehr bedauert, dass ihre Eltern und die ihres Mannes bei der Eheschließung nicht dabei sein durften. Die Knobelsdorffs zeichneten ihre Trauung deshalb selbst auf. „Wir haben dafür extra das Equipment besorgt“, erzählt Peter Knobelsdorff. Lesen Sie auch Hochzeiten in SH 2021: Im Sommer kommt der große Boom Lübeck: Jan Lindenau im Livestream zu Lockdown und Maskenpflicht Schärfere Corona-Regeln in Lübeck: Welche Maske schützt am besten? Hochzeitsexpertin: Livestreams nur als Notlösung: Für Paare wie die Knobelsdorffs wären Live-Übertragungen in Zeiten von Corona eine gute Notlösung, meint die Hochzeitsplanerin Linda Seifried von „Schlips+Schleier“ aus Travemünde. Für andere wiederum könnten sie aber auch zum Stimmungskiller werden. „Es entstehen dabei natürlich nicht diese Gefühle, als wenn man Herz an Herz zusammensitzt“, sagt die Hochzeitsexpertin und rät: „Wir sollten wieder darauf hinarbeiten, dass man es von Angesicht zu Angesicht macht.“ Letztlich müsse das aber jedes Brautpaar individuell entscheiden. Von Rabea Osol